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Demokratie-Check: Bundesregierung hat Nachholbedarf

20. September 2023

Transparenz, Bürgerbeteiligung, Wahlrecht - der zivilgesellschaftliche Verein "Mehr Demokratie" und Transparency International ziehen eine gemischte Bilanz.

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An einem Laternenmast hängt ein Wegweiser mit der weißen Aufschrift "Wahllokal" auf rotem Hintergrund
An der Wahlrechtsreform scheiden sich die Geister: Begrüßt wird, dass der Bundestag kleiner wird; Beklagt wird die Benachteiligung kleinerer ParteienBild: Hendrik Schmidt/picture alliance/dpa

An deutschen Schulen gibt es sechs Noten – sie reichen von 1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend). Daran angelehnt haben zwei zivilgesellschaftliche Organisationen der deutschen Regierung aus Sozialdemokraten (SPD), Grünen und Freien Demokraten (FDP) ein eher dürftiges Zeugnis für die Umsetzung ihrer Demokratie-Versprechen erteilt: Mit einer 3,5. Das bedeutet gerade mal befriedigend (3) bis ausreichend (4).

Zehn konkrete Vorhaben der Koalition hat der 1988 gegründete Verein "Mehr Demokratie" unter die Lupe genommen. Er gilt als weltweit größter Fachverband seiner Art. Die über 10.000 Mitglieder engagieren sich für Reformen der direkten Demokratie, formulieren Gesetzentwürfe und initiieren Volksbegehren.

Im jetzt veröffentlichten Demokratie-Check bekommt die 2021 gewählte Bundesregierung zweimal die Bestnote: für die Absenkung des Wahlalters bei der Europawahl von 18 auf 16 Jahre und die Einführung von Bürgerräten, die der Politik konkrete Handlungsempfehlungen geben sollen. 

Nachteile für kleinere Parteien?

Zufrieden ist "Mehr Demokratie" mit der Verkleinerung des Deutschen Bundestags. Der ist schon in der Theorie mit 598 Mitglieder sehr groß. Aufgrund des komplizierten deutschen Wahlrechts ist er aktuell sogar auf 736 Abgeordnete gewachsen. Damit leistet sich Deutschland die größte frei gewählte Parlamentskammer der Welt. 

Bundestag beschließt Wahlrechtsreform

Doch trotz der inzwischen beschlossenen Reduzierung der Mandate bewerten die Demokratie-Check Autoren die Reform des Wahlrechts mit einer 5, mit mangelhaft. Der Grund: Die Regierungskoalition hat gleichzeitig die sogenannte Grundmandatsklausel gestrichen, von der besonders kleinere Parteien profitiert haben. Die Klausel erlaubte bislang eine Ausnahme von der in Deutschland geltenden fünf Prozent Klausel, nach der eben nur jene Parteien in die Parlamente einziehen können, die mindestens fünf Prozent der Stimmen erhalten. Bislang konnten aber dank der Grundmandatsklausel Parteien auch dann in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen, wenn ihre Kandidaten mindestens drei Wahlkreise direkt gewonnen haben. Bei der letzten Bundestagswahl 2021 profitierte die Linkspartei von dieser Ausnahme: Zwar verfehlte sie knapp die eigentlich erforderlichen fünf Prozent; aber sie errang drei Direktmandate und konnte deshalb trotzdem mit 39 Abgeordneten in den Bundestag einziehen.  

Mit der Wahlrechtsreform ist dieses Privileg für kleinere Parteien verschwunden. Der Bundesvorstandssprecher von "Mehr Demokratie", Ralf-Uwe Beck, hat dafür überhaupt kein Verständnis: Man habe den Eindruck, dass die Koalition ihre Macht missbrauche, "um politische Gegner wegzubeißen".

Bundestag ohne Linke und CSU?

Für die in Umfragen seit Monaten schwächelnde Linke könnte die Wahlrechtsreform bei der nächsten Bundestagswahl das politische Aus bedeuten.

Das Gleiche gilt mit Blick auf den Bundestag aber auch für die nur in Bayern zur Wahl antretende Christlich-Soziale Union (CSU), die im Bundestag seit Jahrzehnten eine Fraktionsgemeinschaft mit ihrer Schwesterpartei CDU bildet.

Das Berliner Reichstagsgebäude, Sitz des Deutschen Bundestags, mit der markanten, gläsernen Kuppel und dem Schriftzug "Dem Deutschen Volke" über dem Eingangsportal.
Kleinere Parteien wie die Linke müssen mehr denn je um den Wiedereinzug in den Bundestag bangenBild: Achille Abboud/IMAGO

"Mehr Demokratie" befürchtet, dass bei Bundestagswahlen künftig noch mehr Stimmen "unter den Tisch fallen", weil Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Zuletzt waren das rund vier Millionen, beim nächsten Mal könnten es nach Ralf-Uwe Becks Hochrechnungen sogar doppelt so viele Stimmen sein. "Für uns ein Anlass, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen." Man sei gerade dabei, die Beschwerde auszuarbeiten und werde sie am 20. Oktober veröffentlichen, kündigt der Bundesvorstandssprecher an.

Ein zentrales Demokratie-Versprechen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist das angekündigte sogenannte Bundestransparenzgesetz. Damit soll der Staat verpflichtet werden, Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern umfänglich zu beantworten. Dazu gehören beispielsweise Informationen über persönliche Daten, die bei Behörden gespeichert sind, oder dazu, welche Interessengruppen womöglich Einfluss auf politische Entscheidungen genommen haben.

Bundestransparenzgesetz in Warteschleife

Ursprünglich wollte das Bundesinnenministerium schon im Jahr 2022 Eckpunkte für ein Transparenzgesetz vorlegen. Davon ist inzwischen keine Rede mehr. Stattdessen soll es einen Entwurf erst bis Ende 2024 geben. Die weltweit gegen Korruption in Wirtschaft und Politik kämpfende Organisation Transparency International (TI) hält das für ein schlechtes Zeichen. "Die Demokratie ist zurzeit sehr unter Druck von verschiedensten Seiten und deshalb ist es so wichtig, die demokratische Zivilgesellschaft und die Teilhabe zu stärken", sagt die stellvertretende TI-Vorsitzende Margarete Bause.

Die Expertin erinnert die Bundesregierung an ihr eigenes Versprechen aus dem Koalitionsvertrag: "Wir wollen durch mehr Transparenz unsere Demokratie stärken. Uns leiten die Prinzipien offenen Regierungshandelns, Transparenz, Partizipation und Zusammenarbeit."

Um ihrer Forderung nach einem Bundestransparenzgesetz Nachdruck zu verleihen, haben Transparency International und acht weitere zivilgesellschaftliche Organisationen bereits 2022 einen eigenen Gesetzentwurf verfasst und ans Innenministerium weitergeleitet. Seitdem habe sich aber nichts getan, bedauert Margarete Bause.

"Wir machen in unserem Gesetzentwurf deutlich, dass Deutschland im internationalen Vergleich hinterherhinkt." Wobei die Bundesregierung aus Sicht der stellvertretenden TI-Vorsitzenden noch nicht einmal über die Landesgrenzen blicken müsste, denn im deutschen Stadtstaat Hamburg gebe es bereits ein sehr gutes Gesetz. "Von daher könnte man mal auf das Hamburger Transparenzgesetz schauen und davon auch einiges lernen." 

 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland