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"In einer Pandemie sind drei Viertel Psychologie"

Kay-Alexander Scholz
13. August 2021

Bitte lasst Euch impfen, appelliert die Bundesregierung. Doch die Impfkampagne stockt. Psychologen sehen auch Fehler in der politischen und medialen Kommunikation. Was könnte besser laufen?

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Kinder Jugendliche Impfung Corona
Bild: Sven Hoppe/picture alliance/dpa

Eine maskierte Person, manchmal sogar im Schutzanzug, beugt sich über einen Impfling, pikst eine Nadel in den Oberarm und drückt eine Flüssigkeit in den Muskel. Diese Szene ist in TV-Berichten deutscher Medien omnipräsent. In einer bundesweiten Plakat-Kampagne war es als Bild auf den Straßen zu sehen. So wurde es zu einer Art Symbolbild.

"Psychologisch gesehen ist dieses dramatisierende Szenario kein stichhaltiges Argument, sich impfen zu lassen", sagt der Psychologe Stephan Grünewald im DW-Gespräch. Für viele wirke es eher abschreckend und Angst machend.

Die Macht der Bilder ist, so Grünewald, ein wichtiger Punkt.

Stephan Grünewald
Stephan Grünewald ist Psychologe, Marktforscher, Politikberater und BuchautorBild: Maya Claussen

Die Politik sollte sich zudem stärker auch mit inneren Widerständen der Menschen befassen, sagt Grünewald, um mehr Personen zu einer Impfung zu bewegen. Es spielten "viele unbewusste, irrationale Wirkfaktoren" eine Rolle.

Auch aus der Medizin - wie zum Beispiel vom Intensivmediziner Uwe Janssens - kamen Aufrufe, mehr aufzuklären und die Ängste der Leute mithilfe von Psychologen ernster zu nehmen.

"Wenn man in der Wirtschaft sagt, die Hälfte sei Psychologie, kann man bei einer Pandemie sagen, es sind drei Viertel!", sagt Grünewald.

Vertrauen erzeugen

Eine regelrechte Ur-Angst der Menschen sei die vor Spritzen, die irgendwas in den Körper einbringen, sagt der Psychologe Peter Kirsch im DW-Gespräch. Das typische Impfbild aber betont genau diesen Vorgang immer wieder.

Peter Kirsch
Peter Kirsch ist Psychologe am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in MannheimBild: Tobias Schwerdt

Bei Corona komme noch etwas anderes dazu, erklärt Kirsch. Denn unter "mRNA-Impfstoff und Gentechnik" könnten sich viele erstmal nichts Genaues vorstellen.

Zudem würden viele Menschen Risiken eher ablehnen oder zumindest ambivalent eingestellt sein. Das heißt, "sie entscheiden sich erst nach einer persönlichen Chancen-Risiko-Abwägung". Wobei aus der Entscheidungsforschung bekannt sei, dass Risiken im Verhältnis zu Chancen überbewertet würden.

Für diese die Risiken sehr genau abwägenden Menschen sei Vertrauen ganz wichtig. Doch da habe die Politik zu oft ein schlechtes Bild abgegeben, kritisiert Kirsch.

Zum Beispiel bei der "Kakophonie zur Frage, ob Jugendliche geimpft werden sollen oder nicht". Oder bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit von Masken. Die erst so und dann anders von der Politik beantwortet wurde. Das Umschwenken von "ist nicht nötig" zu "wird zur Pflicht" sei ein Vertrauensverlust gewesen, der noch aktuell nachhalle.

Anreize schaffen

Bei der aktuellen Frage "Impfen: ja oder nein?" komme ein weiterer Aspekt von Vertrauen hinzu. Kirsch hat in einer Studie über den Zusammenhang geforscht zwischen der Frage, wie sehr Menschen generell den Institutionen, Politik, Wissenschaft und Medien vertrauen, und ihrer Bereitschaft, sich impfen zu lassen. Seine Studie ergab einen signifikanten Zusammenhang: Je stärker Menschen vertrauen, dass Institutionen funktionieren, umso eher sind sie bereit, sich impfen zu lassen - und umgekehrt.

Bei den Skeptikern käme oft noch eine "Verschwörungsmentalität" dazu. "Das sind Menschen, die dazu neigen, eine geheime Macht im Hintergrund zu sehen - mit eigener Agenda und eigenen Zielen." Das führe dann zu einer "Selbstermächtigung". Das heißt, "dass Menschen sich nicht mehr an die Regeln und Normen der Gesellschaft gebunden fühlen". Es sei schwierig, dagegen anzugehen.

Bratwürste auf dem Grill
Eine Bratwurst kann auch Anreiz für eine Impfung seinBild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Mit Anreizen zu arbeiten sei aber eine Option, zum einen mit - positiven - Anreizen. Zum Beispiel mit einer kostenlosen Bratwurst oder einem Burger nach der Impfung, so haben es einige Kommunen bereits erfolgreich ausprobiert. Wobei bei wirklich unentschlossenen Menschen deutlich höhere Anreize notwendig seien, schränkt Kirsch ein.

Dann wären da aber auch noch negative Anreize wie diesem: Ab Mitte Oktober müssen Nicht-Geimpfte in Deutschland Corona-Tests selber zahlen, wenn sie zum Beispiel ins Kino wollen. Kirsch würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: "Man muss den Menschen klar machen, dass, wenn man sich nicht impfen lässt, dann auf bestimmte Dinge verzichten muss."

Option Impfpflicht?

Unter dem Kürzel "2G" wird die Möglichkeit, bestimmte Freiheiten auf "Genesene" und "Geimpfte" zu beschränken, in Deutschland bereits diskutiert. Es soll den Druck erhöhen, sich impfen zu lassen. "Doch an den wirklich harten Impf-Gegnern beißen wir uns die Zähne aus", vermutet Kirsch.

Dann doch eine Impfpflicht? Der Experte warnt. "Seit anderthalb Jahren heißt es von der Bundesregierung, es werde keine Impfpflicht geben", so Kirsch. "Ein Umschwenken würde nur das Narrativ von Verschwörungsgläubigen, Impffeinden und Querdenkern unterstützen, die Politik habe etwas anderes im Sinn."