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Bauernproteste: Aus ganz Deutschland nach Berlin

15. Januar 2024

Tausende Bauern haben sich mit ihren Traktoren im Regierungsviertel versammelt - unterstützt vom Handwerk und dem Transportgewerbe. Finanzminister Lindner wird ausgebuht.

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Viele Traktoren stehen in langen Reihen vor dem Brandenburger Tor
Tausende Landwirte mit ihren Traktoren vor dem Brandenburger Tor in Berlin Bild: Jochen Eckel/picture alliance

Traktoren, Lastwagen und andere Fahrzeuge stehen dicht hintereinander an der Straße des 17. Juni und auf dem Boulevard Unter den Linden rund um das Brandenburger Tor in Berlin. Schon in der Nacht zum Montag waren Traktorkolonnen mit Hupkonzerten Richtung Regierungsviertel durch die deutsche Hauptstadt gerollt.

Die Demonstranten haben auf ihren Fahrzeugen Transparente mit Slogans angebracht wie "Tank leer - aus die Maus", "Ohne Landwirte keine Zukunft" und "Transport made in Germany - wie lange noch?". Auf anderen Schildern ist von Regierungsversagen die Rede, von Unrecht, Veruntreuung, Vetternwirtschaft und Kriegstreiberei. Zu sehen ist auch ein Modell eines Galgens, an dem in Anspielung auf die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Liberalen eine Ampel hängt. An der Siegessäule tragen Demonstranten Westen mit der Aufschrift "Wir sind das Volk". 1300 Polizisten sind rund um die Demonstration im Einsatz.

Menschen mit gelben Warnwesten, auf denen steht: "Wir sind das Volk" vor der Siegessäule in Berlin
Protestierende Landwirte vor der Siegessäule in Berlin Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Bauern verlangen Rücknahme der Subventionskürzungen

Die Regierung habe es selbst in der Hand, betonte der Präsident des Bauernverbandes, Joachim Rukwied, bei der Großkundgebung vor weit mehr als 10.000 Unterstützern in Berlin. Sollte sie zurückrudern, würden die Traktoren abziehen, sagte er. Es geht um das Aus von Diesel-Vergünstigungen für die Landwirtschaft. "Zu viel ist zu viel. Nehmen sie die Vorschläge zurück." Rukwied forderte einen Neuanfang. "So kann es nicht weitergehen." Die Großdemonstration sei ein Signal an die Politik.

Joachim Rukwied und Christian Lindner hinterm Rednerpult bei den Bauernprotesten in Berlin
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, (l.) spricht vor Finanzminister Christian Linder, der hier neben ihm auf der Bühne steht Bild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Die Großkundgebung in Berlin ist der Höhepunkt einer Aktionswoche, mit der Landwirte in den vergangenen Tagen bundesweit gegen bereits abgeschwächte Pläne der Ampel-Koalition mobil gemacht haben. Dem Bauernverband reichen die Korrekturen nicht, er fordert die volle Rücknahme der Mehrbelastungen.

Bauern fühlen sich gegängelt

Für Einsparungen im Haushalt 2024 soll die seit mehr als 70 Jahren bestehende Agrardiesel-Begünstigung wegfallen. Noch können sich Betriebe die Energiesteuer teilweise zurückerstatten lassen - mit einer Vergütung von 21,48 Cent pro Liter. Ursprünglich sollte die Hilfe sofort ganz wegfallen. Nun soll sie über drei Jahre auslaufen. Eine zunächst geplante Streichung auch der Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge hat die Regierung fallen gelassen.

Christian Lindner wird ausgebuht 

Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner ergriff bei der Kundgebung das Wort. Vor Beginn seiner Rede vor dem Brandenburger Tor wurde der Minister lautstark mit Pfiffen und Buhrufen empfangen. Erst nach einem beschwichtigenden Appell von Bauernpräsident Rukwied konnte er anfangen.

Der Protest sei legitim und friedlich, begann der FDP-Minister seine Rede. Er sei beeindruckt vom Zusammenhalt der Protestierenden. Lindner würdigte die harte Arbeit in der Landwirtschaft. Gleichzeitig warnte er davor zu glauben, Steuererhöhungen seien der bessere Weg, um die Finanzen zu regulieren. Jede Branche müsse ihren Beitrag leisten, dies tue auch die Regierung. Es müsse auch einen fairen Beitrag der Landwirtschaft geben.

Christian Lindner auf der Rednerbühne
Die Stimmung ist aufgeheizt - Finanzminister Christian Lindner muss seine Rede immer wieder kurz unterbrechen Bild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Man sollte nicht über den Agrardiesel streiten, sondern über die Situation in der Landwirtschaft generell sprechen, schlug Lindner vor. Er könne nicht mehr staatliche Hilfe aus dem Bundeshaushalt versprechen, aber es könne mehr Freiheit für die Arbeit der Bauern geben. Er sei dazu bereit, über Bürokratieabbau zu reden. Die Bundesregierung muss wegen eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts Milliardenlöcher im Bundeshaushalt stopfen.

Die ganze Zeit über wurde der Finanzminister beschimpft und ausgebuht. Teilnehmer der Kundgebung skandierten "Lindner muss weg", "Hau ab". Immer wieder gab es Pfiffe und Zwischenrufe.

SPD: Entlastung für Landwirtschaft 

Die regierende Koalition sagte inzwischen der Landwirtschaft angesichts breiter Proteste  Entlastungen zu. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte nach einem Gespräch der Ampel-Fraktionschefs mit Vertretern der Bauernverbände, die Koalition plane bis zur Sommerpause strukturelle Entscheidungen, die der Landwirtschaft Planungssicherheit und Entlastungen geben sollten. Zu einer Agrardebatte am Donnerstag im Bundestag wolle die Koalition einen Entschließungsantrag mit einem Fahrplan für konkrete Erleichterungen bis zur Sommerpause einbringen.

Auch Spediteure und Handwerker demonstrieren

Die Bauern wurden in ihrem Protest in Berlin von zahlreichen angereisten Handwerkern und dem Transportgewerbe unterstützt. "Unserer Branche reicht es auch", rief der Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), Dirk Engelhardt, zum Auftakt vor den tausenden Demonstranten am Brandenburger Tor.

Engelhardt kritisierte deutlich die zum vergangenen Dezember erhöhte Lastwagen-Maut, die seitdem auch einen Aufschlag für den Ausstoß klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) enthält. Es heiße, diese Abgabe solle der Transformation zugutekommen, gleichzeitig mangele es aber unter anderem an geeigneten Ladestationen und Stromnetzen, um den Logistikverkehr klimafreundlich umzustellen, kritisierte der Branchenvertreter.

"Unsere Mittelständler halten das nicht mehr durch", warnte Engelhardt und drohte weitere Demonstrationen für den Fall an, dass die Ampel-Regierung der Branche nicht entgegenkomme. Würden zwei oder drei Tage lang keine Güter von den BGL-Mitgliedern transportiert, "dann haben wir das blanke Chaos".

Lastwagen, Traktoren und andere Fahrzeuge blockieren die Bismarckstraße in Berlin
Lastwagen, Traktoren und andere Fahrzeuge blockieren auch die Bismarckstraße in Berlin Bild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Auch der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) steht hinter den protestierenden Bauern. "Der Mittelstand steht solidarisch zusammen, die Landwirte sind auch Mittelstand", sagte der Vorsitzende der BVMW-Bundesgeschäftsführung, Christoph Ahlhaus, der Deutsche Presse-Agentur. "Die Leistungsträger in diesem Land werden zunehmend ignoriert in ihren (...) existenziellen Sorgen", sagte der ehemalige Hamburger Bürgermeister und CDU-Politiker weiter.

Blick von oben auf Kolonnen von Traktoren und andere Fahrzeuge
Viele Straßen im Regierungsviertel sind durch die Proteste blockiert Bild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Für Samstag steht in Berlin die nächste Demonstration von Bäuerinnen und Bauern an. Ein Bündnis aus 60 Agrar-, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen ruft zum Auftakt der Internationalen Grünen Woche wieder zu einer "Wir haben es satt"-Demonstration durch das Berliner Regierungsviertel auf.

Demonstriert werde für eine bäuerliche und umweltgerechte Landwirtschaft, für faire Erzeugerpreise und gegen den Ausverkauf von Landwirtschaft an Großkonzerne und Agrar-Barone, kündigten die Veranstalter in Berlin an.

se/kle (dpa, afp, rtr, phoenix)

Bauernproteste: Wut gegen Ampel-Regierung bricht sich Bahn