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Beckedahl fordert mehr "Landesverrat"

Kay-Alexander Scholz, Berlin4. September 2015

Im Sommer stand die Affäre um "Netzpolitik.org" in Deutschland auf allen Titelseiten. Die Aufregung hat sich etwas gelegt. Blogger Markus Beckedahl sieht sich eher gestärkt und bekommt auch Unterstützung aus der Politik.

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Der netzpolitische Aktivist Markus Beckedahl, Gründer von "Netzpolitik.org" (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa

"Ich bin ein staatlich geprüfter Landesverräter", stellte sich ein ironisch-lächelnder Markus Beckedahl auf der Konferenz zum 11. Geburtstag seines Blogs "Netzpolitik.org" vor. Der Internet-Aktivist hat die turbulenten Wochen im Juli und August sichtlich gut überstanden. Dabei war der Vorwurf, er und seine Redaktion hätten durch die Veröffentlichung von geheimen Dokumenten des Verfassungsschutzes Landesverrat begangen, alles andere als eine Petitesse. Schließlich hätte eine jahrelange Gefängnisstrafe die Folge sein können. Landesverrat hätten sie auch niemals vorgehabt, so Beckedahl. Es sei ihnen vielmehr um eine Kultur der Aufklärung gegangen.

Zur Erinnerung: Als die deutsche Presseöffentlichkeit im Sommer von den Ermittlungen gegen Beckedahl und seinen Kollegen André Meister erfahren hatte, entfachte die Nachricht einen regelrechten Proteststurm in alten und neuen Medien. Der gemeinsame Tenor: Das hohe Gut der verfassungsrechtlich geschützten Pressefreiheit sei in Gefahr!

Der Druck auf die Politik wuchs. Generalbundesanwalt Harald Range wurde als Hauptverantwortlicher in den Ruhestand versetzt. Schließlich stellten die Behörden die Ermittlungen gegen die Blog-Betreiber ein.

Affäre noch nicht aufgeklärt

Inzwischen habe er Einsicht in seine Ermittlungsakten nehmen können, sagte Beckedahl vor den rund 200 Konferenzteilnehmern in der Berliner Kulturbrauerei. Aber die Akten seien wohl nicht vollständig. Sie wüssten noch immer nicht, ob sie bereits vom Verfassungsschutz überwacht worden seien oder nicht. Dessen Präsident, Hans-Georg Maaßen, sei aber ein "Haupttäter" der Affäre.

Offen sei derzeit auch noch, wer in der Politik Range gedeckt oder zumindest von der Strafanzeige gewusst habe. Kanzleramt und Innenministerium weisen seitdem eine Mitverantwortung konsequent von sich. "Doch das Innenministerium hat mehr Dreck am Stecken als bisher gedacht", sagte Beckedahl am Rande der Veranstaltung.

Jetzt erst recht!

Den Proteststurm in der deutschen Öffentlichkeit habe er als große Solidaritätsbekundung wahrgenommen, so Beckedahl. Inzwischen sei daraus bei vielen eine "Jetzt-erst-recht-Mentalität" erwachsen. Weshalb er davon ausgehe, dass der Aufklärungswille nun eher noch gewachsen sei.

Lichtinstallation auf der Bühne der "Netzpolitik"-Konferenz in Berlin (Foto: DW)
Lichtinstallation auf der Bühne der "Netzpolitik"-Konferenz in BerlinBild: DW/K.-A. Scholz

Mit "Aufklärung" beschrieb Beckedahl das Veröffentlichen von Originaldokumenten. Journalisten sollten nicht nur aus Dokumenten zitieren, sondern dem Leser den gesamten Text zur Verfügung stellen, so Beckedahl. Er jedenfalls gebe die Kontrolle gern ab. Wenn es dazu diene, einen Mehrwert zu erzeugen, verschiedene Perspektiven auf ein Thema abzufragen.

Whistleblower-Schutz

Doch was Beckedahl damit vordergründig anpreist, ist Whistleblowing, also das Veröffentlichen von - geheimen - Dokumenten, so wie es Wikileaks oder Edward Snowden praktizieren. Und er fordert von der Politik ein Okay dafür.

Die Bundesregierung aber tut sich noch schwer damit, Whistleblowing zu legalisieren. Seit Jahren - im Juni im Bundestag erneut geschehen - werden Gesetzesinitiativen der Linkspartei und der Grünen abgeblockt. Diese plädieren dafür, Whistleblowern rechtlichen Schutz zu gewähren. Derzeit muss zum Beispiel jemand, der auf Missstände in einem Unternehmen öffentlich hinweist, mit seinem Rausschmiss rechnen.

"Wir brauchen in Deutschland ein Whistlewblower-Gesetz", forderte Beckedahl nun erneut. Das gehöre zur Pressefreiheit dazu. Deutschland sei in diesem Punkt ein Entwicklungsland.

Heißer Herbst der Netzpolitik

Aber es gibt noch mehr Themen, die Beckedahl und sein Team umtreiben. Von einem "heißen Herbst der Netzpolitik" sprach Beckedahl sogar, weil aktuell zwei wichtige Entscheidungen anstünden. Erstens stehe das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vor der parlamentarischen Verabschiedung. "Da müssen wir uns einmischen", forderte Beckedahl. Internetaktivisten in Deutschland lehnen die Wiedereinführung dieser "anlasslosen und unverhältnismäßigen Massenüberwachung", wie es auf der Konferenz hieß, strikt ab.

Zweitens endet in wenigen Wochen die so genannte Trialog-Phase zwischen EU-Parlament, EU-Rat und Kommission zum Thema Netzneutralität in Europa. Der bisherige Entwurf in Brüssel wurde auf der Konferenz kritisch bewertet. Es gebe die Hoffnung, dass es so schnell keine Einigung gibt und dann Nachverhandlungen beginnen können.

Gab es bei der Konferenz zu kaufen: Passendes T-Shirt zur Affäre (Foto: DW)
Gab es bei der Konferenz zu kaufen: Passendes T-Shirt zur AffäreBild: DW/K.-A. Scholz

Medienpreis für "Landesverräter"?

Parallel zur Konferenz gingen die Grünen mit einem überraschenden Vorschlag an die Öffentlichkeit. Die Bundestagsfraktion schlägt Beckedahl und Meister für den Medienpreis des Bundestags vor. "Gerade vor dem Hintergrund der abstrusen Anschuldigung des Landesverrats wäre die Auszeichnung ein starkes Signal des Parlaments zum Schutz von Pressefreiheit und Demokratie in Deutschland", sagte Konstantin von Notz auf Spiegel-online über die Nominierung. Auf der Website der Grünen steht als Begründung für den Vorschlag noch ein weiterer Grund. Beide hätten durch ihre Liveblogs aus dem NSA-Untersuchungsausschuss "wertvolle Verdienste" geleistet.