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10-Sekunden-Stimmtest zur Erkennung von Diabetes Typ-2

13. November 2023

Typ-2-Diabetes kann von Künstlicher Intelligenz mit hoher Genauigkeit an der Stimme erkannt werden. Die Stimmanalyse als Diagnoseinstrument bietet viele Möglichkeiten, aber auch große Risiken.

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Frau spricht in ihr Handy
Bei der Stimmanalyse werden vor allem Faktoren wie Sprachmelodie, Rhythmus, Pausen und Tonhöhen untersucht. Bild: PantherMedia/picture alliance

Medizinische Diagnosen mittels Stimmanalysen werden immer präziser. Insbesondere bei Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer kann die Analyse von Sprachmustern wertvolle Hinweise liefern.

Auch psychische Störungen, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen oder Herzkrankheiten lassen sich per Stimmanalyse feststellen. Anzeichen von verengten Gefäßen oder Erschöpfung sind für Künstliche Intelligenz (KI) hörbar. Mediziner können so frühzeitiger behandeln und das Risiko für Patienten reduzieren.

Laut einer im Fachmagazin Mayo Clinic Proceedings: Digital Health veröffentlichten Studie kann jetzt anhand einer kurzen Sprachsequenz mit erstaunlicher Genauigkeit festgestellt werden, ob jemand an Diabetes Typ 2 erkrankt ist.

Unbekanntes Risiko

Die Technik soll dabei helfen, Menschen mit nicht diagnostiziertem Diabetes zu identifizieren. Weltweit leben etwa 240 Millionen Erwachsene mit Diabetes, ohne es zu wissen. Und fast 90 Prozent der Diabetesfälle sind Typ-2-Diabetes, so die International Diabetes Federation. Menschen mit Typ-2-Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten wie Herzinfarkte, Schlaganfälle und Probleme mit der Durchblutung der Beine und Füße.

Eine Diagnose per Stimmanalyse würde die Erkennung deutlich erleichtern, denn für die häufigsten Diagnosetests muss man zur Ärztin oder zum Arzt gehen. Das gilt für den Nüchternblutzuckertest (FBG), den oralen Glukosetoleranz-Test (oGTT) und den glykosylierten Hämoglobinwert-Test (A1C). Dieser Test wird durchgeführt, um den Durchschnittswert des Blutzuckerspiegels über zwei bis drei Monate zu messen.

Mann macht einen Blutzuckertest
Menschen mit Typ-2-Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für Herz- und Gefäßkrankheiten wie Herzinfarkte und SchlaganfälleBild: Andrey Popov/imago-images

Wie funktioniert die Stimmanalyse?

Bei der Stimmfrequenzanalyse werden für das menschliche Ohr nicht hörbare Veränderungen in der menschlichen Stimme von Künstlicher Intelligenz analysiert. Für die Analyse reichen schon Mitschnitte von Telefongesprächen.

Dabei werden vor allem Faktoren wie Sprachmelodie, Rhythmus, Pausen und Tonhöhen untersucht. Bei bestimmten Krankheitsbildern gibt es charakteristische phonetische Merkmale, wie zum Beispiel der Vokal A über einen Zeitraum von fünf Sekunden ausgesprochen wird.

Bis zu 200.000 verschiedene Merkmale kann die menschliche Stimme aufweisen. Die künstliche Intelligenz und entsprechende Algorithmen können aus der Stimme eindeutige Stimmmuster heraussuchen, die zu bestimmten Krankheitsbildern passen.

Erstaunlich genaue Diagnose

Die jetzt neu entwickelte KI diagnostiziert anhand von sechs bis zehn Sekunden Stimmaufzeichnung veränderte Tonhöhen und die Intensität der Stimme. In Kombination mit grundlegenden Gesundheitsdaten wie Alter, Geschlecht, Größe und Gewicht kann die KI dann erkennen, ob die Person an Typ-2-Diabetes leidet.

Und das erstaunlich genau: Da die Veränderungen der Stimme bei Männern und Frauen variieren, ist die Genauigkeit zwar unterschiedlich. Aber bei Frauen lag sie bei 89 Prozent und bei Männern bei 86 Prozent.

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Unterscheidbare akustische Merkmale

Für die Programmierung der KI hatten die Forschenden um Jaycee Kaufman von der Ontario Tech University die Stimmen von 267 Personen aufgezeichnet, die entweder nicht unter Diabetes leiden oder bei denen bereits Typ-2-Diabetes diagnostiziert worden war. Über zwei Wochen sprachen die Probanden täglich sechsmal täglich einen kurzen Satz in ihr Smartphone.

Aus den so gewonnenen über 18.000 Sprachproben wurden 14 akustische Merkmale herausgefunden, die sich bei nicht-diabetischen und Typ-2-diabetischen Personen unterscheiden. "Aktuelle Erkennungsmethoden können viel Zeit, Reisen und Kosten in Anspruch nehmen. Die Sprachtechnologie hat das Potenzial, diese Hindernisse vollständig zu beseitigen", so Jaycee Kaufman, Erstautorin der Studie und Forscherin bei Klick Labs.

In Zukunft möchte das Unternehmen Klick Labs untersuchen, ob auch andere Krankheiten wie Bluthochdruck und Prädiabetes anhand der Stimme erkannt werden können.

Risiken der Stimmfrequenzanalyse

Befürworter der Stimmanalyse als diagnostisches Instrument weisen immer auf die Schnelligkeit und Effizienz hin, mit der Krankheiten anhand der Stimme diagnostiziert werden können.

Auch wenn die von KI-unterstützten Tools bereits sehr genaue Angaben machen, reichen einige Stimmproben nicht aus, um tatsächliche eine fundierte Diagnose zu stellen. Auch das Risiko von falsch positiven Ergebnissen und Überdiagnosen bleibt groß. Letztlich muss eine Beurteilung immer durch menschliche Expertise geschehen.

Hinweise, keine medizinische Diagnose

Das gibt explizit auch für psychische Erkrankungen. Möglicherweise kann die Tonalität der Stimme etwa einen Hinweis auf Depressionen geben, aber Klarheit bringt nur die fundierte Untersuchung des Menschen.

KI kann zwar anhand von Stimmanalysen erkennen, wenn jemand zum Beispiel unstrukturierter und impulsiver als gewöhnlich spricht, aber ob dies tatsächlich mit ADHS, also einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in Zusammenhang steht, kann nur durch medizinisches Fachpersonal geklärt werden.

Missbrauch nicht auszuschließen

Kritiker und Datenschützer verweisen zudem immer wieder auf die enorme Missbrauch-Gefahr etwa beim Einsatz von Stimmanalysen, beispielsweise durch Arbeitgeber oder im Call-Center von Krankenversicherungen. Die Gefahr besteht, dass Sprachanalysesysteme ohne ausdrückliche Zustimmung genutzt werden und Kunden oder Mitarbeitende aufgrund von persönlichen Gesundheitsinformationen benachteiligt werden.

Ebenso könnten sensible medizinische Informationen vergleichsweise leicht weitergegeben, gehackt, verkauft oder sonst wie missbräuchlich genutzt werden. Klare Regelungen und Grenzen für die Stimmanalyse als Diagnoseinstrument kann aber nicht die Wissenschaft, sondern ausschließlich die Politik festlegen.

 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund