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CO2-Ausstoß auf Reisen: Was taugt die Kompensation?

Jonas Martiny
14. Juni 2023

Viele Touristen leisten freiwillige Ausgleichszahlungen an Klimaschutzprojekte, um ihren Treibhausgas-Abdruck zu verringern. Das ist jedoch zunehmend umstritten.

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Zwei Strandstühle und ein Sonnenschirm stehen am Strand mit Blick aufs Meer
Vor allem Fernreisen haben eine schlechte KlimabilanzBild: picture alliance / Zoonar

Ein gutes Gewissen lässt sich kaufen – so sehen das offenbar immer mehr Flugpassagiere. Die Zahl der Urlauber nämlich, die den Treibhausgas-Ausstoß ihrer Reise durch eine freiwillige Zahlung ausgleichen, steigt seit Jahren. Allein der Anbieter Atmosfair nahm im Jahr 2021 mehr als 16 Millionen Euro an freiwilligen Klimaschutzbeiträgen ein. Im Jahr 2017 waren es noch 6,5 Millionen. Der Anbieter Myclimate konnte die Einnahmen im selben Zeitraum gar von etwa zehn Millionen auf mehr als 40 Millionen Euro steigern.

Nachhaltiger Fliegen "mit einem Klick"

Dem offenbar steigenden Bewusstsein unter Reisenden für die klimaschädliche Wirkung des Fliegens tragen auch die Airlines Rechnung. Dass man seinen CO2-Ausstoß ganz bequem während des Buchungsvorgangs durch die Zahlung einer freiwilligen Summe ausgleichen kann, gehört mittlerweile zum Standard. Die Lufthansa etwa preist seit einiger Zeit sogenannte "Green Fares" als besonders klimafreundliche Tarife an. "Mit nur einem Klick nachhaltiger Fliegen", lautet das Versprechen. Mit dem Geld, das zusätzlich eingenommen wird, fördere man die Nutzung nachhaltiger Flugkraftstoffe und Klimaschutzprojekte.

Ein Airbus A319-100 der Lufthansa im Landeanflug.
Die Lufthansa wirbt seit einiger Zeit mit besonders klimafreundlichen TarifenBild: Jochen Eckel/picture alliance

Die Kritik an dieser Art, seinen CO2-Fußabdruck zu verringern, wächst allerdings. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) etwa kritisiert das Lufthansa-Angebot scharf: "Wenn die Lufthansa ernsthaft klimafreundlicheres Reisen anbieten will, könnte sie auf innerdeutsche Flüge verzichten." Bei der DUH-Wahl der "dreistesten Umweltlüge des Jahres" landete die Lufthansa im Herbst auf dem zweiten Rang. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch spricht von "Ablasshandel" und sagt: "Es gibt da ganz, ganz dreistes Greenwashing im Tourismus, indem die Anreise mittels Kompensationszahlung neutral gestellt wird."

Umweltschützer: Projekte taugen nicht zur Kompensation

DUH-Geschaeftsfuehrer Juergen Resch in Berlin
Jürgen Resch: Bundesgeschäftsführer der Deutschen UmwelthilfeBild: Christian Ditsch/epd-bild/picture alliance

Auch andere Umweltschutzorganisationen sehen das derzeitige System kritisch. "Das Konzept ist sehr komplex, hat große Schwächen und führt oftmals nicht zu der gewünschten Unterstützung von Klimaschutzprojekten", sagt Martina von Münchhausen, Expertin für nachhaltigen Tourismus beim WWF Deutschland. Der größte Teil der durch freiwillige Zahlungen etwa von Flugreisenden finanzierten Projekte tauge nicht zur Kompensation.

Abgewickelt wird das mittlerweile millionenschwere Geschäft von Anbietern wie Atmosfair oder Myclimate. Diese finanzieren mit den Spenden der Reisenden Klimaschutzprojekte, überwiegend in afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern. Das Versprechen: Die Kompensationszahlung sorgt dafür, dass jede Tonne CO2, die etwa auf einem Flug in die Atmosphäre gelangt, anderswo eingespart wird. Finanziert werden unter anderem Aufforstung und Waldschutz, Projekte zur Nutzung erneuerbarer Energien oder zur Verbesserung der Energie-Effizienz. Atmosfair finanziert beispielsweise die verstärkte Nutzung effizienterer Öfen in nigerianischen Haushalten. Diese kämen beim Kochen mit 80 Prozent weniger Holz aus und verbesserten somit die Klimabilanz deutlich.

Zwei Frauen kochen mit einem Holzofen in Nigeria
Die Nutzung effizienterer Holzöfen in Nigeria soll den CO2-Ausstoß von Flugreisen ausgleichenBild: Atmosfair/dpa/picture alliance

Kein gesetzlich geregelter Mindeststandard

Kritiker bemängeln jedoch, dass die Kontrolle und die Vorgaben bei der Auswahl der geförderten Projekte mangelhaft seien. "Anders als bei staatlich vergebenen Bio- und Öko-Siegeln existiert für CO2-Label kein gesetzlich geregelter Mindeststandard", heißt es etwa bei der Deutschen Umwelthilfe. "Die von privatwirtschaftlichen Unternehmen vergebenen Siegel sind daher nicht verlässlich und auch die Grundlagen für die Berechnungen der Emissionen sind nicht einheitlich."

Bei Atmosfair verweist man auf die internationalen Standards, die man bei der Auswahl der Projekte erfülle, den sogenannten "Gold-Standard" etwa, der bei Zulassung und Prüfung von Projekten strenge Regeln vorgebe. Die im Rahmen der Projekte erzielten Emissionseinsparungen werden anschließend in Form von Zertifikaten gutgeschrieben und verkauft. Dass freiwillige Kompensationen kein Allheilmittel sind, räumt man auch bei Atmosfair ein: "Kompensation kann allein nicht zielführend sein, sondern ist nur ergänzend zur notwendigen CO2-Reduktion an der Quelle durch Innovation und Verbreitung der nötigen Technologien und Verhaltensweisen." Es handele sich lediglich um eine "Behelfslösung".

Reisende steigen in einen ICE am Hauptbahnhof in Berlin
Wenn möglich, sollte man aufs Fliegen verzichten und nach Alternativen schauenBild: Joerg Carstensen/dpa/picture alliance

Emissionen vermeiden steht an erster Stelle

Das sieht auch Professor Wolfgang Strasdas so, Forschungsleiter des Zentrums für Nachhaltigen Tourismus an der Hochschule Eberswalde. "Zunächst sollte man andere Optionen erwägen und umsetzen, um Emissionen zu vermeiden", sagt er. Erst, wenn das nicht möglich ist, komme die Kompensation infrage und sei dann auch ein sinnvolles Mittel.

"Das große Problem im Tourismus ist der Transport und hier insbesondere das Fliegen." Reisende sollten daher zuallererst prüfen, ob sie nicht auch auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel umsteigen können. "Wenn das ohne Verzicht nicht möglich ist, dann halte ich von Kompensation sehr viel", sagt Strasdas, der keine grundsätzlichen Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Klimaschutzprojekten hat, so sie denn hochwertig und zertifiziert seien. Das dahinterstehende Kontrollsystem sei schließlich "sehr aufwendig".

Jürgen Resch von der Umwelthilfe dagegen hat weitreichende Bedenken. "Ich sehe diese ganzen Kompensationen als fragwürdig an", sagt er. Es gebe eine viel einfachere Lösung, nämlich die Besteuerung der CO2-Emissionen. "Wir brauchen eine sichere Einpreisung der Umweltkosten", sagt er. Wer trotz allem ins Flugzeug steigt, der solle sich zumindest der Folgen für die Umwelt bewusst sein. "Da kann man sich nicht reinwaschen, indem man Geld bezahlt."

 

Jonas Martiny -  Travel Online-Autor
Jonas Martiny Reporter, Korrespondent