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Religionsvertreter aus aller Welt wollen "den Frieden wagen"

9. September 2023

Für drei Tage wird Berlin ein Zentrum der Weltreligionen. Bundespräsident und Kanzler treffen Imame und Patriarchen, Kardinäle und Rabbiner und andere spirituelle Führungsfiguren.

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Friedensfest der Religionen in Osnabrück
Das letzte Mal in Deutschland gab es das Saint'Egidio-Treffen 2017 in Münster und OsnabrückBild: DW/C.Strack

Die deutsche Hauptstadt wird vom 10. bis 12. September ein Ort von religiösen Welt-Dialogen über alle Bekenntnisse und staatliche Grenzen hinweg. Die in Rom ansässige katholische Gemeinschaft Sant'Egidio lädt zu ihrem 37. Internationalen Friedenstreffen. Unter dem Motto "Den Frieden wagen".

"Es wird", sagt Sant'Egidio-Generalsekretär Cesare Zucconi der Deutschen Welle, "ein großer Moment der Begegnung, des Dialogs sein". Denn heute brauche es den Dialog, das Lernen vom Anderen, auch das Verstehen der Unterschiede. Zucconi: "Das ist die große Herausforderung unserer Zeit: Wie können wir zusammenleben in den Unterschieden? Wie können wir den Dialog stärken? Und wie können wir stärker den Frieden wagen in einer Zeit, die so stark geprägt ist vom Krieg?"

Viele Kriege

Das gelte für Europa angesichts der russischen Aggression in der Ukraine. Aber es gelte auch für die vielen Kriege in der Welt, auf die man normalerweise nicht schaut, sagt der Generalsekretär. Er erwähnt den Krieg in Syrien, der auch nach zwölf Jahren noch nicht beendet sei, und die vielen afrikanischen Kriege und Konflikte. "Wir haben mit der Corona-Pandemie vielleicht verstanden, dass wir alle im selben Boot sitzen, dass wir miteinander vernetzt in der globalisierten Welt sind. Aber genau deshalb müssen wir gemeinsam für den Frieden arbeiten."

Mann lächelt in die Kamera
Cesare Zucconi, Generalsekretär von Sant‘EgidioBild: Christoph Strack/DW

So kommen muslimische Imame und jüdische Rabbiner und Oberrabbiner, christliche Bischöfe, Metropoliten, Kardinäle, Patriarchen oder EKD-Vertreter, buddhistische und hinduistische Repräsentanten nach Berlin. Zuletzt in Deutschland fand das Treffen 2017 statt, damals in Münster und Osnabrück .

Nun sprechen zum Auftakt neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und dem Präsidenten der Republik Guinea-Bissau, Umaro el Mokhtar Sissoco Embalo, auch führende Religionsvertreter. Aber am wichtigsten wird vielleicht der Beitrag der unbekanntesten Rednerin sein. Zohra Sarabi ist als Zeitzeugin aus Afghanistan angekündigt. Darin kommt der Ansatz von Sant'Egidio zum Ausdruck. Des öfteren tauchen im Programm Akteure von der Basis auf. Ein Richter aus der Elfenbeinküste, ein Menschenrechtler aus Mexiko, eine Zeitzeugin aus der Ukraine.  

Menschen in Gewändern mit Fackeln vor dunklem Hintergrund in einer Stadt, vor sich tragen sie ein Spruchband "Europe for Peace"
Seit ihrer Gründung 1968 engagiert sich die Organisation für FriedensarbeitBild: Cecilia Fabiano/Zumapress/picture alliance

Das passt zur Entstehung von Sant'Egidio und zur tagtäglichen Arbeit der Organisation. Als junger Student gründete der Italiener Andrea Riccardi 1968 mit Freunden in Rom die Gemeinschaft "Sant'Egidio". Was als Idee von ein paar jungen Leuten im römischen Stadtteil Trastevere begann, hat heute nach eigenen Angaben gut 60.000 Mitglieder in mehr als 70 Ländern. Es ist eine katholische Friedensbewegung mit dem Anspruch politischer Vermittlungsarbeit auch in schwierigsten Konflikten. 2009 erhielt Gründer Riccardi den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen.

"Humanitäre Korridore" für Kriegsflüchtlinge

Größter Erfolg war das 1992 erreichte Friedensabkommen für Mosambik, das damals im römischen Sitz der Bewegung unterzeichnet wurde und weltweit Aufsehen erregte. Gelegentlich engagieren sich Sant'Egidio-Akteure auch bei anderen Konflikten in Afrika als Vermittler. Und in Italien, mittlerweile auch in Frankreich ist die Organisation dafür bekannt, dass sie in Absprache mit den staatlichen Stellen mittlerweile tausende Menschen, meist syrische Familien mit Kindern, aus Flüchtlingslagern des Nahen Ostens in beide Länder geholt hat und bei deren Integration hilft.  

Älterer Mann mit Hut, grauem Vollbart und in grauem Anzug winkt zum Gruß
Er wird auch in Berlin erwartet: Pinchas Goldschmidt, der Präsident der Europäischen Rabbiner-KonferenzBild: Massimiliano Migliorato/Catholic Press Photo/picture alliance

Den Anstoß für die jährlichen Friedenstreffen gab Papst Johannes Paul II., der im Jahr 1986 die Religionen der Welt nach Assisi einlud. Daran knüpft Sant'Egidio Jahr für Jahr an. Und von Beginn an waren die Treffen interreligiös ausgerichtet. So sehr, dass medial häufig die Bilder von offiziellen Religionsvertretern in ihrer traditionellen Kleidung wichtiger scheinen als die eigentlichen Gespräche.

"Religionen können Anlass zu Konflikten sein", sagt Zucconi. "Aber wenn sie zu ihren Wurzeln gehen und authentisch sind, können sie friedensstiftend wirken. Da stehen sie in einer großen Verantwortung. Religionen bestehen natürlich aus Menschen, Menschen, die in ihrer Zeit leben, mit allen Herausforderungen." Zucconi versteht die Treffen und die langfristige Vernetzung als Impuls, damit die Religionen friedensstiftend arbeiten und "aus einer gewissen Selbstbezogenheit herauskommen". Es gehe darum,  die gemeinsame Verantwortung mehr wahrzunehmen angesichts der Kriege in der Welt.

Kanzler und Schulklassen

Die Botschaft soll auch Bundeskanzler Olaf Scholz beeindrucken, der nach seiner Reise zum G20-Gipfel in Indien kurz vor Ende der Berliner Konferenz an einem Forum teilnehmen will. Und sie soll auch Berliner Schulklassen ansprechen, die bewusst zu einzelnen Diskussionen eingeladen wurden. Überhaupt zeigen sich die Veranstalter von Sant'Egidio zufrieden mit den Rückmeldungen aus der Berliner Bevölkerung.

Männer in verschiedenen Gewändern, manche mit umgehängten Kreuzen, stehen nebeneinander in einer Stadt
Religion ist meist männlich repräsentiert. Hier bei der Schlussfeier 2017 in OsnabrückBild: DW/C.Strack

Das Schlussbild der drei Tage steht jedenfalls schon fest. Dann versammeln sich die Repräsentanten der vielen Religionen nach Gebeten an getrennten Orten vor dem Brandenburger Tor. Dort, wo einst die Mauer verlief als Symbol der gewaltfreien Teilung, sollen die Religionen ihre Verbundenheit demonstrieren – gegen jede Gewalt.