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Brasilien: Wie "grün" ist der Eukalyptus-Boom wirklich?

Astrid Prange de Oliveira Turmalina, Brasilien
16. Januar 2024

In Zeiten des Klimawandels gelten Brasiliens Eukalyptusplantagen nicht mehr als umweltschädliche Monokulturen, sondern als klimafreundliche CO2-Senker. Gut für die Stahlindustrie – aber schlecht für die Natur.

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Eukalyptusplantage in Para
In maximal acht Jahren erntereif: Bäume auf einer Eukalyptus-Plantage in BrasilienBild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Grün. Bis zum Horizont breiten sich im Jequitinhonha-Tal in Brasilien (siehe Karte) die Eukalyptusplantagen aus. Das Wort "grün" hat dort eine besondere Bedeutung. Denn es ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit umweltfreundlich.

Für Valmir Soares de Macedo, Leiter des Zentrums für alternative Landwirtschaft Vicente Nica (CAV) in der Gemeinde Turmalina im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, sind Eukalyptusplantagen alles andere als umweltfreundlich. "Die Wurzeln der Bäume saugen das Wasser ab", klagt er. "Böden und Wasseradern trocknen aus."

Das Zentrum hilft Kleinbauern in der Region mit Beratung bei Anbaumethoden sowie dem Bau von Zisternen und Biogasanlagen. Es wird unter anderem vom katholischen Hilfswerk Misereor aus Aachen unterstützt.

Porträtaufnahme von Valmir Soares de Macedo, Geschäftsführer der NGO CAV in Brasilien
"Der Eukalyptus gräbt den Kleinbauern das Wasser ab", sagt Valmir Soares de Macedo vom Zentrum für alternative LandwirtschaftBild: Florian Kopp

Wasserquellen versiegen

Auch für den stellvertretenden Bürgermeister von Turmalina ist die wachsende Verbreitung von Eukalyptusplantagen in der Region kein Grund zur Freude. "Von 481 Quellen rund um Turmalina haben nach 40 Jahren Eukalyptusbepflanzung nur noch 40 Wasser", stellt Warlen Francisco da Silva fest.

Eine Studie des Landwirtschaftszentrums der Bundesuniversität Minas Gerais in Belo Horizonte (UFMG) belegt die Entwicklung. Demnach ist der Grundwasserspiegel in den vergangenen 45 Jahren in der Region im Südosten Brasiliens um 4,5 Meter abgesunken.  

Ausgetrocknete Wasserläufe in der Region Turmalina, Minas Gerais, Brasilien
Der große Wasserverbrauch der Eukalyptus-Plantagen hat dazu geführt, dass viele Quellen und Wasseradern im "Cerrado", den Feuchtsavannen im Südosten Brasiliens, ausgetrocknet sind.Bild: Florian Kopp

Mehr Holzkohle, mehr Klimaschutz?

Ein Großteil der Eukalyptusbäume in Brasilien wird zu Holzkohle weiterverarbeitet und dann zur Verhüttung in der Stahlindustrie genutzt. Brasilien ist mit einer Produktion von jährlich 6,5 Millionen Tonnen Holzkohle nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO der größte Holzkohleproduzent weltweit. 

Der Bedarf ist enorm, denn das Land gehört auch zu den größten Eisenerz- und Stahlproduzenten der Welt. 70 Prozent der Stahlproduktionsstätten Brasiliens liegen im Bundesstaat Minas Gerais.

Im Wald rauchen die Schlote

Ezio Santos, Chef der Produktionseinheit Palmeiras der Firma Aperam in der Nähe von Turmalina, tut alles, um die Holzkohleproduktion auf den Plantagen der Firma zu steigern. Von der Kommandozentrale aus blickt er zufrieden auf eine riesige Lichtung.

Es surrt, rattert und dampft. Immer neue Schwertransporter mit Baumstämmen fahren vor. Schlote rauchen in der Abendsonne und Kohlestaub weht durch die Dämmerung.

Kräne steuern auf Halden mit Eukalyptusstämmen zu, ihre Ausleger greifen nach dem Holz. Sie fahren mit der Fracht bis zum nächstgelegenen Ofen, in den sie die langen schmalen Baumstämme hineinschieben, bis dieser unters Dach gefüllt ist.

Insgesamt 55 Öfen, vier Meter breit und 26 Meter lang, werden so rund um die Uhr mit Holzstämmen befüllt. Bis ein Ofen geladen ist, dauert es vier Stunden, zweieinhalb Stunden, bis er entladen ist. Der Abkühlungsprozess für die frisch aus dem Ofen kommende Holzkohle erstreckt sich über zehn bis zwölf Tage.

Baumstämme auf einer "abgeernten" Eukalyptus-Plantage in Brasilien
Produktion im großen Stil: Während das Holz auf der Plantage im Vordergrund bereits "geerntet" ist, wachsen nebenan schon die nächsten Bäume heranBild: Florian Kopp

Die Verkohlung im Ofen selbst zieht sich über 100 Stunden hin. "Es geht darum, so wenig Sauerstoff wie möglich zu nutzen, das fördert die Verkohlung", so Santos. Ansonsten würde das Holz einfach verbrennen.

Stahl ohne fossile Brennstoffe

Schon bald soll sich das Fassungsvermögen der gigantischen Öfen vervierfachen. In Zukunft sollen die Öfen nicht vier, sondern 16 Meter breit sein. Die Firma Aperam, einer der größten Holzkohleproduzenten in Brasilien, hat bereits ein Patent auf die neuen Megaöfen angemeldet und will sich als Technologieführer positionieren.

Santos sieht einen riesigen Markt. "Bis jetzt werden noch rund 60 Prozent der Holzkohle manuell in kleinen Öfen hergestellt", erklärt er. Dies sei nicht nur ineffizient, die Produktion finde häufig auch unter sehr schlechten Arbeitsbedingungen statt. 

Kleinbauer José Carlos Xavier Santos vor seinem Holzkohleofen in Minas Gerais
Kleinbauer José Carlos Xavier Santos vor seinem Holzkohleofen: 60 Prozent der Holzkohle in Brasilien wird noch mühsam per Handarbeit in kleinen Iglu-Öfen hergestellt - industrielle Hersteller wie Aperam wollen das ändern.Bild: Florian Kopp

Der brasilianische Global Player Aperam produziert nicht nur Holzkohle, sondern ist auch einer der weltgrößten Hersteller von rostfreiem Stahl. Mit der Holzkohle wird die Verhüttung im Stahlwerk Timóteo betrieben, das rund 300 Kilometer von den Eukalyptusplantagen entfernt liegt.

Der Konzern mit knapp 10.000 Mitarbeitern entstand 2011 durch eine Abspaltung von dem Stahlgiganten Arcelor-Mittal. Das Unternehmen unterhält sechs Produktionsstätten in Belgien, Frankreich und Brasilien.

FSC attestiert nachhaltige Waldwirtschaft

Aperam gibt sich als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. "Holzkohle ist besser als fossile Brennstoffe. Wir verbrennen nicht nur, sondern pflanzen jedes Jahr neue Bäume, die acht Millionen Tonnen CO2 gebunden haben", sagt der Aperam-Ingenieur Benone Magalhaes Braga.

"Außerdem sorgen wir durch genetische Optimierung dafür, dass unsere Eukalyptuspflanzen schneller wachsen und weniger Herbizide und Wasser verbrauchen."

Eine Reihe von Eukalyptusbäumen auf einer Plantage in Minas Gerais, Brasilien
Schnell wachsen, schnell "ernten": Die dünnen und schnell wachsenden Eukalyptusbäume werden in geraden Reihen gepflanzt, damit sie maschinell gefällt werden können.Bild: Florian Kopp

Seit 2020 attestiert das internationale Zertifizierungssystem "Forest Stewardship Council" (FSC)"der Firma Aperam Bioenergie auf seiner Anbaufläche von 126.000 Hektar in der Region ein nachhaltiges Forstmanagement. Das Gütesiegel ist gültig bis 2025.

Im letzten Kontrollbericht vom Mai 2023 heißt es: "Die Waldbewirtschaftung zielt auf die Erhaltung der biologischen Vielfalt und der damit verbundenen Werte wie Wasserressourcen, Böden und empfindliche Ökosysteme und Landschaften ab. (…) Es gibt Vorkehrungen zum Schutz seltener und gefährdeter Arten und ihrer Lebensräume. Es gibt Verfahren zur Erosionskontrolle, zur Minimierung von Waldschäden bei der Holzernte, beim Straßenbau und zum Schutz der Wasserressourcen."

Finanzspritze von der UNO

Mit dem Ziel, "grüne" Holzkohle und "grünen" Stahl zu produzieren, liegt die Firma Aperam voll im Trend. Denn Brasiliens Stahlindustrie gehörte zu den Kooperationspartnern eines international geförderten "Holzkohle-Projekts".

Eine Eukalyptus-Plantage trifft auf die ursprüngliche Cerrado-Vegetation, Turmalina, Minas Gerais, Brasilien
Neue "grüne" Nachbarschaft: Schnurgerade ziehen sich die Eukalyptusbäume über das Feld und drängen die ursprüngliche Vegetation des "Cerrado" zurück.Bild: Florian Kopp

Das "Projekt zur nachhaltigen und nachwachsender Produktion von Holzkohle aus Biomasse für die Eisenerz- und Stahlindustrie in Brasilien" wurde im Zeitraum von 2014 bis 2021 mit 43 Millionen US-Dollar vom UN-Entwicklungsprogramms UNDP, privaten Gebern und der Globalen Umwelt-Fazilität GEFgefördert.

Der 1992 nach der UN-Umweltkonferenz in Rio gegründete Mechanismus GEF ist ein Zusammenschluss internationaler Fonds, die Klimaschutzprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern finanzieren.

Im Abschlussreport vom Februar 2022 wird ein positives Fazit gezogen. "Das wichtigste Ergebnis war die Entwicklung einer treibhausgasarmen Technologie für die nachhaltige Produktion von Holzkohle."

Oberstes Ziel: Den Klimawandel abschwächen

Und dann bemühen sich die Auditoren noch um eine Auflösung des Widerspruchs zwischen "grüner" Holzkohle und Umweltproblemen in der Region.

"Auch ein Projekt, bei dem Bäume gefällt und Treibhausgase emittiert werden, kann den Klimawandel abschwächen. Denn es muss berücksichtigt werden, was die Alternative gewesen wäre, nämlich der Gebrauch von fossilen Brennstoffen wie Kohle", lautet das Fazit.  

Porträt Heli de Souza Nunes, 61, Gemeinderat für die “Grünen” in Itamarandiba, und Vorsitzender der Landarbeitergewerkschaft
"Der Eukalyptusboom wird weiter gehen": Gewerkschafter und Gemeinderat Heli de Souza Nunes beobachtet, dass viele Kleinbauern aufgeben und ihr Land an Investoren verkaufen.Bild: Florian Kopp

Der Siegeszug der "grünen" Holzkohle scheint somit nicht mehr aufzuhalten zu sein. Doch die Auswirkungen -  Wassermangel und sinkende Grundwasserspiegel - machen nicht nur der Landbevölkerung sowie Städten und Gemeinden zu schaffen. 

Auch bei Holzkohle- und Stahlproduzent Aperam ist das Thema mittlerweile präsent. So hat die Firma angekündigt, ihren Wasserverbrauch bis 2030 im Vergleich zu 2015 um 40 Prozent senken zu wollen.

Eukalyptus-Anbau: "Es wird nicht aufhören"

Für Landarbeitergewerkschafter Heli de Souza Nunes hängt die Zukunft der Kleinbauern in der Region in erster Linie vom Klima ab. "Die vergangenen zwei Jahre waren gut, es hat ausreichend geregnet", sagt er. Doch davor habe mehr als fünf Jahre Trockenheit geherrscht.

"Es war schlimm, viele haben aufgegeben", erinnert er sich. Und er geht davon aus, dass die wirtschaftliche Unsicherheit weiterhin viele kleinbäuerliche Betriebe dazu zwingen wird, aufzugeben. "Wenn einer nur ein bisschen mehr Geld für das Grundstück anbietet, sind viele bereit zu verkaufen", meint er. Seine Prognose: Der Eukalyptusanbau wird weiter wachsen.

"Wer mit Eukalyptus Geld verdient, will investieren und kauft immer mehr Land auf. So funktioniert nun mal das Geschäft, es wird nicht aufhören."

Die Reportage entstand auf einer Pressereise mit dem katholischen Hilfswerk Misereor.