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Biobauern in Deutschland unter Druck

20. Januar 2023

Jeder achte Landwirt setzt auf ökologische Landwirtschaft, 2030 soll es jeder Dritte sein. Doch weil die Kosten explodieren, müssen die Ökobauern kämpfen.

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Mann neben Kühen vor einem Gitter
"Das wahre Leben der Kuh findet auf der Weide statt" - Biobauer Bernd Schmitz in HennefBild: Oliver Pieper/DW

Greta Thunberg, die Gallionsfigur der weltweiten Klimaschutzbewegung, war da. Luisa Neubauer, das Gesicht Deutschlands von Fridays for Future, auch - natürlich. Dass sich aber auch Bernd Schmitz vergangenes Wochenende auf den Weg nach Lützerath machte, um gegen den Abriss des kleinen Dorfs für den Abbau von Braunkohle zu protestieren, war alles andere als selbstverständlich.

Doch seine 48 schwarz-weiß gefleckten Holstein-Kühe mussten einen Tag auf den Biobauern aus Hennef bei Bonn verzichten. Denn Schmitz lässt ein Thema keine Ruhe, welches bei der hitzig geführten Debatte um Lützerath beinahe vollkommen unterging: In dem kleinen Dorf in Nordrhein-Westfalen geht es nicht nur um Deutschlands Anstrengungen für mehr Klimaschutz, sondern auch um die Agrarwende hierzulande. Oder anders gesagt: nicht nur um die Kohle unter der Erde, sondern auch um den Boden darüber.

Kühe fressen Gras und stecken dabei ihre Köpfe durchs Gitter
Schmitz setzt auf seinem Hof auch auf müttergebundene Kälberaufzucht, Jungtiere bleiben also bei den MütternBild: Oliver Pieper/DW

"Wie kann es sein, dass wir unsinnige Produkte produzieren, für die wir viel Energie aufwenden, und uns gleichzeitig unsere Nahrungsgrundlage weggraben? Und in welchem Verhältnis steht es, wenn wir als Bauern dazu angehalten sind, keinen Kohlenstoff aus den Graswurzeln freizusetzen, während in Lützerath viele Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen werden?"

Immer mehr Bauern geben auf

Vielleicht hätten sich vor ein paar Jahren nur wenige Bauern diese Fragen gestellt, doch bei vielen Landwirten in Deutschland liegen die Nerven gerade blank. Jeden Tag machen hierzulande sechs Betriebe dicht, vor allem aufgrund der explodierenden Produktionskosten. Das Höfesterben geht gnadenlos weiter, 256.000 sind es noch in Deutschland, Tendenz weiter fallend.

Der Hanfer Hof, der schon 1850 urkundlich erwähnt wurde und den Schmitz mit seiner Familie in fünfter Generation betreibt, ist mittlerweile der kleinste Bauernhof in der Gegend. Alle kleineren Betriebe haben entnervt aufgegeben. Fragt man Bernd Schmitz, wie viele Jahre wie 2022 er noch durchhalten kann, sagt er: "Eins. Allein für Treibstoff und Strom musste ich 50 Prozent mehr bezahlen als das Jahr davor. Das können wir auf Dauer nicht auffangen. Mit meinen Töchtern, die den Hof übernehmen wollen, müssen wir überlegen, ob das so noch Zukunft hat."

Schließlich ist da auch der Klimawandel, der vor deutschen Wiesen nicht Halt macht. Schmitz musste seinen Bestand von Kühen zwischenzeitlich auf 35 reduzieren, weil seine Weideflächen wegen der Dürre nicht mehr genügend Futter für alle Tiere abgaben. Ein Teufelskreis: kein Wasser von oben, kein Wachstum von Gras, sinkende Erträge, weil weniger Vieh. "Wir hatten in den vergangenen Jahren teilweise drei Monate lang keinen Niederschlag", klagt Schmitz.

Umbau zur ökologischen Landwirtschaft stockt

Gut jeder achte Landwirt in Deutschland setzt auf ökologische Landwirtschaft. Den 35.000 Biobäuerinnen und Biobauern macht die Rekordinflation als Folge der russischen Invasion in der Ukraine besonders zu schaffen. Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist der Biomarkt 2022 geschrumpft. Nach Angaben des Deutschen Bauernverbands sank der Umsatz bis Ende Oktober um 4,1 Prozent.

Biobauer setzt auf Hightech

Die Verbraucherinnen und Verbraucher drehen seit Monaten jeden Cent dreimal um und machen einen Bogen um die Biosupermärkte. Nachhaltig einkaufen ja, aber bitte preiswerter. Wenn also bio, dann jetzt meistens beim Discounter, auch die Milch von Schmitz steht nun bei Aldi im Kühlregal. Für den 57-Jährigen trägt der Handel, der nur profitorientiert denke, eine Mitschuld an der Krise: "Es kann nicht sein, dass dieser über unsere Molkerei einen moderaten Preisanstieg bekommt und dann selbst an die Kunden ein Vielfaches an Preissteigerungen weitergibt."

56 Cent bekommt der Biobauer für einen Liter Milch von der verarbeitenden Molkerei, 14 Cent mehr müssten es sein, damit für Schmitz die Rechnung aufgeht, sagt er. Dabei hat sich Deutschland eigentlich vorgenommen, ein Land zu sein, wo Biomilch und pestizidfreier Honig fließen. Bis 2030 will die Bundesregierung die Ökolandwirtschaft auf einen Anteil von 30 Prozent steigern.

Kritik an Ministern Lindner, Özdemir und Lemke

Viele Experten halten diesen ambitionierten Plan für illusorisch. Da ist zum einen das geänderte Kaufverhalten der Verbraucher, dann der bislang schleppende Ökoumbau der Anbauflächen und schließlich auch die fehlende Schützenhilfe seitens der Politik. Bernd Schmitz kritisiert: "Wenn die Gesellschaft einen Umbau möchte, dann muss man den auch finanzieren. Dazu gehört auch der Finanzminister, der Benzin billiger macht, aber gleichzeitig eine artgerechte Tierhaltung nicht ausreichend finanziell unterstützt. Wenn das nicht passiert, kann der Umbau nicht stattfinden."

Mann überwacht Melkvorgang der Kühe
"Man verzweifelt als Biobauer auch an der Regulierungswut der deutschen Behörden" - Bernd SchmitzBild: Oliver Pieper/DW

Nicht nur Finanzminister Christian Lindner, auch die grünen Minister für Landwirtschaft und Umwelt, Cem Özdemir und Steffi Lemke, bekommen vom Biobauern ihr Fett weg. Beide hätten nicht so geliefert, wie sie hätten können, für eine veränderte Agrarpolitik sei jetzt Klotzen statt Kleckern gefragt. Das fange im Kleinen an wie in der Bundestagskantine, wo immer noch viel zu wenige Bioprodukte auf den Tellern der Abgeordneten landeten.

Weniger Fleischkonsum, aber mehr Importe?

Es gehe im Großen bis zu den Freihandelsabkommen, kritisiert der Landwirt. Ein Bündnis der EU mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten könnte vielleicht in diesem Jahr kommen, auch ein neuer Anlauf für einen TTIP-Vertrag mit den USA scheint nach der Invasion Russlands in der Ukraine wieder im Bereich des Möglichen. Schmitz reicht schon das CETA-Abkommen mit Kanada: "Wir wollen in Deutschland weniger Fleischkonsum, um das Klima zu schützen, und ratifizieren gleichzeitig einen Vertrag, der den Import von 60.000 Tonnen Rindfleisch aus Kanada zulässt?"

Auch an diesem Wochenende ist Schmitz unterwegs, er protestiert zusammen mit Tausenden weiteren Landwirte und 130 Traktoren auf der "Wir haben es satt"-Demonstration vor dem Brandenburger Tor in Berlin für eine ökologische Agrarwende.

Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir muss mit einer deutlichen Protestnote der Landwirte rechnen. Biobauer Schmitz sagt: "Wir fordern eine veränderte Agrarpolitik, die nicht nur das Wachsen honoriert, sondern auch eine Qualitätsproduktion."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur