1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Serbien: "Sklavenarbeit" auf der Baustelle

23. November 2021

Rund 500 vietnamesische Arbeiter bauen in Serbien die erste chinesische Reifenfabrik in Europa - unter unmenschlichen Bedingungen, sagen Aktivisten. Kein Geld, keine Pässe, kein warmes Wasser. Die Regierung widerspricht.

https://p.dw.com/p/43Lkf
Serbien I Kritik an Arbeitsbedinungen in Autofabrik Zrenjanin
Bild: Darko Vojinovic/AP/picture alliance

Serbien: Sklavenarbeit auf Baustelle?

"No food, no electricity", sagt ein vietnamesischer Arbeiter - viel mehr Englisch spricht er nicht. Die Journalisten sind schon wieder da. Dieser Mann und seine rund 500 Landsleute können nicht wirklich glauben, dass ihr Schicksal die Medien in Serbien schon seit Tagen beschäftigt und droht, ein Politikum zu werden.

Seit Monaten schuften die Arbeiter aus dem Fernen Osten auf einer Baustelle in der Nähe von Zrenjanin, im Norden des Balkanlandes. Dort entsteht auf der grünen Wiese eine Riesenfabrik des chinesischen Autoreifenherstellers Linglong Tyre.

Serbien | Vietnamesische Arbeiter auf chinesischer Baustelle
Vietnamesische Arbeiter auf der Baustelle in ZrenjaninBild: Darko Vojinovic/AP/picture alliance

Rund 900 Millionen US-Dollar soll Linglong hier investieren. Ein Rekord-Engagement für Serbien. Mehr als 1000 Mitarbeiter sollen demnächst in der Produktion arbeiten.

Strafanzeige wegen Menschenhandels

Doch das Märchen von der "eisernen Freundschaft" zwischen China und Serbien und der großartigen Chance der neuen Seidenstraße wird von Berichten über sklavenähnliche Arbeitsbedingungen auf der Baustelle getrübt.

"Es ist schrecklich. Die Menschen haben nicht mal ärztliche Hilfe", berichtet die Investigativ-Journalistin Ivana Gordić, die als erste über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Vietnamesen berichtete.

Auch die Bilder des Kabelsenders N1 zeigen verfallene Baracken am Rande der Stadt, mit Betten wie in überfüllten Gefängnissen und nur zwei alten Badezimmern für hunderte Menschen. "Es gibt keine Heizung und das warme Wasser im Boiler reicht höchstens für fünf Menschen", so Gordić gegenüber der DW.

Serbische Aktivisten haben Strafanzeige wegen Verdachts auf Sklavenarbeit und Menschenhandel gestellt. Die Gastarbeiter bekamen demnach bislang nur einen Monatslohn, obwohl sie seit Frühling 2021 in Serbien seien. Ihre Pässe habe der Arbeitgeber zurückgehalten.

Schlechte Arbeits- und Wohnungsbedingungen für vietnamesische Gastarbeiter in Zrenjanin
Schlechte Arbeits- und Wohnungsbedingungen für vietnamesische Gastarbeiter in ZrenjaninBild: N1 Belgrad

Vergangene Woche holten Aktivisten einen Arbeiter aus den Baracken, der zuvor gefeuert worden war, weil er mit Medien gesprochen hatte. Es kam zum Gerangel mit dem Sicherheitspersonal, erst dann tauchten Polizei und Arbeitsinspekteure auf.

Mehrere Journalisten wurden von einem Chinesen, dessen Rolle nicht klar ist, in ihrer Arbeit behindert, darunter auch die Reporterin der DW. In einem dunklen Van mit Belgrader Kennzeichen blockierte der Mann kurz das DW-Team auf der Straße, entfernte sich dann aber wieder.

Präsident "bettelt" um chinesisches Geld

Alles nur eine "mediale und politische Kampagne" gegen chinesisches Kapital, sagt der serbische Präsident Aleksandar Vučić dazu.

"Wegen des öffentlichen Drucks haben wir Inspekteure dorthin geschickt. Die Bedingungen sind nicht gut, aber sie werden besser", gab Vučić zu, und fragte dann die Kritiker: "Sollen wir die Investition von 900 Millionen zerstören? Wir wollen auch den vietnamesischen Arbeitern helfen, aber ich werde die Investoren nicht verjagen."

Der starke Mann in Belgrad regiert das Land im Alleingang, es gibt praktisch keine Opposition und die größten Medien werden an der kurzen Leine gehalten. Obwohl Vučić für die EU-Mitgliedschaft seines Landes eintritt, spricht er offen darüber, wie er bei Chinas starkem Mann Xi Jinping um Investitionen "bettelt".

Peking Xi Jinping Aleksandar Vucic
Aleksandar Vučić und Xi Jinping in Peking am 16.05.2017Bild: Getty Images/D. Sagolj

Mittlerweile kontrollieren chinesische Firmen ein großes Stahlwerk und eine Kupfermine in Serbien. Sie bauen Eisenbahnnetze und Autobahnen. Auch deutsche und andere westliche Investoren werden mit staatlichen Subventionen, kostenlosen Grundstücken oder Steuerrabatten regelrecht hofiert.

"Das Problem ist hier nicht, dass es sich bei Linglong um eine chinesische Firma handelt", sagt Danilo Ćurčić, der Menschenrechtsanwalt der Nichtregierungsorganisation "A11", der sich um den Fall kümmert. "Das eigentliche Problem ist, dass diese Lage eine logische Folge der Erosion der Arbeiterrechte ist sowie des sogenannten Wettlaufs nach unten um ausländische Investitionen."

Gemeint sind üppige Gelder, die Investoren für jeden geschaffenen Job bekommen. Die Summen reichen bis zu 50.000 Euro pro Arbeitsplatz - wobei einfache Arbeiter meistens 400 bis 500 Euro netto im Monat verdienen. Als bloße Werkbank der westlichen und chinesischen Firmen werde Serbien zunehmend zum "Bangladesch des Balkans", so Kritiker.

Arbeiter werden bedroht

Im Gespräch mit der DW erhebt Ćurčić im Fall Linglong schwere Vorwürfe. "Serbien ist in dieser Situation kein wohlmeinender Staat, eher ein Mittäter des Investors. Anders sind so gravierende Vernachlässigungen der lokalen und internationalen Gesetze und Konventionen nicht zu erklären."

Auch die deutsche Europaabgeordnete Viola von Cramon nannte die Bedingungen "inakzeptabel". "Vernünftige Arbeitsplätze und Menschenrechte müssen respektiert und für alle zugänglich sein", schrieb die Politikerin der Grünen auf Twitter.

Der serbische Außenminister bezeichnete das Statement als neuen Versuch der Politikerin, Serbien zu "dämonisieren".

Mittlerweile wurden die rund 500 vietnamesischen Arbeiter auf drei andere Unterkünfte verteilt. Dort sollen die Bedingungen besser sein. Das Geld, das sie bisher verdient haben, wurde aber noch nicht ausgezahlt.

Laut mehreren Quellen der DW gab es "intensive Gespräche" des chinesischen Managements mit vietnamesischen Bauarbeitern. Insider berichten von Drohungen für den Fall, dass die Vietnamesen wieder mit kritischen Journalisten sprechen.

Mit regierungsfreundlichen Medien hingegen sollten sie sprechen. So bekamen die Arbeiter am Wochenende Besuch der Reporterin von Pink, dem populärsten TV-Sender des Landes, dessen Nachrichten ein ununterbrochenes Loblied auf Präsident Vučić singen. Alles sei wunderbar, sagten die Vietnamesen in die Kamera.