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Afghanistans Gesundheitssystem steht vor dem Zusammenbruch

Shabnam von Hein
18. Februar 2024

Seit der Machtübernahme der Taliban verlassen viele Ärzte Afghanistan. Außerdem fehlen internationale Hilfsgelder. Das Gesundheitssystem droht zu kollabieren. Frauen und Kinder leiden am meisten.

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Afghanistan Kabul | Krankenhaus, Kinder mit Lungenentzündung
Bild: Ali Khara/REUTERS

"Der Verlust der ausländischen Entwicklungshilfe und die Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban haben in Afghanistan eine katastrophale Gesundheitskrise ausgelöst", alarmierte Human Rights Watch am Montag, dem 12. Februar, die Welt. In ihrem Bericht betont die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation, dass von dieser Situation unverhältnismäßig stark vor allem Frauen und Mädchen betroffen sind.

Die Taliban haben die Bewegungsfreiheit und Beschäftigung von Frauen bei humanitären Organisationen drastisch eingeschränkt und damit den Zugang von Frauen und Mädchen zu Gesundheitsdiensten erheblich beeinträchtigt. Gleichzeitig haben Bildungsverbote für Frauen und Mädchen fast alle Ausbildungsmöglichkeiten für zukünftige weibliche Gesundheitsfachkräfte im Land blockiert.

Afghanistan: Systematische Unterdrückung von Frauen

Die desaströse Situation des Gesundheitssystems sei seit langem bekannt, sagt der renommierte afghanische Arzt Sayed Abdullah Ahmadi im Gespräch mit der DW. Dr. Ahmadi war bis zur Machtübernahme der Taliban im August 2021 der Direktor des Sardar Mohammad Dawood Khan Krankenhauses, eines der modernsten Krankenhäuser der afghanischen Hauptstadt Kabul. Heute lebt er wie Tausende seiner Kollegen im Exil. Sich einer Handvoll Analphabeten zu unterwerfen und deren Regime die Treue zu schwören, sei für ihn nicht möglich gewesen. "Die Taliban hören auf niemanden", sagt er und betont: "Sie wurden lange vor dem Kollaps des Gesundheitssystems gewarnt. Trotzdem setzen sie ihre Politik fort."

Kein Geld für Medikamente

Aufgrund von Menschenrechtsverletzungen - insbesondere der Unterdrückung von Frauen - nach der Machtübernahme durch die Taliban, haben viele ausländische Geldgeber ihre finanzielle Unterstützung für Afghanistan deutlich reduziert oder ganz eingestellt. Afghanistan ist in hohem Maße auf diese Hilfen angewiesen. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes betrug im Jahr 2020, noch vor der Machtübernahme der Taliban, lediglich rund 20 Milliarden Dollar. Laut der Weltbank machten Hilfsgelder fast 43 Prozent dieser Summe aus. Nach der Machtübernahme der Taliban wurde nicht nur der Geldfluss gestoppt; es wurde auch der Großteil von Afghanistans Währungsreserven im Ausland eingefroren.

Afghanistan: Millionen leiden an Hunger und Kälte

Das Ergebnis: der Verlust von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen in Afghanistan. Viele Menschen sind in extreme Armut abgerutscht. "Die Menschen haben kaum etwas zum Essen. Viele können sich Ausgaben für medizinische Versorgung nicht leisten", sagt Dr. Ahmadi und fügt hinzu: "Wer krank wird, muss alles selbst bezahlen, angefangen von einem Röntgenbild bis zu den Medikamenten. Die Situation in ländlichen Gebieten ist noch viel schlimmer. Es mangelt an Fachkräften und Personal. Ärztinnen dürfen nicht mehr arbeiten, und der Zugang zu Universitäten und Medizinschulen wurde Frauen untersagt."

Kinder und Frauen leiden 

Diese Situation sei lebensbedrohlich für viele Afghanen, insbesondere für Kinder und Frauen, betont Ahmadi. Afghanistan ist ein Land mit einer sehr jungen Bevölkerung. Das Durchschnittsalter liegt gerade einmal bei 19 Jahren und selbst dieses Alter zu erreichen, ist nicht die Regel. Viele Kinder in Afghanistan sterben bereits in den ersten Lebensmonaten und -jahren. Laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) gehört die Kindersterblichkeit dort zu den höchsten weltweit.

Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 hat sich die Situation der Menschen im Land kontinuierlich verschlechtert. Viele Kinder leiden unter Nahrungsmangel, einige von ihnen sind lebensbedrohlich unterernährt. Hunderttausende Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht oder suchen Zuflucht in den Nachbarländern. Mehrere Millionen Kinder können nicht zur Schule gehen, wobei besonders viele Mädchen betroffen sind, da sie in Afghanistan stark diskriminiert werden. Auch viele junge Mütter leiden stark unter diesen Umständen.

Mangel an Fachkräften

Wenn Ressourcen knapp sind, stellen Frauen ihre eigenen Bedürfnisse oft zurück. "Selbst wenn es um ihre Gesundheit geht", sagt Niloufar Nikseyar im Gespräch mit der DW. Die ehemalige Dozentin der Universität in Herat fügt hinzu: "Das Gesundheitssystem wird derzeit noch von einigen wenigen Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen getragen. Viele Hilfsorganisationen haben Afghanistan verlassen, da ihre weiblichen Mitarbeiter nicht mehr arbeiten dürfen. Es mangelt hier an Fachkräften. Früher hatten wir viele renommierte Ärztinnen und Ärzte in Afghanistan. Vor der Machtübernahme der Taliban war unser Gesundheitssystem so weit entwickelt, dass Menschen zur Behandlung schwerer Krankheiten wie Krebs nicht mehr nach Pakistan, Indien oder in den Iran reisen mussten."

Niloufar kann nachvollziehen, warum viele Ärzte und gut ausgebildete Fachkräfte geflohen sind. "Allein die Schließung weiterführender Schulen für Mädchen ab der sechsten Klasse ist Grund genug, das Land wegen der Zukunft der eigenen Kinder zu verlassen. Es schmerzt jedoch zu sehen, wie wir in eine Katastrophe schlittern und alles von Tag zu Tag schlimmer wird."

Afghanische Mädchen sehnen sich nach Schule