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Bücher, Filme und Kunst über "9/11"

Christine Lehnen
10. September 2021

Vom Netflix-Drama "Worth" bis zur riesigen Panorama-Installation: Noch immer sind die Terroranschläge vom 11. September 2001 in der Kunst ein Thema.

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Die Silhouetten von zwei Feuerwehrleuten vor einem Hochhaus, in dessen Fenstern sich sie Sonne spiegelt
Zwei Feuerwehrleute in den Trümmern der Terroranschläge vom 11. September in New YorkBild: picture alliance / Newscom

Am 11. September 2001 wurden die weltberühmten Zwillingstürme des World Trade Center in New York Ziel eines beispiellosen Terroranschlags. Al-Qaida-Terroristen kaperten Passagiermaschinen US-amerikanischer Airlines und flogen damit in die beiden Wolkenkratzer hinein. Rund 3000 Menschen starben, als die Türme in sich zusammenstürzten. Zwei weitere gekaperte Flugzeuge stürzten ins Pentagon und auf einem Feld in Pennsylvania ab, nachdem die Passagiere des letzten Fluges per Abstimmung entschieden hatten, zu versuchen, die Terroristen zu überwältigen.

Die Terroranschläge sind als Zeitenwende in die Geschichte eingegangen, waren Auslöser für den Krieg in Afghanistan und im Irak. Auch 20 Jahre später beschäftigt die Kunst und Kultur sich noch mit "9/11". Von der Architektur über die bildende Kunst, Film und Fernsehen bis hin zur Literatur fragen sich Künstler: Wie kann man trauern? Wie baut man eine Stadt wieder auf? Und: Was hätte man besser machen müssen?

1. Architektur: "Ground Zero", Daniel Libeskind

Das One World Trade Center ist durch eine New Yorker Häuserschlucht zu sehen.
Das "One World Trade Center" misst 1776 Fuß. Kein Zufall: Im Jahr 1776 erklärten die Vereinigten Staaten ihre UnabhängigkeitBild: picture-alliance/dpa/C. Horsten

Heute befindet sich am "Ground Zero", wie der Ort, wo einst die Zwillingstürme standen, seit den Anschlägen heißt, unter anderem ein öffentlicher Platz, der von den New Yorkern viel genutzt wird, und außerdem das One World Trade Center, ein neuer Wolkenkratzer von 541 Metern Höhe.

Daniel Libeskind: Meister der Zeichen

Gestaltet wurde "Ground Zero" ursprünglich vom US-amerikanischen Architekten Daniel Libeskind. "Es war ein sehr wichtiges Projekt, denn es ist noch gar nicht vorbei. Städte haben ein langes Leben", erklärt Libeskind; er arbeite noch immer am "Ground Zero", berichtete der renommierte Architekt, der auch für das jüdische Museum in Berlin verantwortlich zeichnet, der DW bereits im Frühjahr dieses Jahres. "Es sollte ein echtes Viertel werden, ein Teil der Stadt, und das ist es inzwischen, es erblüht geradezu." Früher, so Libeskind, habe man dort um 18 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt, es sei Teil der Wall Street gewesen, habe nur aus "dunklen Gräbern des Geldes" bestanden. Inzwischen gebe es Restaurants, Schulen, Wohnungen. Außerdem befindet sich hier das Herzstück des "Ground Zero", die Gedenkstätte an "9/11": zwei neun Meter tief in den Boden eingelassene Wasserbecken, die an die Fundamente der Türme erinnern, die nun nicht mehr dort stehen, und an die Namen derer, die gestorben sind.

2. Bildende Kunst: "New York 9/11", Yadegar Asisi

Yadegar Asisi sitzt im Atelier am Tisch, voll mit Farben und Stiften, und entwirft auf Papier das Panorama
Der Künstler Yadegar Asisi bei der Arbeit an seinem Panorama zu "9/11"Bild: asisi

Es war der Künstler Yadegar Asisi, geboren in Wien und aufgewachsen in Halle und Leipzig, der Libeskind dabei half, seine Vision für die Gedenkstätte des "Ground Zero" zu realisieren: Asisi ist spezialisiert auf 360°-Panoramen. Mit so einem Panorama half er Libeskind dabei, den Wettbewerb über die Gestaltung des "Ground Zero" zu gewinnen.

Heute arbeitet Asisi wieder zum 11. September: Sein Panorama "New York 9/11" soll es Besuchern ermöglichen, in das New York des Jahres 2001 einzutauchen - und genau die fünf Minuten zu erleben, bevor das erste Flugzeug den nördlichen der beiden Zwillingstürme trifft. Im Telefongespräch mit der DW erklärt er die Ausgangsidee seines Kunstwerks: "Ich bringe den Menschen in diese Position, in der er weiß, dass sich sein Leben innerhalb der nächsten fünf Minuten ändern wird und die ganze Welt mit ihm, ob er will oder nicht." Es sei selten, führt der Künstler aus, dass es solch einen globalen Erinnerungsmoment gebe: Jeder und jede wisse noch, wo er oder sie gewesen sei, als die Türme einstürzten. "Erinnerung hat nur Sinn, wenn sie emotional besetzt ist, nur so kann sie für oder gegen etwas verwendet werden", erklärt Asisi.

Zeitreise: Das Mauerpanorama in Berlin

Er plant sein Panorama in eine Ausstellung einzubetten, die sich auf die Folgen der Terroranschläge konzentrieren wird, persönliche Entscheidungen, die er traf, sollen darin ebenso vorkommen wie weltpolitische, wie die Kriege in Afghanistan und im Irak. Diese sieht er besonders kritisch. Er beschreibt "New York 9/11" als sein viertes Antikriegspanorama.

3. Film und Fernsehen: "Worth", Sara Colangelo

Bereits im Sommer 2021 ist auf Netflix der Film "Worth" erschienen, hochkarätig besetzt mit Stanley Tucci und Michael Keaton, der seine Premiere beim renommierten Sundance-Filmfestival feierte. Darin geht es um den Anwalt Ken Feinberg, der damit beauftragt wurde, die Entschädigungsforderungen der Angehörigen der Opfer des Anschlags zu bündeln. Auch dieser Film geht kritisch mit den politischen Entscheidungen um, die in den USA nach den Terroranschlägen getroffen wurden. Wie bemisst man den Wert eines Lebens? Diese Frage steht im Zentrum des Films "Worth" der Regisseurin Sara Colangelo.

Eine Szene aus dem Film "Worth" zeigt Stanley Tucci und Michael Keaton
Bekamen für ihre Darstellung in "Worth" gute Kritiken: Michael Keaton (l.) und Stanley Tucci (r.)Bild: Monika Lek / Netflix

Colangelo stellt die Hinterbliebenen der Anschläge in den Vordergrund - so entsteht ein Porträt der Opfer, das gemalt wird durch die Erinnerung ihrer Partner, Familie, Freunde, die von ihnen berichten. Weder ist der Film sentimental wie "Remember Me" (2010) mit Schauspieler Robert Pattinson noch verherrlicht er Folter, wie Kritiker Kathrin Bigelow für ihren Film "Zero Dark Thirty" (2012) vorwarfen. Er widmet sich nicht vermeintlichen Heldengeschichten oder verstrickt sich in eine Kontroverse um Verschwörungstheorien, wie die aktuelle HBO-Dokumentation des Regisseurs Spike Lee; nach einem Proteststurm musste Lee gut dreißig Minuten der Dokumentation kürzen, da darin Verschwörungstheorien über die Anschläge verbreitet wurden. Stattdessen gelingt es Sara Colangelo mit "Worth" das Portät traumatisierter und trauernder Menschen zu zeichnen, die nicht davon träumen, dass Rache genommen wird, sondern, dass man sich an ihre Verstorbenen erinnert.

4. Bücher: "Die Macht der Gewaltlosigkeit", Judith Butler

Buchcover Judith Butler Die Macht der Gewaltlosigkeit
Die US-amerikanische Professorin Butler beklagt, dass nicht-amerikanische Opfer der Kriege in Afghanistan und im Irak nicht angemessen betrauert würden.Bild: Suhrkamp

Auch in der Literatur wird schon lange die Frage der Trauer und des Traumas behandelt, in den USA und auf der ganzen Welt. Der US-amerikanische Autor Jonathan Safran Foer schuf mit "Extrem laut und unglaublich nah" (2005) einen modernen Klassiker über einen kleinen Jungen, der seinen Vater bei den Anschlägen verloren hat und durch New York streift. "Frankenstein in Bagdad" (2018) des irakischen Autors Ahmed Saadawi hingegen spielt im von den USA und ihren Partnern besetzten Bagdad: Ein Mann namens Hadi, der eigentlich bloß Müll verkaufen, Ouzo trinken und mit Prostituierten schlafen möchte, beginnt eines Tages, Körperteile von der Straße aufzulesen. Er möchte, dass diese Überbleibsel derer, die Terroranschlägen in der irakischen Hauptstadt zum Opfer fallen, bestattet werden. Also näht er verschiedene Körperteile zusammen - in der Hoffnung, einen Leichnam zu erschaffen, den man begraben kann.

Drama über 11. September auf der Berlinale

Auch eine der wichtigsten Denkerinnen der USA, Judith Butler, Professorin für Philosophie an der renommierten Berkeley-Universität, beschäftigt sich seit 20 Jahren mit "9/11". Als Reaktion auf den 11. September begann sie darüber nachzudenken, welches Leben in den USA als betrauernswert betrachtet wird - und welches nicht. Erst 2020 hat sie ihr neuestes Buch dazu veröffentlicht: "Die Macht der Gewaltlosigkeit". Sie ruft zu einem Umdenken in den USA auf, das Kriege verhindern und Menschenleben betrauerbar machen soll, ganz egal, ob diese in New York sterben oder in Afghanistan, welche Hautfarbe sie haben oder welcher Nationalität sie angehören.

20 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September sind die USA ein anderes Land. Kunst und Kultur zeigen, wie sehr sich das Selbstbild in zwei Jahrzehnten gewandelt hat: von der unverwundbaren Großmacht zu einem Land, das sich noch immer fragt, wie es möglich ist zu trauern.