Nadine Wojcik über Exorzismus: "Der Teufel wohnt in Polen" | Literatur | DW | 10.12.2016
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Literatur

Nadine Wojcik über Exorzismus: "Der Teufel wohnt in Polen"

Sie wollte wissen, wo der Teufel wohnt - und fuhr nach Polen. In dem katholischen Land traf Nadine Wojcik auf Gläubige, Besessene - und Exorzisten. Über Ihr Buch "Wo der Teufel wohnt", erzählt sie im DW-Interview.

Deutsche Welle: Frau Wojcik, Ihr Buch heißt nicht "Auf Teufel komm raus", wie es das Thema nahelegt, sondern: "Wo der Teufel wohnt". Wohnt er in Polen?

Nadine Wojcik: Auf jeden Fall - zumindest, wenn man der Logik vieler polnischer Katholiken folgt. Es gibt in Polen um die 130 Exorzisten, diese Zahl ist so im Umlauf. 'Der Teufel', sagen Exorzisten, 'zeigt sich dort, wo der Glaube am stärksten ist.' Und Polen ist eine der Hochburgen des Katholizismus. Der Teufel zeigt sich auch immer nur dann, wenn man ihn bekämpft. So scheint der Teufel gerade in Polen sein Unwesen zu treiben.

Autorin Nadine Wojcik

Nadine Wojcik

Als Autorin würde ich sagen: Ich schließe nicht aus, dass es den Teufel gibt. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht in Polen wohnt. Was ich alles beobachtet habe, scheinen mir eher Phänomene zu sein, die man mit rationalem Menschenverstand und medizinisch-psychologischem Wissen gut erklären kann.

Wie genau funktioniert der Ritus der Teufelsaustreibung?

Der Vatikan hat den Ritus 1614 vorgeschrieben. Das war sinnvoll, weil die Hexenverbrennung und die öffentliche Teufelsaustreibung aus dem Ruder liefen. Der Ritus besteht aus einer Abfolge von Gebeten, Psalmen, Evangeliumstexten und Segnungen. Er wurde 1999 reformiert. Seither soll ein Exorzist sicherstellen, dass keine psychische Erkrankung vorliegt und gegebenenfalls psychiatrische Hilfe hinzuzuholen ist, bevor er jemanden als besessen einstuft. Die Abfolge ist vereinfacht worden. Sie beginnt mit einer Segnung und am Ende steht die Befehlsformel, die nur ein Exorzist sprechen kann: "Teufel weiche!"

Foto: Stefan Kobe

Polnische Gläubige wohnen der zwölfstündige Befreiungsmesse mit einem ugandischen Exorzisten im Wallfahrtsort Lichén bei

Die häufigste Kritik am Exorzismus ist, dass vermeintlich Besessene eigentlich psychisch Kranke sind. Nimmt die Kirche diesen Einwand ernst?

Sie nimmt ihn absolut ernst. Die Exorzisten, mit denen ich gesprochen habe, arbeiten sehr eng mit Psychologen zusammen. Einer, mit dem ich sprach, arbeitete mit einem christlichen Psychologen zusammen. Von den 630 Leuten, die bei ihm vorstellig wurden, landeten allerdings 580 beim Exorzisten….

Die Leute wollen lieber besessen als psychisch krank sein?

Ja, das ist so. Das gilt nicht für ganz Polen. Aber dadurch, dass der Katholizismus und der Glaube so stark sind, ist es normal, wenn jemand sagt: 'Ich gehe zum Pfarrer, der wird für mich beten.' Der Pfarrer ist die Ansprechperson Nummer eins.

Es gibt immer mehr Exorzisten in Polen – aber nicht weil Polen so katholisch wäre, wie Sie eingangs sagten, sondern weil die Zahl der Gläubigen sinkt?

Die Antwort ist komplex. Auf der ganzen Welt wächst die Pfingstbewegung. Alle zehn Stunden wird irgendwo eine Pfingstkirche eröffnet. Das kommt auch in Polen an, als eine starke Konkurrenz zum Katholizismus. Und auch innerhalb des Katholizismus gibt es eine konservative Bewegung, nämlich die "Charismatische Erneuerung". Sie ist in Polen ungemein stark. Im Zuge eines "hybriden Krieges", der da zur Zeit in der katholischen Kirche Polens abläuft, wie mir ein Wissenschaftler im Interview sagte, entstehen auch neue Formen des Glaubens, unter anderem der Exorzismus.

Zum Buch Wo der Teufel wohnt von Nadine Wojcik

92 Prozent der Polen sind Katholiken

Teufelsaustreibung ist also ein Instrument der Re-Evangelisierung?

Ja, der Exorzist, mit dem ich gesprochen habe, sagte, Exorzismus ist nichts anderes als die Evangelisierung der Menschen.

Und wer sind die Exorzisten?

Sie sind nichts anderes als Pfarrer und sie spielen eine große Rolle. Gewisse Pfarrer bekommen vom Bischof ein Dekret und sind damit Exorzisten. Die kriegen keine Schulung, die kriegen einfach Bescheid. Sie werden zu Pfarrern mit Sonderaufgaben. Aber natürlich ernennt der Bischof nicht Hinz und Kunz oder jeden Feldpfarrer zum Teufelsaustreiber, sondern in der Regel wählt er angesehene und erfahrene Kollegen.

Ihre Recherche war schwierig, schreiben Sie. Worin, würden Sie sagen, besteht der Neuigkeitswert Ihres Buches?

Wir erleben zurzeit eine Radikalisierung aller Gesellschaften. Jedes Land hat seine eigene Form, damit umzugehen: In den USA wird Trump gewählt, in islamischen Gesellschaften haben wir es mit ISIS zu tun. Und in Polen äußert es sich darin, dass sich der Glaube in eine bestimmte Richtung fundamentalisiert. Ich will sagen: Rationalität und vernünftiges intellektuelles Denken, wie wir es seit der Aufklärung kennen, sind momentan offensichtlich nicht so gefragt.

Das Reportagebuch "Wo der Teufel wohnt" ist im Berliner Verlag mikrotext erschienen. Mit der Autorin Nadine Wojcik, die auch für die Deutsche Welle arbeitet, sprach Stefan Dege.

 

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