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KunstMyanmar

Myanmars Künstler erinnern in Berlin an Bürgerkrieg

Nadine Wojcik
20. Juli 2023

Seit zwei Jahren verschleppt, foltert und ermordet die Militärjunta die eigene Bevölkerung. Politisch aktiven Künstlern bleibt meist nur die Flucht. Ihre Werke sind nun erstmalig in Berlin zu sehen.

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Frau mit langen schwarzen Haaren und traditioneller burmesischer Kleidung setzt an, um einen grünen Dämon in Militärkleidung zu erstechen.
"Bitch, Better Have My Democracy" von Richie Htet: Die Ikone der Protestbewegung wurde für die Ausstellung aus Myanmar geschmuggeltBild: Nadine Wojcik/DW

Das Ölgemälde, das die Ausstellung eröffnet, hat eine spektakuläre Anreise hinter sich: Zusammengerollt und als Handgepäck getarnt wurde es erst vor kurzem aus Myanmar herausgeschmuggelt. "Bitch, Better Have My Democracy!" ist ein kraftvolles, farbenintensives Werk des Künstlers Richie Htet.

Das Bild (siehe oben) zeigt die dunkelhaarige Schönheit Mie Bamar Pyi, eine Art Nationalheilige Myanmars. Mit Speer und Schild in der Hand stürzt sie sich auf einen Oger, ein Dämon in der buddhistischen Mythologie, der wie ein Militärgeneral gekleidet ist.

Die Arbeit ist eine Referenz sowohl zu asiatischen wie auch zu westlichen Ikonen: Zum einen wird hier der Kampf der hinduistischen Göttin Durga zitiert, die ebenfalls einen Dämon tötet. Zum anderen erinnert das Gemälde an christliche Darstellungen des Erzengels Michael, der den Satan bezwingt.

Gemalt hat Richie Htet das Gemälde unmittelbar nach dem Militärputsch im Februar 2021. "Ich wollte uns damals Mut machen. Im Netz kursierten viele Bilder von den Gräueltaten. Ich wollte etwas Triumphales schaffen", so der Künstler gegenüber der DW. Nachdem er das Bild in den sozialen Medien gepostet hatte, ging der Post in kürzester Zeit viral.

Heute gilt das Gemälde als Ikonografie der mutigen Proteste gegen die Militärdiktatur, in dessen Folge bereits Tausende ermordet wurden und 1,5 Millionen Menschen vertrieben worden und auf der Flucht befinden.

Angst vor Verhaftung

Für Maler Ritchie Htet steht sein Gemälde für den vereinten Kampf der Bevölkerung in Myanmar gegen das Militär. Daher ist es für Li Li, Mitorganisator der Ausstellung "We are the Seeds: Art of Myanmar's Spring Revolution", ein kleines Wunder, dass dieses Bild nun bis zum 21. Juli bei den Soros-Stiftungen Open Society Foundations in Berlin zu sehen sein wird.

"Wenn das Gemälde bei der Ausreise an der Flughafenkontrolle ausgerollt hätte werden müssen, wäre unsere Kontaktperson wahrscheinlich im Gefängnis gelandet."

Raum mit Bildern an den Wänden und Bildschirmen. In der Mitte steht ein Dach aus traditionellen Rücken aus Myanmar.
18 Künstlerinnen und Künstler sind in der Ausstellung "We are the Seeds: Art of Myanmar's Spring Revolution" bei Open Society Foundations in Berlin zu sehenBild: Delphine Millet for the Open Society Foundations

In der Ausstellung sind weitere 17 Künstler vertreten, die meisten von ihnen leben ebenso wie Li Li und Richie Htet im Exil in Paris. Mit der vielseitigen Schau aus Gemälden, Installationen, Sound und Video will Li Li auf den in Europa vergessenen Bürgerkrieg aufmerksam machen.

"Das Militär hatte bereits Erfahrung, es ist ja mittlerweile der dritte Putsch. Aus der Vergangenheit wusste man um die Macht, die bei Protesten von Künstlern ausgehen kann. Deswegen waren und sind sie besonders gefährdet."

Der 29-jährige Htet gilt als vielversprechender Maler zeitgenössischer Kunst aus Myanmar, die nach der Demokratisierung des Landes 2011 erstmals international an Fahrt aufgenommen hatte. Richie Htet wuchs unter der Militärdiktatur auf. Bereits mit 14 Jahren outete er sich, ein mutiger Schritt, da Homosexualität in Myanmar zwar nicht direkt unter Strafe steht, allerdings als widernatürliche Handlung gilt. Nach Studienjahren in London kehrte er nach Yangon, ehemals Rangun, zurück und wurde Artdirector für ein Modemagazin.

Erste queere Ausstellung in Myanmar

Es waren die Zeiten des Aufbruchs und schier ungezügelter Kreativität. Richie Htet begann, homoerotische Bilder zu malen, die mit indischen und südasiatischen Mythologien spielten - aus seiner Sicht reich an queeren Charakteren. In seiner ersten Einzelausstellung "A Chauk" (burmesische Beleidigung für homosexuelle Männer) zeigte er 2020 in der Galerie Myanm/art Frauen in Machtpositionen und entblößte Männer als Objekte der Begierde.

Die erste queere Ausstellung in Myanmar wurde zum Erfolg, Richie Htet verkaufte alle Bilder und entschied sich, nur noch von seiner Kunst zu leben. Dann, im Februar 2021, beendete der gewaltsame Militärputsch nicht nur seine Träume, sondern auch das vielfältige Kulturleben Yangons.

"Ich war am Boden zerstört. Ich hatte das Gefühl, dass mir die Zukunft entrissen wurde, denn ich hatte vor, in Yangon zu leben und zu arbeiten, es zu meinem Zuhause zu machen."

Nachdem Familienmitglieder inhaftiert worden waren, sah er nur noch einen Ausweg: die Flucht mithilfe eines Künstlerstipendiums nach Frankreich. "Mein Vater war damals schwer krank. Ich wusste, dass ich mich von ihm für immer verabschieden musste." Der Vater verstarb kurze Zeit später.

Künstler im Exil: Hörbare Brandwunden

Auch Künstlerin und Musikerin Pinky entschied sich im Frühjahr 2021, Myanmar zu verlassen. Ihr Bandkollege war festgenommen und sein Laptop, auf dem gemeinsame Protestaktionen gespeichert waren, konfisziert worden. Mehrere Monate harrte Pinky Htut Aung in Bangkok aus, bis auch sie ein Stipendium in Paris antreten konnte und nun, ebenso wie Richie Htet und Li Li, als politischer Flüchtling dauerhaft bleiben kann.

Pinky ist eine vielfältige Künstlerin, die 31-Jährige arbeitet mit Soundcollagen, malt Bilder und komponiert. Für die Berliner Ausstellung hat sie sich Wolken gewidmet. "Schon als Kind war ich von Wolken besessen. Sie haben für mich etwas sehr Spirituelles, sie sterben nie, sie wandeln sich wie unser Geist."

Verrußtes Transparentpapier mit Brandlöchern.
Verbrannte Wolken: Ausschnitt von Pinkys Installation in der Ausstellung "We are the Seeds"Bild: Nadine Wojcik/DW

Das milchig-transparente Werk hängt losgelöst von der Decke, sphärische Klänge begleiten es. Die Wolken sind nicht gemalt, sondern mithilfe einer Kerze ins Transparentpapier eingebrannt.

"Ich hatte Angst, dass ich meine kleine Wohnung dabei in Brand setzen würde", erzählt sie. Sie habe sich bewusst dafür entschieden, für diese Arbeit mit Feuer zu experimentieren: "In Paris verfolge ich natürlich die Ereignisse in Myanmar. Auf meinem Smartphone sehe ich ständig, wie irgendetwas in Brand steht."

Ein Land fällt erneut in Angststarre

"Die Leute in Myanmar haben flächendeckend Angst", sagt Franz Xaver Augustin. Ihm gelang es 2014 nach mehrjähriger Vorbereitung das Goethe-Institut in Yangon wiederzueröffnen und dieses bis 2019 zu leiten. 2021 übernahm das Militär erneut die Macht. "Ich habe Myanmar vor der Öffnung 2011 erlebt", so Augustin, "es war schrecklich, eine Atmosphäre der Angst."

Das Institut war in Zeiten der Demokratisierung ein wichtiger Anlaufpunkt für Künstler und auch jetzt noch ein Rückzugsort. Augustin hat einige der Künstlerinnen und Künstler, die jetzt in Berlin ausstellen, von Anfang an begleitet. Damals hätte er es nicht für möglich gehalten, dass sie schon bald aus ihrem Land fliehen müssten.

Ein Mann in schwarzen Hemd steht vor einem Gemälde, auf dem eine blaue, zugenähte Leiche liegt. Darüber schwebt eine seltsam lachende Figur.
In "Autopsy of the Irrawaddy" malte Richie Htet eine zugenähte Leiche, der Organe entnommen wurdenBild: Delphine Millet for the Open Society Foundations

Richie Htet hat der Militärputsch politisiert. Neben seinen homoerotischen Bilder verarbeitet er jetzt den Bürgerkrieg in seinem Land. In der Ausstellung ist ein weiteres, verstörendes Bild von ihm zu sehen: "Autopsy of the Irrawaddy" zeigt eine zugenähte Leiche (siehe oben). "Ich möchte zeigen, welche Gräueltaten die Armee an der Bevölkerung verübt."

Die Taktiken des Militärs sind im Laufe des Bürgerkrieges brutaler geworden. Neben Vergewaltigungen und Auslöschen ganzer Dörfer wurden auch enthauptete und zerstückelte Leichen gefunden, denen teilweise die Eingeweide entfernt worden waren.

Künstler wie Richie Htet und Pinky standen zunächst sprach- und fassungslos vor diesen Gräueltaten. Sie gehören zu der Generation, die mit der Öffnung des Landes aufblühten - und deren Zuversicht nach einem erneuten Militärputsch bis ins Mark erschüttert wurde. Mit ihren Bildern und Installationen haben sie ihre Stimme wiedergefunden. Und werden nicht aufhören, auf ihre Weise von dem Bürgerkrieg zu erzählen.

Junge Rebellen in Myanmar