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PolitikChina

China und die G20: Spekulationen um Xi Jinpings Absage

7. September 2023

10 Jahre lang nahm Chinas Staats- und Parteichef an jedem G20-Gipfel teil. In Indien lässt er sich vertreten - ohne Gründe zu nennen. Das nährt Spekulationen.

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China | Xi Jinping
Rätselraten um eine Absage: Xi Jinping reist nicht zum G20-GipfelBild: Noel Celis/AFP/Getty Images

Es soll Indiens globaler Moment werden: Wenn am Wochenende die Staatschefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer zu ihrem Gipfeltreffen nach Delhi reisen. Aber die Welt wird nicht nur auf den Glanz der anreisenden Präsidenten und Premierminister schauen. Sie schaut auch auf eine Leerstelle. Dahin, wo eigentlich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping stehen sollte.

Der aber hat Anfang September seine Teilnahme am G20-Gipfel abgesagt. Gründe wurden nicht genannt. Und weil man nichts Genaues weiß, bleiben nur mehr oder weniger informierte Spekulationen.

Für besonders plausibel erscheint der China-Expertin Abigael Vasselier die Vermutung, Xi könne aus innenpolitischen Gründen seine G20-Teilnahme abgesagt haben. Die Leiterin des Teams für Chinas Außenpolitik bei der Berliner China-Denkfabrik Merics verweist auf Berichte über das traditionelle Sommertreffen einflussreicher Parteimitglieder im Badeort Beidaihe. Denen zufolge hat sich Xi Jinping von Seiten mächtiger Alt-Kader scharfe Kritik über die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zustände im Land anhören müssen - und den Auftrag bekommen, sich auf diese Probleme zu konzentrieren.    

Ist Xis Gesundheit angeschlagen?

Möglicherweise haben aber auch gesundheitliche Probleme Xi von der Reise nach Delhi abgehalten. Diese mögliche Erklärung bringt der Londoner China-Wissenschaftler Steven Tsang ins Spiel. Es könne sich um ein kleineres Gesundheitsproblem handeln, sagte Tsang der DW: "Wenn er ein größeres Gesundheitsproblem hätte, wäre er nicht zum BRICS-Gipfel gereist. Xi ist aber nach Johannesburg geflogen."

Der Direktor des China-Instituts der School of Oriental and African Studies erinnert zugleich daran, dass Xi Jinping in Südafrika eine wichtige Rede von einem Vertreter verlesen ließ, beim BRICS Business Forum, statt sie selbst zu halten. Diese Rede habe er nicht leichtfertig abgesagt, urteilt Tsang.

Beim BRICS Gipfel in Südafrika Johannesburg sitzen von links nach rechts Luiz Inacio Lula da Silva, Xi Jinping, Cyril Ramaphosa, Narendra Modi, Sergei Lavrov bei einer Pressekonferenz nebeneinander auf dem Podium
Angeschlagen im Kreis der BRICS-Kollegen? Xi Jinping (2. v. l.) in JohannesburgBild: Sergei Bobylev/TASS/dpa/picture alliance

Will Xi Jinping also für den G20-Gipfel nicht das tun, was er für den BRICS-Gipfel noch getan hat: nämlich trotz möglicher gesundheitlicher Beschwerden ins Flugzeug steigen? Für Steven Tsang würde das Sinn ergeben. "Die G20 hat für Xi an Bedeutung verloren, weil er eine alternative internationale Organisation hat, die er pflegen und unterstützen will."

Für Tsang könnte daneben auch eine Rolle spielen, dass dieses G20-Treffen in Indien stattfindet, auf Einladung des indischen Staatschefs. "Welches Land ist der größte potenzielle Konkurrent Chinas, wenn es darum geht, sich die Unterstützung des globalen Südens und der BRICS-Staaten zu sichern, um eine alternative, auf China ausgerichtete Ordnung durchzusetzen?", fragt Tsang. Und gibt dann selbst die Antwort: "Indien!"

Blutige Grenzstreitigkeiten zwischen China und Indien

Zudem streiten sich Indien und China seit Jahrzehnten um den Verlauf ihrer über 3000 Kilometer langen Grenze. In den 1960er-Jahren kam es zum Krieg; seither gibt es immer wieder Scharmützel. Erst 2020 starben Soldaten beider Seiten bei Kämpfen im Himalaya.

Kurz vor Xi Jinpings Absage an den G20-Gipfel hatte China eine offizielle Karte veröffentlicht, die den Bundesstaat Arunachal Pradesh in Indiens Nordosten als chinesisches Staatsgebiet zeigt. Indien protestierte heftig.

Entsprechende Spekulationen, Xi Jinpings Absage hänge mit den so belasteten Beziehungen zwischen Indien und China zusammen, hält China-Expertin Vasselier aber für wenig überzeugend. "Das könnte Xi Jinping beiseite lassen, trotzdem nach Delhi reisen und Teil des G20-Clubs sein."

Indien: Konvoi von Armee-Lastwagen in nordindischer Bergregion
Chinesisch-indische Grenzstreitigkeiten: Indischer Militärkonvoi im HimalayaBild: Yawar Nazir/Getty Images

Auch Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar versucht, den Eindruck zu zerstreuen, Xi habe wegen Spannungen mit Indien abgesagt. Schon in der Vergangenheit seien Staatsoberhäupter Gipfeltreffen ferngeblieben, sagte Jaishankar in einem Interview mit der Nachrichtenagentur ANI. Wenn Xi das jetzt tue, sei dies nichts Ungewöhnliches und habe nichts mit Indien zu tun.

In Washington scheint man das anders zu sehen. Das legt eine Äußerung des Nationalen Sicherheitsberaters der USA, Jake Sullivan, bei einer Pressekonferenz diese Woche nahe. Gefragt, ob die Spannungen zwischen Indien und China den Gipfel überschatten würden, sagte Sullivan, dies sei China überlassen. "Wenn China die Rolle eines Spielverderbers spielen möchte, steht ihnen diese Option natürlich offen", so Sullivan.

BRICS versus G20?

Abigail Vasselier glaubt nicht an die Hypothese, Xi Jinping wolle mit seiner Absage die G20 schwächen, zugunsten von BRICS: "Es ist eine Sache ist zu sagen, ich will eine alternative Struktur wie BRICS schaffen. Es ist eine andere Sache zu sagen, ich suche aktiv die Konfrontation, indem ich bei einem so wichtigen Format nicht dabei bin. Ich glaube weder, dass dies in Chinas Interesse, noch, dass dies in Chinas Absicht liegt."

Indiens Premierminister Modi steht mit grüßend zusammengelegten Händen auf einem Podium, im Hintergrund steht groß "New Dehli"
Die G20 werden Narendra Modis großer Moment. Will Xi den dämpfen?Bild: Manish Swarup/AP/picture alliance

Besonders schwer wiegt für die Berliner China-Expertin, dass mit Xi Jinpings Absage die Gelegenheit für eine Begegnung der USA und China auf präsidialer Ebene verpasst wird. "Die Welt braucht den Dialog zwischen den USA und China. Die Welt braucht, dass der amerikanische und der chinesische Präsident miteinander ins Gespräch kommen, dass sie Grenzen austesten, dass sie Kommunikationskanäle offenhalten", betont Vasselier. "Das ist in dem gegenwärtigen konfrontativen Kontext von entscheidender Bedeutung."

Die nächste Gelegenheit zu einer Begegnung zwischen Biden und Xi gibt es am Rande des APEC-Gipfels in San Francisco. Der ist für November geplant. 

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein