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Chinas Immobilienkrise trifft Schattenbanken

18. August 2023

Chinas Immobilienbranche steckt in einer tiefen Krise. Mittlerweile haben die Liquiditätsprobleme von den großen Bauträgern des Landes auf die berüchtigten Schattenbanken der Volksrepublik übergegriffen.

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Fußgänger und E-Bikefahrer vor der Hochhauskulisse in der Nähe der Evergrande-Zentrale in Shenzhen
Vom Fischerdorf zur Hightech-Metropole: Shenzhen, Sitz des strauchelnden Evergrande-Konzerns Bild: Ng Han Guan/AP Photo/picture alliance

Beim chinesischen Finanzkonglomerat Zhongzhi wird das Geld knapp. Das Unternehmen aus Peking, das den kriselnden Treuhandfonds-Anbieter Zhongrong kontrolliert, räumte Liquiditätsschwierigkeiten ein. Das geht aus einem Video-Mitschnitt eines Treffens mit Investoren vom Mittwoch hervor. Zhongzhi plant nun eine Umschuldung und sucht strategische Investoren.

Dazu hat das Unternehmen laut dem Video eine der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften angeheuert, die die Bilanzen unter die Lupe nehmen soll. Zhongrong International Trust, an der Zhongzhi 33 Prozent hält, leidet unter der Immobilienkrise und hatte seit Ende Juli laut Anlegern die Fristen für Zahlungen auf Dutzende von Investment-Produkten verstreichen lassen.

Vom Holzhändler zur Schattenbank

Das Konglomerat gilt als eine der misstrauisch beäugten Schattenbanken, die weitgehend unkontrolliert agieren und deren Treiben  die Regierung in Peking schon seit Jahren Einhalt zu gebieten sucht. Zhongzhi hatte in den 1990er Jahren als Holz- und Grundstückshändler begonnen, expandierte aber schnell in andere Branchen von der Chipindustrie bis zum Bergbau.

Vor allem aber betätigt sich Zhongzhi in der Finanzbranche: Neben der in Schieflage geratenen Zhongrong gehören fünf Fondsgesellschaften und vier Vermögensverwalter zu dem Imperium. Insgesamt soll Zhongzhi mehr als eine Billion Yuan (125 Milliarden Euro) verwalten.

In den Treuhandfonds ("Trusts") von Zhongrong, die Anleger mit Renditen von sechs bis sieben Prozent lockten, stecken allein 700 Milliarden Yuan (88,43 Milliarden Euro). Ende 2022 waren 10,7 Prozent davon in Immobilien investiert.

Die Prüfer hätten bereits im Juli mit ihrer Arbeit begonnen, erklärten das Zhongzhi-Management bei dem Investorentreffen. Man könne nicht wissen, ob das Unternehmen Insolvenz anmelden müsse, bevor die Prüfung der Bilanzen abgeschlossen sei. Ziel sei eine geordnete Rettung aus eigener Kraft, aber auch eine Pleite sei möglich. Wie hoch die Schuldenlast ist, um die es bei der Sanierung geht, ließen die Zhongzhi-Manager offen.

China Peking | Proteste vor Zhongrong International Trust
Proteste vor dem Gebäude des Zhongrong International Trust in Peking am 16. August 2023 (Standbild aus einem Social Media-Video)Bild: REUTERS

Wie ein Schneeball-System

Zhongrong-Manager Wang Qiang hatte am Montag Dutzende von Investoren in der Firmenzentrale in Peking empfangen, nachdem seit Tagen Unternehmen von ausbleibenden Zahlungen berichtet hatten. Er machte nach Angaben eines Teilnehmers deutlich, dass Zhongrong derzeit nicht die Absicht habe, seinen Rückzahlungsverpflichtungen nachzukommen. Er habe eingeräumt, dass einige Treuhandfonds mit kurzen Laufzeiten von drei bis zwölf Monaten eingeworbene Gelder dazu verwendet hätten, ältere Produkte zurückzuzahlen. Verärgerte Investoren kritisierten die Bündelung von Geldern ("Pooling of funds") aus verschiedenen Produkten - eine Praxis, der die Regierung eigentlich seit Jahren Einhalt gebieten will.

Die Probleme blieben wahrscheinlich nicht auf Zhongrong beschränkt, sondern dürften sich bald in der ganzen Treuhand-Branche zeigen, befürchtet Arthur Kroeber vom Investmenthaus Gavekal in New York. Die Regierung werde das in den Griff bekommen, ohne dass die ganze Sache in die Luft fliege. "Aber das ist ein langwieriges, langsam köchelndes Problem." Die japanische Investmentbank Nomura fürchtet bei einer Pleitewelle der Treuhandfonds Auswirkungen auf die Konjunktur. Wenn einzelne Anleger Verluste erlitten, könne das die Konsumneigung drosseln.

Altlasten aus den Jahren des Hyper-Wachstums

Es wäre nicht der erste große chinesische Mischkonzern, der in Schieflage gerät: Der Versicherer Anbang und die HNA Group waren ebenfalls schnell gewachsen und danach zusammengebrochen. Zhongzi-Gründer Xie Zhikun war Ende 2021 an einem Herzanfall gestorben. Seine Witwe ist die bekannte Sängerin Mao Amin. Von Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen hat sich Zhongzhi in den vergangenen Jahren getrennt, nachdem die Regierung den Druck auf Schattenbanken verstärkt hatte und sich die Immobilienmärkte eintrübten.

Erst am Donnerstag hatte der hoch verschuldete Immobilienentwickler Evergrande in den USA Gläubigerschutz beantragt. Damit will sich der Konzern in den USA vor Forderungen schützen, während anderswo die Verhandlungen für eine Umschuldung weitergehen. 

Der chinesische Konzern steckt in einer tiefen Krise und gilt als das am höchsten verschuldete Immobilienunternehmen der Welt. Evergrande hatte Schulden von über 300 Milliarden Dollar (rund 276 Milliarden Euro) angehäuft. Zinszahlungen konnten nicht mehr pünktlich geleistet werden. Im Januar 2022 kündigte das Unternehmen einen Restrukturierungsplan an. Dieser wurde über ein Jahr später im März präsentiert. Wie die britische "Financial Times" berichtete, sollen noch in diesem Monat Verhandlungen mit Gläubigern in Hongkong stattfinden.

Logo von Country Garden vor einer Immobilie in der Stadt Dalian in der Provinz Liaoning
Immobilie des Unternehmens Country Garden in der Stadt Dalian in der Provinz LiaoningBild: dpa/HPIC/picture alliance

Am Bedarf vorbei gebaut

Der chinesische Immobiliensektor befindet sich seit geraumer Zeit in einer schweren Krise, für die Evergrande aufgrund seiner schieren Größe zum Symbol geworden ist. Nicht nur profitgierige Immobilienentwickler, die oft am tatsächlichen Bedarf vorbei gebaut haben, sind für die aktuelle Situation verantwortlich. 

Auch Peking trägt seinen Teil dazu bei. Denn bevor die Branche in Schieflage geriet, wurde sie mit strikten neuen Regeln zum Schuldenabbau gezwungen. Dutzende weitere Immobilienentwickler sind seither in den Abgrund gerissen worden. Die allzu strengen Regeln wurden oft als Hauptursache der Krise angesehen. Inzwischen hat Peking die Vorschriften wieder etwas gelockert und Hilfe für die Branche signalisiert.

Doch viel Vertrauen ist verspielt, die Verunsicherung groß. Erst vergangene Woche stürzte das Unternehmen Country Garden an der Börse ab, nachdem es zwei Kuponzahlungen für US-Dollar-Anleihen verpasst hatte. Dabei galt der zweitgrößte Entwickler des Landes zuvor als vergleichsweise stabil. Zwar handelt es sich zunächst nur um Zinszahlungen in Höhe von 22,5 Millionen US-Dollar. Trotzdem wurden sofort Erinnerungen an Evergrande wach, wo die Probleme ähnlich begannen.

Die Krise wirkt sich auch auf andere Bereiche der Wirtschaft aus, da der Immobiliensektor in China immer eine wichtige Stütze des Wachstums war. Die chinesische Wirtschaft ist derzeit ohnehin angeschlagen. Die Erholung nach der Corona-Pandemie fällt schwächer aus als von der Regierung erhofft.

Proteste aufgebrachter Anleger vor der Evergrande-Zentrale in Shenzhen im September 2021
Erheblicher sozialer Sprengstoff für Chinas Parteiführung: Aufgebrachte Anleger vor der Evergrande-Zentrale in Shenzhen (September 2021) Bild: Noel Celis/AFP

Balanceakt für staatliche Regulierer

"Das hängt alles zusammen, die Ansteckung passiert schon, und das Risiko ist groß, dass es sich weiter ausbreitet", sagte Yan Wang, China-Stratege bei Alpine Macro. "Die Regierung muss schnell und aggressiv handeln, um das Risiko einzudämmen." Die Investmentbank Barclays erwartet, dass die Regulierungsbehörden eingreifen, wenn sich das Marktumfeld deutlich verschlechtere.

In der Vergangenheit habe China solche Probleme mit staatlichen Finanzspritzen in den Griff zu bekommen versucht. Doch da die Investoren in die Trusts vornehmlich wohlhabende Privatleute und Unternehmen seien, könnten die Behörden eher "die Marktkräfte wirken lassen", vermutet Barclays.

Die Regierung in Peking hat den Schattenbanken-Sektor im Sinne einer größeren Finanzstabilität seit 2017 im Visier und versucht, ihn stärker zu regulieren und zu verkleinern. Ende des vergangenen Jahres summierten sich die Kapitalanlagen in den Trusts auf 21 Billionen Yuan (knapp drei Billionen Dollar), das sind immerhin 20 Prozent weniger als fünf Jahre zuvor. In den Immobiliensektor allein hatten die Trusts 1,2 Billionen Yuan investiert, ein Minus von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Yuan auf 16-Jahrestief

Die japanische Investmentbank Nomura senkte am Freitag die Wachstumsaussichten für China von 5,2 Prozent auf nur noch 4,6 Prozent für das laufende Jahr. An den Devisenmärkten stürzte der Kurs der Landeswährung Yuan in der vergangenen Woche gegenüber dem US-Dollar auf ein 16-Jahrestief.

Finanz-Experten zufolge ist es zwar unwahrscheinlich, dass sich die Probleme von Zhongzhi auf Chinas große Geschäftsbanken auswirken. Doch sie könnten auf andere Vermögensverwalter überspringen, wenn wohlhabende Anleger ihr Geld abziehen, warnte Dinny McMahon, Analyst bei Trivium China und Autor des Buches China's Great Wall of Debt gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg. "Wenn die Anleger das Vertrauen verlieren, wird es für die Unternehmen plötzlich schwieriger, weiterhin neue Mittel zu beschaffen", so McMahon. "Dann wird das Potenzial für kaskadenartige Zahlungsausfälle immer größer".

tko/dk (rtr, dpa, Bloomberg)