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Politik

Naturschutz vor Menschenrecht

Antonio Cascais
16. Mai 2019

Willkürliche Verhaftungen, Folter, Mord: Der WWF soll in mehreren afrikanischen Nationalparks Ranger unterstützt haben, die brutal gegen die Bevölkerung vorgingen. Auch Bund und EU trügen eine Mitschuld, sagen Kritiker.

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Mosambik - Gorongosa National Park
Bild: Getty Images/AFP/G. Guercia

 "Wir werden verfolgt und bedroht", klagt eine Frau der Ethnie der Baka im Kongobecken. Aktivisten der Menschenrechtsorganisation Survival International sammeln schon seit Jahren solche und ähnliche Zeugenaussagen und verfassen kritische Berichte über Menschenrechtsverletzungen an indigenen Völkern in Naturschutzgebieten oder Nationalparks in den zentralafrikanischen Regenwäldern. In den letzten Jahren wurden die Klagen der Baka immer lauter. Zu ihren Heimatregionen gehören die Wälder von Messok Dja in der Republik Kongo, wo zurzeit unter der Leitung der Umweltstiftung WWF die Voraussetzungen für die Einrichtung eines neuen Schutzgebietes geprüft werden. Das Gebiet wurde zur Prioritätslandschaft für den Schutz von Menschenaffen erklärt und gilt zudem als letzte Elefantenhochburg Afrikas. Finanziert wird das Projekt von europäischen und deutschen Steuergeldern.

"Skrupellose Naturschutzindustrie"

Doch das Projekt ist bei der lokalen Bevölkerung verhasst: Die Baka fühlen sich von den Wildhütern im zukünftigen Nationalpark drangsaliert. Dabei leben sie seit Generationen in den Wäldern von Messok Dja. "Ich bin Baka, mein Vater ist Baka, meine Mutter ist Baka. Unsere Ahnen haben uns diesen Wald anvertraut. Unser Essen kommt aus dem Wald. Wenn wir krank sind, gehen wir dorthin und sammeln dort unsere Medizin", sagt eine Baka-Frau. Auch ihre Kinder sollten eines Tages im Wald nach Essen suchen. Jetzt aber sei der Wald blockiert, beklagt sie. Das Volk der Baka werde seines Lebensraums beraubt.

Angehörige der Ethnie der Baka auf einem Pfad im Messok-Dja-Regenwald
Die Nutzung des Messok-Dja-Regenwalds wird für die lokale Bevölkerung zum RisikoBild: Survival International

Nach Angaben von Survival International werden immer mehr indigene Gemeinschaften in Afrika Opfer einer skrupellosen Naturschutzindustrie. Die Organisation veröffentlichte in den vergangenen Jahren immer neue Fotos, Videos und Zeugenaussagen, in denen über schwerste Menschenrechtsverletzungen durch WWF-finanzierte Wildhüter in der Republik Kongo, in Kamerun oder der Zentralafrikanischen Republik berichtet wird. Die Vorwürfe reichen von willkürlichen Verhaftungen bis hin zu Folter und gezielten Tötungen.

Einer der Hauptvorwürfe: Wildhüter oder Ranger erhielten für jede Festnahme eines Wilderers eine Prämie. Die Ranger würden dadurch motiviert, möglichst viele Unschuldige festzunehmen und zu verhaften: "Mit diesem System von Prämien setzt man Anreize, dass Personen willkürlich festgenommen werden und dass die Gewalt dort noch weiter eskaliert", sagt Linda Poppe vom Berliner Büro von Survival International im Gespräch mit der DW.

Das Geld für die Prämien soll im Falle des Messok-Dja-Gebiets von der EU stammen. Die Bundesregierung finanziere im ebenfalls im Kongobecken gelegenen Salonga-Nationalpark eine sogenannte "leistungsbezogene Bezahlung" von Rangern, die auch Prämien miteinschließt. Auch der WWF zahlt dort Prämien an Ranger.

WWF: Prämien für Wildhüter "völlig normal"

Dass Wildhüter Prämien bekommen, sei eine völlig normale Sache und werde in vielen Ländern Afrikas so gehandhabt, sagt Immo Fischer, Sprecher von WWF Deutschland, auf Anfrage der DW: "Wildhüter machen einen extrem gefährlichen und wichtigen Job und sollten für ihre wichtige Arbeit bei Erfolgen eben auch belohnt werden." Eine Idee dahinter sei, dass man Korruption vorbeugen wolle: "Man muss sich vorstellen: Wenn ein Wildhüter einen Wilderer ertappt - und dieser Wilderer ist mit zwei Stoßzähnen eines gewilderten Elefanten unterwegs - dann übersteigt der Wert dieser Stoßzähne schnell das Jahresgehalt des Wildhüters." Mit den Prämien für die Ranger wolle man vermeiden, dass sich die Wilderer freikauften, so der WWF-Sprecher.

Beschlagnahmtes Elfenbein wird in Hongkong zur Schau gestellt
Der illegale Handel mit Elfenbein ist ein lukratives GeschäftBild: Getty Images/AFP/A. Wallace

Linda Poppe von Survival International will das Argument nicht gelten lassen. Korrupte Wildhüter seien schlicht die falschen Partner: "Man sollte auf die Menschen setzen, die in diesen Gebieten ansässig sind, und die häufig für Naturschutzgebiete vertrieben werden - aber eigentlich die besten Verbündeten von Naturschützern wären", sagt die Menschenrechtsaktivistin. Stattdessen würden sie bestraft. Das System setzte die falschen Anreize.

Der WWF hält dagegen, Prämien würden nur ausgezahlt, wenn auch tatsächliche Wilderer festgenommen werden. "Bei jeder Festnahme müssen Informationen zum Tathergang gesammelt werden, die auch vor Gericht Bestand haben", so Fischer vom WWF. "Stellen sich diese Informationen als nicht stichhaltig heraus und müssen die Verdächtigen wieder freigelassen werden, wird auch keine Prämie gezahlt." Es gebe für die Wildhüter daher keinen finanziellen Anreiz für willkürliche Festnahmen, so Fischer im DW-Interview.

Trägt die Bundesregierung eine Mitschuld?

Immer wieder befasste sich der Bundestag mit Fällen möglicher Menschenrechtsverletzungen in Schutzgebieten in Afrika. Mehrere parlamentarische Initiativen widmeten sich dem Thema. Auch Mitglieder des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung kamen in ihren Berichten von Einzeldienstreisen darauf zu sprechen.

Die Bundestagsabgeordnete Eva Schreiber von der Fraktion "Die Linke" hebt immer wieder die Mitverantwortung der Bundesregierung hervor. Das gelte auch für öffentliche Institutionen wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ): "Für uns als Abgeordnete des Bundestags ist die Frage ganz zentral: 'Was finanziert die Bundesregierung?'", heißt es aus dem Büro der Bundestagsabgeordneten.

Ein sehr kolonialer Blick

Als besonders bedenklich erachtet die Oppositionspolitikerin, dass deutsche Steuergelder, die eigentlich für Entwicklungszusammenarbeit bereitstünden, für die Finanzierung von Schutzgebieten ausgegeben werden, in denen nicht die lokale Entwicklung im Fokus stehe: "In diesen Naturparks werden sehr einseitig die Interessen eines sehr konservativen Naturschutzes vertreten, der vor Ort sehr autoritär auftritt und von der lokalen Bevölkerung als Bedrohung wahrgenommen wird."

Bei den von Deutschland finanzierten Naturschutzprojekten in Afrika schwinge ein sehr kolonialer Blick auf die Natur in Afrika mit. Der schwarze Kontinent werde nicht selten als ein menschenleerer Raum angesehen, wo (Leoparden), Elefanten und Löwen umherwanderten. Die Bundesregierung dürfe aber nicht vergessen, dass Naturschutz nur unter Einbeziehung der Menschen vor Ort gelingen könne, so ein Mitarbeiter der Abgeordneten Eva Schreiber im DW-Gespräch.

Die Bundesregierung prüft

Kenia: Spionage für den Tierschutz

Die Bundesregierung hat mittlerweile auf zuvor geäußerte, ähnlich lautende Vorwürfe reagiert: Die Regierung überprüfe die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards anhand der regelmäßigen Fortschrittsberichte und Besuchen vor Ort, hieß es in der Antwort auf eine kleine Anfrage im Bundestag. Die Umsetzung der einschlägigen Normen und Standards werde zudem durch Fortbildungsmaßnahmen vor Ort gefördert, beispielsweise durch Trainings des Parkpersonals.

Die Regierung habe KfW und GIZ beauftragt, gemeinsam eine Studie durchzuführen, "die untersucht, wie der Forderung von Menschenrechten in Naturschutzprojekten im Kongobecken noch besser Rechnung getragen werden kann", heißt es weiter. Die Förderung von Schutzgebieten im Kongo-Becken soll derweil nahtlos fortgesetzt werden - mit der nun eröffneten vierten Phase des Programms "Biodiversitätserhalt und nachhaltige Waldbewirtschaftung".

Mitarbeit: Daniel Pelz