1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

China wird vorsichtiger: zehn Jahre "Neue Seidenstraße"

Chia-Chun Yeh aus Taipeh
16. Oktober 2023

Mit der "Belt & Road Initiative" steht China im Zentrum eines globalen Infrastrukturnetzes. Es geht um Milliarden-Investitionen und politischen Einfluss. Peking ist aber wohl nicht mehr der "reiche Onkel".

https://p.dw.com/p/4XZsZ
Symbolbild Seidenstaße: Grafik mit Kamelen, die Waren auf ihren Rücken transportieren
Initiative Neue Seidenstraße: nicht nur Rahmen für Chinas Außenwirtschaft sondern auch ein Gegengewicht zur westlichen Weltordnung? Bild: DW

Zum dritten Mal findet diese Woche in China das Gipfeltreffen der Seidenstraßeninitiative statt, die auch als "Belt and Road Initiative" (BRI) bekannt ist. Und vor genau zehn Jahren präsentierte Chinas Präsident Xi Jinping seine Idee, die alten Handelsrouten auf dem euroasiatischen Kontinent und auf den Weltmeeren wieder neu zu beleben. Seitdem ist diese weltumspannende Initiative der Rahmen für Chinas Außenwirtschaft und Entwicklungshilfe.

Chinas Staatskonzerne übernehmen große Infrastrukturprojekte im Ausland, gewähren den Nehmerländern Kredite, schaffen unter dem Motto "Wandel durch Handel" auch Abhängigkeiten.

Spitzenpolitiker aus mehr als 100 Ländern reisen in die chinesische Hauptstadt, um an dem Treffen teilzunehmen; unten ihnen auch der russische Präsident Wladimir Putin - trotz des Haftbefehls des internationalen Strafgerichtshofs wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine.

China und Russland erkennen allerdings die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs nicht an. Putin wolle die Beziehungen zu China intensivieren und zeigen, dass er international nicht isoliert sei, sagt der Russlandexperte Alexei Chigadaev, im Gespräch mit der DW.

China, Beijing | Ankuft von Wladimir Putin zum Seidenstraßen-Gipfel
Ankunft von Wladimir Putin zum Seidenstraßen-Gipfel in PekingBild: Parker Song/Kyodo News/Pool/AP/dpa/picture alliance

BRI: Erfolg oder Misserfolg?

Offiziellen Angaben zufolge hat China bis Juni 2023 mehr als 200 Kooperationsvereinbarungen mit 152 Ländern und 32 internationalen Organisationen über die Seidenstraßeninitiative unterzeichnet. Auch Taiwan, das von China als eine abtrünnige Provinz betrachtet wird und nicht Teil der BRI ist, beobachtet die Entwicklung genau und hat ein eigenes Forschungsinstitut eingerichtet, um die geopolitischen Auswirkungen zu analysieren.

Chien-fu Chen, Direktor dieses BRI-Forschungsinstituts an der Tamkang University in Neu-Taipeh, sagt im DW-Interview, dass es bei der BRI nicht nur um Chinas Expansionskurs gehe, sondern auch um die Schaffung eines Gegengewichts zur vom Westen dominierten Weltordnung. Unter diesem Gesichtspunkt hält er die Initiative für "weitgehend erfolgreich". Chinas Seidenstraßeninitiative sei auf der Welt allgegenwärtig.

Mit dem Zug entlang der Seidenstraße

"Die BRI ist heute bei Weitem nicht nur die Umsetzung von Infrastrukturprojekten. Sie sichert wertvolle Rohstoffe für Chinas hungrige Volkswirtschaft und lotet die Möglichkeit der militärischen Präsenz Chinas aus. Die Initiative lernt aus sich selbst und ist damit anpassungsfähig. Sie überquert, wie die alte chinesische Weisheit sagt, einen Fluss, von Stein zu Stein tastend, und trägt die grundsätzliche Komponente chinesischer Diplomatie und Verteidigungspolitik in sich."

Ob die BRI Erfolg hat oder nicht, sei eine Ansichtssache, stellt Yun Sun, Direktorin des China-Programms der Denkfabrik Stimson Center in Washington, klar. "China hat stets erklärt, den unterentwickelten Ländern der Welt zu helfen. Einige würden es so sehen: 'China hat es gut gemacht.'", sagt sie der DW.

In diesem Monat ging zum Beispiel in Indonesien die erste Schnellzugverbindung zwischen der Hauptstadt Jakarta und der Provinzhauptstadt von Westjava Bandung in den Regelbetrieb. Firmen aus China haben die 142 Kilometer lange Verbindung gebaut und zum Großteil auch finanziert. Der Zug fährt bis zu 350 Stundenkilometer, die Fahrzeit verkürzt sich von dreieinhalb Stunden auf 40 Minuten. Die Regierung in Jakarta erhofft sich durch die bessere Infrastruktur mehr Auslandsinvestitionen. 

Wie Chinesen in Serbien Fuß fassen

Steigende Kosten

Aber genau dieses Bahnprojekt in Indonesien wurde überschattet von steigenden Kosten. Ursprünglich sollte die Strecke 5,5 Milliarden US-Dollar kosten. Sie ist nun um 1,5 Milliarden teurer. Eine chinesische Staatsbank finanziert das Projekt mit 75 Prozent der Kosten für 40 Jahre. Experten befürchten, dass der Bauträger, ein indonesisch-chinesisches Gemeinschaftsunternehmen, nicht in der Lage sei, die Darlehen zurückzuzahlen.

Laut BRI-Forscher Chien-fu Chen würden viele südostasiatische Staaten wie Indonesien die Schnellzugverbindung nicht wirklich brauchen. Diese sei für Geschäftsleute konzipiert und entsprechend teuer. "Diese Länder brauchen bessere Bahninfrastruktur für Güterverkehr, nicht für Personenverkehr."

China in der Schuldenfalle?

In einer Erklärung Chinas vor dem BRI-Gipfel wurden die chinesischen Direktinvestitionen im Ausland im Rahmen der Seidenstraßeninitiative mit 240 Milliarden US-Dollar beziffert. "Kein einziges Land ist infolge der Beteiligung an der BRI in die Schuldenkrise geraten", hieß es in der Erklärung weiter.

Dass die Staatsdefizite in vielen Ländern aber aufgrund der kostenintensiven Bauprojekte steigen, zeigt das Beispiel Sri Lanka. Die südasiatische Inselnation hat 2022 Staatsbankrott angemeldet. Die Schulden beliefen sich auf 50 Milliarden US-Dollar. Zu den größten Gläubigern gehören China und Indien. Beide Länder hat der Internationale Währungsfunds (IWF) zum Schuldenerlass aufgerufen, bevor Sri Lanka internationale Hilfe erhalten kann.

Sri Lanka hatte den zweiten internationalen Flughafen in Mattala mit chinesischer Kredithilfe gebaut. Knapp 20 Kilometer weiter an der Küste zum Indischen Ozean bauten chinesische Firmen den Tiefseehafen Hambantota. Da aber der Staat pleite war, war er nicht in der Lage, die Schulden zurückzuzahlen. Im Jahr 2017 wurde der Großteil des Hafens für 99 Jahre an China verpachtet - infolge der Zahlungsunfähigkeit. Dagegen übernahm Indiens Flughafengesellschaft "Airports Authority of India" den Großteil am Flughafen Mattala, um chinesische Interessen entgegenzuwirken.

Strengere Auswahlkriterien

China werde künftig bei der Auswahl der Darlehensnehmer sehr vorsichtig sein, sagt Ian Chong, Professor und Politologe an der National University in Singapur. "In Zukunft werden nur Projekte mit geringeren Risiken oder höheren Erträgen ausgesucht, um den Eindruck der 'Schuldenfalle' zu vermeiden."

Deutschland hat im Übrigen bisher kein offizielles Dokument mit China über die Seidenstraßeninitiative unterzeichnet. In der Chinastrategie der Bundesregierung hieß es, Chinas politische Initiativen würden den Rahmen für Chinas politische und geoökonomische Beziehungen auf allen Kontinenten bilden. "Sie dienen der Schaffung eines weltumspannenden Netzes mit China im Mittelpunkt. Die Seidenstraßeninitiative zeigt dies besonders deutlich. Infrastrukturkredite haben in einigen Ländern zu nicht nachhaltiger Verschuldung beigetragen und verfestigen politische Abhängigkeiten."

Italien ist das einzige G7-Land, das sich der BRI angeschlossen hat. Italien hatte sich mehr Exportchancen für seine Unternehmen und mehr Investitionen aus China erhofft, als 2019 die Vereinbarung unterschrieben wurde. Doch die Euphorie ist verflogen. Die neue Regierung um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni denkt über einen Ausstieg nach. Andere EU-Länder wie Griechenland, Tschechien, Ungarn, Portugal haben dagegen Vereinbarungen mit China über die BRI-Partnerschaft abgeschlossen.

Kann China immer noch viel Geld ausgeben?

Doch die Seidenstraßeninitiative schrumpft. Nach Statistiken der berühmten Fudan Universität in Shanghai wurden 327 Millionen Dollar im Rahmen der BRI in der ersten Jahreshälfte 2023 investiert. Das entspricht einem Rückgang um 35 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum von 2017. Und die Kreditvergabe an afrikanische Länder sank 2021 und 2022 laut der jüngsten Studie der Boston University auf unter zwei Milliarden Dollar, den niedrigsten Stand seit 20 Jahren.

"China ist nicht mehr der reiche Onkel, weil der Onkel selbst etwas knapp bei Kasse ist", sagt Politologe Ian Chong. "Demnächst würde sich China auf weniger kostenintensive Projekte konzentrieren wie den Ausbau der digitalen Infrastruktur." Autobahn und Eisenbahnen seien out, sagt BRI-Forscher Chen. "Mit 'hoch qualitativem Ausbau der BRI' meint China Projekte, die klein und fein sind."

Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Beitrag wurde der Russlandexperte Alexei Chigadaev fälschlicherweise als Mitarbeiter der Universität Leipzig bezeichnet. Die DW hat den Fehler korrigiert. 

Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan