Deutschland – ein Märchenland? | Über die DW | DW | 27.12.2006
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Über die DW

Deutschland – ein Märchenland?

Zur WM 2006 fragte die Deutsche Welle ihre Hörer, Zuschauer und Internetnutzer weltweit: Was verbinden Sie mit Deutschland? 15.000 Menschen antworteten – aus allen Kontinenten, Altersgruppen und sozialen Schichten.

Detailreich: Für dieses Deutschlandbild auf Leinwand erhielt ein Hörer aus Nigeria einen der Hauptpreise

Detailreich: Für dieses Deutschlandbild auf Leinwand erhielt ein Hörer aus Nigeria einen der Hauptpreise

„Ich verbinde Deutschland mit dem Kölner Dom, Berlin mit dem Brandenburger Tor, den Rhein mit den schönen Städten entlang seinen Ufern“, schreibt die Bulgarin Toma Zekov im April 2006 an die Deutsche Welle. „Es ist ein Land der Freundschaft, des Friedens und der Solidarität“, so Marcel Kanyangulat aus der Demokratischen Republik Kongo. „Seit der Wiedervereinigung hat es einen großen Beitrag zur Friedensförderung, Konfliktprävention und Krisenbewältigung geleistet. Seine Außen- und Entwicklungspolitik fördern die friedliche Lösung von Konflikten.“

Der Engländer Steve Simmonds notiert: „Ich habe viele gute Erinnerungen an Deutschland und die Deutschen. Am meisten denke ich jedoch an eine Mahlzeit, die wir in Großbritannien so nicht kennen: Kaffee und Kuchen am Nachmittag ist eine wunderbare Institution.“ Und die Geografielehrerin Sahadot Mossain aus Bangladesch sagt: „Wenn ich die Gelegenheit hätte, in einem anderen Land Staatsbürger zu werden, würde ich für Deutschland stimmen. Wenn ich die Gelegenheit hätte, eine Auslandsreise zu machen, würde ich als erstes Land Deutschland wählen. Wenn ich im Ausland sterben sollte, würde ich mir wünschen, in Deutschland zu sterben.“

WM 2006 - Deutschland - Argentinien Fans feiern den Einzug in Halbfinale

Typisch deutsch? - Eine Publikumsaktion der Deutschen Welle zeichnet ein differenziertes, überwiegend wohlwollendes Deutschlandbild

Vor der Fußball-Weltmeisterschaft interessierte die Deutsche Welle: Mit welchen Augen sieht uns das Ausland? Das Gastgeberland im Herzen Europas, die Gastgeber für Millionen Fans aus aller Welt? Fühlen die Menschen sich schon vor dem sportlichen Großereignis als „Freunde“ Deutschlands, wie es der offizielle Slogan der FIFA-WM 2006 suggeriert? Welche Akzente bestimmen die Wahrnehmung unseres Landes mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, 16 Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung? Zwischen Februar und Mai 2006 fragte daher der deutsche Auslandsrundfunk seine Hörer, Zuschauer und Internetnutzer weltweit: „Was verbinden Sie mit dem WM-Gastgeber Deutschland?“

Mehr als 15.000 Einsendungen

Die Resonanz übertraf die Erwartungen. Mehr als 15.000 Nutzer von DW-TV, DW-RADIO und DW-WORLD.DE beteiligten sich an der Aktion. Insgesamt erreichen den Sender jedes Jahr über 600.000 Briefe. Aus allen Teilen der Welt schickten Menschen ihre Assoziationen und Impressionen an den deutschen Auslandsrundfunk, in Deutsch, Englisch und Russisch, in Chinesisch, Indonesisch und Dari, in Amharisch, Kisuaheli und allen weiteren 21 Sendesprachen der Deutschen Welle. Allein aus den Hausa sprechenden Regionen Westafrikas erreichten die DW über 2.000 Einsendungen. Menschen aller Schichten und Generationen brachten ihre Gedanken zu Papier. Der Lehrer aus der iranischen Provinz Belutschistan ebenso wie die Schülerin aus der weißrussischen Stadt Gomel, die mexikanische Austauschstudentin, das bulgarische Saisonarbeiter-Ehepaar oder der brasilianische Ingenieur.

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Eine Collage aus Ägypten mit WM-Motiven und einer Friedensbotschaft

Eine imponierende Beteiligung, bedenkt man, dass viele Menschen in den Zielgebieten der DW unter schwierigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen leben. In manchem Entwicklungsland Afrikas oder Asiens entsprechen die Kosten für das Briefporto einem Tageslohn, ist der Gang zum nächsten Postamt lang und beschwerlich. Und auch das Schreib-, Mal- oder Bastelmaterial will erst besorgt sein. Schon das zeigt die hohe Verbundenheit der Menschen mit Deutschland und der Deutschen Welle. Sie wird noch deutlicher, betrachtet man das Spektrum der Zuschriften. Nicht nur Briefe – per Mail oder auf dem Postweg – schickten die Teilnehmer an die DW, sondern auch Zeichnungen und Gemälde, Stickereien und andere Bastelarbeiten.

Ein rumänischer Hörer erstellte anlässlich der DW-Aktion eine besondere Website: Im Mittelpunkt das Logo der Fußball-Weltmeisterschaft, darum gruppiert Themen aus deutscher Politik, Wirtschaft, Technik, Kultur und Geschichte. Ein persönliches, sehr facettenreiches Deutschland-Bild im Netz. Stilistisch variieren die Zuschriften stark. Kurze sachliche Briefe, mitunter begleitet von einem oder mehreren Fotos, Erzählungen und Reiseberichte, Gedichte oder poetisch formulierte kleine Geschichten über Deutschland. Manche, wie etwa aus dem Iran oder China, kalligrafisch verfasst. Holly und David Barkhymer aus New York, USA, sandten per E-Mail ein selbst geschriebenes und eingespieltes Lied als mp3-Datei nach Bonn. Unter dem Titel „Streets of Berlin“ verarbeiten sie, eingebettet in eine eingängige Melodie, ihre Eindrücke der Hauptstadt. „Holly lived and learned German in Berlin for more than a year and her love for that city was her inspiration for the song”, schreibt der Ehemann, und fährt fort: „I learned German in school and loved my junior year abroad in Konstanz. We aspire to move to Germany within the next year because we love the people and lifestyle.”

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Bier und Fußball: eine schon sehr professionelle Zeichnung aus Mazedonien

Ein Trend ist unverkennbar: Immer stärker nimmt die Online-Kommunikation zu. Eine kurze E-Mail, gelegentlich mit ausführlicherem Dateianhang, ist rasch geschrieben, und es erfordert keinen besonderen Aufwand, über Kontinente mit den Redakteuren im DW-Funkhaus in Kontakt zu treten. Mit Abstand die meisten E-Mails kamen von Nutzern des Internetangebots DW-WORLD.DE in Lateinamerika, hier insbesondere aus Brasilien.

15.000 Zuschriften ergeben ein einzigartiges Meinungs- und Stimmungsbild. Es regt zum Nachdenken, mitunter zum Schmunzeln an. Ganz unbefangen halten die DW-Nutzer uns den Spiegel vor, in dem wir uns vielleicht deutlicher erkennen, als wir uns eingestehen mögen.

„Facts about Germany“
„Der Rattenfänger von Hameln“

Das Bild von Deutschland und den Deutschen, von ihren Eigenarten und Wesenszügen, formt sich aus unterschiedlichsten Quellen. Da sind zunächst die Medien – und ganz voran die Deutsche Welle. Was nicht verwundert, schaut man auf den Stellenwert, den Berichte aus und über Deutschland in den meisten Ländern spielen. Wobei die wenig überraschende Faustregel gilt: Je größer die geografische Distanz, desto weniger Information findet sich in den nationalen Medien über das Land im Herzen Europas.

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Für ihren Song über Berlin erhielten sie von der Jury den Hautgewinn - eine Reise nach Deutschland: das US-amerikanische Paar Holly und David aus New York zu Gast bei DW-TV in Berlin

Ob Russen oder Griechen, Kenianer oder Pakistaner: Bei vielen speist sich das Deutschlandbild zu einem wesentlichen Teil aus der Berichterstattung des deutschen Auslandsrundfunks. Daneben sind es die Mittlerorganisationen der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, die hier über Sprachkurse oder Austauschprogramme einen wertvollen Beitrag leisten. Der Deutsche Akademische Austauschdienst, das Goethe-Institut und die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit werden immer wieder genannt.

Bücher, Schule und Familie sind weitere Quellen, aus denen die Menschen Eindrücke von Land und Leuten gewinnen. So beziehen sich Hörer des Bengali-Programms von DW-RADIO häufig auf den „Rattenfänger von Hameln“. Der Grund: In Bangladesch ist die Geschichte ein beliebtes Kinderbuch. Afrikanische Teilnehmer verwenden Illustrationen aus der Broschüre „Facts about Germany“ – herausgegeben vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung – für farbenfrohe Deutschland-Collagen. Eine junge Weißrussin, Zoja Ilijenko, nahm die DW-Aktion zum Anlass, eine spontane Umfrage unter ihren Mitschülern in der 10. Klasse zu durchzuführen. Gefragt, was ihnen beim Wort Deutschland einfalle, nannten zwei „Berliner Mauer“, fünf „Hitler“, „VW“ und „Opel“, einige andere erinnerten sich an Karl Marx und Friedrich Engels.

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Deutschland als Friedensstifter - so der Titel dieser Zeichnung aus Pakistan von einem Hörer des Urdu-Programms von DW-RADIO

Eine Freundin aus der Musikschule nannte Ludwig van Beethoven und Johann Sebastian Bach. Mehreren Jungen fiel die deutsche Musikgruppe „Rammstein“ ein. „Die ganze Klasse war also an meiner Umfrage beteiligt. Wir haben dabei viel Neues erfahren.“ Ihrem Großvater fiel sofort das Wort „Bauer“ ein. Als Jugendlicher habe er im Zweiten Weltkrieg bei einem deutschen Bauern als Zwangsarbeiter gearbeitet – wofür er nun Entschädigungsgeld beziehe. Als das Mädchen abends seine Aufzeichnungen noch einmal durchlas, wunderte sie sich selbst, „wie eng die Vergangenheit mit der Gegenwart verbunden ist. Das ‚neue’ Deutschland zahlt immer noch für die Sünden des ‚alten’ Deutschland. Schon allein, dass Deutschland sich dazu bekennt, zeigt die Stärke und Anständigkeit des Landes“, meint die weißrussische Schülerin.

Taras Tomtschuk, Schüler in der ukrainischen Stadt Kolomya, weiß viel über Deutschland aus der Familie. Sein Großvater arbeitete von 1943 bis zum Kriegsende als Zwangsarbeiter bei einem Bauern in der Nähe von Nasen, sein Vater leistete seinen Wehrdienst in der DDR – und seine Mutter arbeitet derzeit in Deutschland. Nachdem er über sie viel gehört hat, ist es nun sein Wunsch, das Land mit eigenen Augen zu sehen.

Wer die Möglichkeit hat, Deutschland vor Ort kennen zu lernen, kehrt – so zeigen es viele Zuschriften – im Allgemeinen positiv überrascht in die Heimat zurück. Was Austauschstudenten, Touristen oder Geschäftsleute zwischen Flensburg und München erleben, wie sie von den Deutschen aufgenommen und behandelt wurden, berichten sie Angehörigen und Freunden in der Heimat. Wie prägend diese Erfahrungen sein können, zeigt sich bei einer mexikanischen Studentin, die schon nach einem Monat im Land schreibt: „Dieser Besuch hat mein Bild von Deutschland total verändert, ein Bild von kalten Menschen und kalten Landschaften. Deutschland ist wirklich ein herzliches Land.“ Beeindruckt resümiert sie: „Deutschland hat mein Leben geändert, es hat meinem Leben einen neuen Sinn gegeben.“

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Eine Kalligraphie von einem Hörer des Farsi-Programms - ein Beispiel für viele Zuschriften aus dem Iran

Ebenso überschwänglich äußert sich ein 28-jähriger Kolumbianer, der im Sommer 2004 Hattingen und Bochum besuchte – und sich „wie in einem Märchen“ fühlte. „Deutschland bedeutet für mich: Schmetterlinge im Bauch, ein Traum, eine Motorradreise, ein wirklich guter Wein.“ Oft sind es aber auch nur die kleinen Beobachtungen des deutschen Alltagslebens, die tiefen Eindruck hinterlassen. So empfindet der Bulgare Hristo Vladimirov, der mit seiner Frau seit fünf Jahren Deutschland für jeweils zwei bis drei Monate besucht, als ein „Märchenland“. Seine Begründung: „An erster Stelle kommen die Sauberkeit und die Ordnung, die in Deutschland herrschen. In Deutschland wird darüber hinaus nicht gestohlen. Zum Beispiel sind die Höfe meist von niedrigen Hecken umgeben, die jedoch nur symbolisch wirken. In den Höfen liegen leicht zugänglich und unbewacht Kinderspielzeuge, Fahrräder oder Rasenmäher.“

Oktoberfest und Mercedes
Zweiter Weltkrieg und Deutsche Einheit

Es sind oft die bekannten und erwarteten Klischees und Stereotype, die das DW-Publikum mit unserem Land und seinen Menschen assoziieren. Bier, Würstchen und Sauerkraut, die Burgen längs des Rheins, schöne Landschaften, Pünktlichkeit und Ordnungsliebe, Ehrlichkeit und Verantwortungsbewusstsein, blonde Haare und blaue Augen, Automarken wie Mercedes, BMW oder Volkswagen. Für Peng Peng Tan aus Kuala Lumpur ist es „das Land von Sauerkraut und Frankfurters, von Lederhosen und Hamburgers, von Um-pa-pa-Bands und Oktoberfest.“ Die Neuseeländerin Elaine L. Davey verbindet Deutschland „mit Lederhosen und Dirndl“. Und eine Britin muss an Kaffee und Kuchen am Nachmittag denken – „eine wunderbare Institution“, die man in ihrer Heimat so nicht kenne.

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Aus Afghanistan von einem Hörer des Paschtu-Programms stammt diese WM-Collage

Mehrheitlich sind die Verfasser aber gut bis sehr gut informiert über die Kultur und Geschichte Deutschlands, vertraut manchmal sogar mit verblüffenden Details der hiesigen Lebenswirklichkeit. Und die meisten haben ein ausgesprochen positives Bild unseres Landes – auch wenn die Schattenseiten der deutschen Geschichte nicht ausgeblendet werden. Nationalsozialismus, Entfesselung des Zweiten Weltkriegs und Holocaust führen nicht nur Menschen in Ost- oder Südosteuropa an, sondern auch in Afrika und Asien. Ein 21-jähriger Kenianer schreibt, bis zum Jahr 2005 habe er Deutschland „nur mit Hitler und dem Fall der Berliner Mauer in Verbindung gebracht“, weil er außer dem Geschichtsunterricht in der sechsten Klasse und einem Film „über die Grausamkeit der Nationalsozialisten gegenüber den Juden in den Konzentrationslagern“ keine Informationen über das Land gehabt habe. Durch das Kisuaheli-Programm der Deutschen Welle habe er dann jedoch viel über Deutschland gelernt: dass ein deutscher Kardinal zum Papst und Angela Merkel zur ersten Bundeskanzlerin gewählt worden seien, der Weltjugendtag in Köln stattgefunden habe und die Fußball-WM dort ausgerichtet werde.

In ähnlicher Weise betten viele Teilnehmer der DW-Aktion die Jahre zwischen 1933 und 1945 in umfangreichere Darstellungen ein. Sahadot Mossain aus Bangladesch kommt zu dem Schluss: „Außer Kritik an seiner Rolle im Zweiten Weltkrieg gibt es nichts, was dieses Land nicht stolz machen kann.“ Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wird immer wieder lobend anerkannt, insbesondere Hörer des Chinesischen Programms von DW-RADIO äußern sich in diesem Sinne. Ye Zhilong aus der chinesischen Provinz Guangdong schreibt in der ersten von vier Strophen eines Gedichts: „Ich war noch nie in Deutschland, lernte die Deutschen aber durch den Bildschirm kennen. Euer Bundeskanzler kniete vor den Gräbern der Judennieder und gedachte aufrichtig der Opfer der Nazis, zeigte Widerstand gegen Rassismus und sagte Nein zu der barbarischen Politik. Respekt vor euch Deutschen, die die Geschichte nicht vertuschen.“ Der Kniefall von Willy Brandt wird oft erwähnt – und danach folgt ein Seitenhieb auf Japan. Es besteht offenkundig hoher Respekt vor den Leistungen der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Land habe aus seinen Fehlern gelernt und sich zu einem bedeutenden und geschätzten Mitglied der Völkergemeinschaft entwickelt.

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Bastelarbeiten kamen vor allem aus Asien - hier ein kompletter Straßenzug im Schuhkarton aus Indonesien

Mauerfall und friedliche Wiedervereinigung haben weltweit tiefen Eindruck gemacht und sind im öffentlichen Bewusstsein prägende Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte. „Was mich am meisten berührt hat, ist die Tatsache, dass – obwohl durch die Teilung Deutschlands zwei Staaten entstanden, und diese über Jahre getrennt waren, man nie etwas von Attentaten, Bombenanschlägen, Terrorismus etc. hörte“, schreibt Ram Nivas aus dem indischen Rajasthan. In beiden Staaten habe „trotz allem das Gefühl der Liebe die Oberhand“ behalten, so dass am Ende die Einheit stand. „Diese Geschichte war für mich sehr herzergreifend und patriotisch.“ Ein Afghane sieht in den Leistungen, die West- und Ostdeutsche seither im Prozess des Zusammenwachsens erbrachten, ein Modell für sein eigenes Land: „Ich möchte mir die Zukunft Afghanistans so schön und fortschrittlich wie Deutschland malen.“ Auch Jugendliche haben die Vorgänge der Wendezeit fasziniert und nachhaltig beeindruckt.

Ein Brasilianer aus Belo Horizonte berichtet, einer der schlechtesten Schüler der Klasse gewesen zu sein: Bis er in einer Geschichtsklausur über die deutsche Wiedervereinigung eine Eins geschrieben habe. Seine Lehrerin, überzeugt davon, dass er gespickt hatte, ließ ihn die ganze Arbeit noch einmal schreiben – direkt vor ihren Augen. Und musste ihm wieder eine sehr gute Leistung bescheinigen. „Endlich hast Du mal richtig gelernt“, habe sie ihn leicht beschämt gelobt. In den folgenden Klassenarbeiten, in denen es nicht mehr um die deutsche Einheit ging, sei er „wieder der gewohnt schlechte Schüler“ gewesen. Sein Interesse an Deutschland indes habe angehalten. An der Universität bewarb er sich um ein Sprachkursstipendium des Goethe-Instituts. „Der Klang der deutschen Sprache war wohl der angenehmste, der mir je zu Ohren gekommen ist.“ Und heute, wenn er DW-TV schaue und den deutschen Moderatoren zuhöre, freut er sich, das eine oder andere Wort immer noch verstehen zu können.

Ein DW-Hörer aus dem mongolischen Ulan Bator schließlich sieht das Ergebnis der Wiedervereinigung so: „Ein modernes Deutschland, insbesondere seit 1990, ist in jeder Hinsicht ein Vorbild für die Menschheit.“

Prominente Gallionsfiguren

Michael Schumacher, Michael Ballack, Jürgen Klinsmann, Rudi Völler und Beckenbauer – das moderne Deutschland wird oft mit seinen sportlichen Gallionsfiguren identifiziert. Im Jahr der FIFA-Weltmeisterschaft in Deutschland sind es insbesondere die Fußballer, die genannt werden. Der Ruhm und die Bekanntheit von Boris Becker und Steffi Graf dagegen scheinen langsam schwächer zu werden. Nach einem halben Jahr Kanzlerschaft ist auch Angela Merkel bereits vielen Menschen in den Zielgebieten der DW ein Begriff, ebenso der deutsche Papst Benedikt XVI.

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Eine Karikatur von Oliver Kahn - ebenfalls aus Indonesien

Für deutsche Spitzenleistungen der Vergangenheit stehen Namen wie Johannes Gutenberg und Martin Luther, Karl Marx, Albert Einstein und Samuel Hahnemann. Der Begründer der Homöopathie genießt vor allem in Indien höchstes Ansehen und Verehrung. Idris Faruk aus Bejaia in Algerien fasst – wie etliche andere – seine Kenntnisse wie folgt zusammen: „Ein Land des Wissens und der Wissenschaft: Leipniz, Hertz, Einstein, Röntgen, Koch, und in der Kultur: Beethoven, Goethe, Händel, Bach, Schumann, Schiller, und die Philosophen Hegel, Marx, Nietzsche.“ Anderen fällt daneben noch Claudia Schiffer und Heidi Klum ein. Es sind die großen Namen aus Sport, Kultur und Musik, Wissenschaft und Technik oder Politik, die regelmäßig genannt werden.

Die deutsche Nationalflagge, während der Fußball-Weltmeisterschaft der Deutschen beliebtester Fanartikel, stellen verschiedene Teilnehmer in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Für Niaze Raisi aus Nikshar / Iran ist sie „Symbol für die freiheitliche Harmonie des Nebeneinanders unterschiedlicher Kulturen und Religionen“. Ein anderer Iraner leitet die drei Farben der Flagge so ab: Schwarz als Erinnerung an die Hitler-Zeit; Rot stehe für alle Unschuldigen, die ihr Leben lassen mussten; Gold symbolisiere, dass diese Zeiten vorbei sind. „Man kann das goldene Licht einer besseren Zukunft in den blonden Haaren der Kinder sehen“, so Ruhangis Biabani.

Deutsche Tugenden

Was betrachten die Menschen im Ausland heute als typisch deutsch, welche deutschen Tugenden schätzen oder kritisieren sie? „Ich habe immer die deutsche Arbeitskultur und Disziplin bewundert und die Präzision der Deutschen bei ihrer Arbeit“, schreibt E. Jaikumar aus Salem in Indien anerkennend. Ähnlich wird es im Iran gesehen. Hier weist man den Deutschen Attribute wie Ordnung und Disziplin, Ehrlichkeit und Genauigkeit, Sauberkeit, Fleiß, Wollen und Können zu. Der Nigerianer Ibrahim Usman Bala stellt fest: „Deutsche sind fleißig und patriotisch.“ Hoch geschätzt wird auch ihre Zuverlässigkeit, wie immer wieder zum Ausdruck gebracht wird. „Ich sehe die Deutschen als seriöse Menschen, die ihr Wort halten und denen man trauen kann“, meint in diesem Sinne der 19-jährige Rumäne Stefan Mihalea. Ein Tunesier weiß: „Deutschland ist bekannt für Gastfreundschaft, gutes Benehmen, exakte Organisation, überragendes Geschick bei Mitteilungen und Anordnungen.“

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Auch Stickereien wie diese aus Bangladesh gehörten zu den typischen Einsendungen aus Asien

Eine andere Facette bringt ein Kosovo-Albaner, der als Flüchtling in Deutschland die Erfahrung machte: „Auch als Ausländer nehmen sie dich ernst, und sie helfen Menschen in Not.“ Als Beleg nennt er die Sammlung für ein Krankenhaus in der Stadt Djakovica. Chinesische Teilnehmer an der DW-Aktion zitieren oft die „legendäre Genauigkeit“ der Deutschen. Ein mehrfach bedientes Beispiel ist das grammgenaue Verwenden von Zutaten beim Kochen: Wenn da bei der Mengenangabe eines chinesischen Rezepts „angemessen“ steht, würden die Deutschen schnell verzweifeln.

Darüber hinaus gelten sie im Reich der Mitte als Menschen, die Vorschriften und Regeln peinlich genau einhalten. Mehrere Hörer des Chinesischen Programms von DW-RADIO berichten, wie Deutsche auch in der Nacht auf menschenleeren Straßen vor einer roten Ampel stehen blieben, was für Chinesen undenkbar sei. „In China haben Ampeln auch tagsüber praktisch keinerlei Funktion“, so ein Hörer. Mag sein, dass ähnliche Verhaltensweisen der 19-jährige Grieche Nikos Lafazanos im Kopf hatte, wenn er den Deutschen „ein bisschen Neigung zum Spießbürgertum“ attestiert. „Würden die Deutschen sich von diesem Spießbürgertum befreien, wären sie die beste Nation Europas.“

Gefestigte Demokratie
und Made in Germany

Deutschland ist weithin als gefestigter demokratischer Rechtsstaat im Bewusstsein verankert, der seinen Bürgern alle freiheitlichen Rechte garantiert. „Ich identifiziere das Land mit Demokratie, Menschenrechten, Meinungs- und Religionsfreiheit“, schreibt ein Iraner. Sein Landsmann Razagh Vasef poetisiert in einem Gedicht das Leben in Deutschland. Er vergleicht die Deutschen mit Vögeln, die sich frei und ohne Angst bewegen, wobei jeder seinen Platz hat und in Harmonie mit dem anderen leben kann. „Es regnet manchmal, aber die Vögel beklagen sich nicht.“ Der Ägypter Said Awad hebt hervor, es sein „ein Land, in dem die Grundfreiheiten gewährleistet und respektiert werden“. Der Kosovare Murtez Bakiu weist darauf hin, dass hier „alle Nationalitäten, Religionen und Rassen gleich Rechte genießen“. Ein Algerier schließt sich dem an („Ein Land der Rechte und menschlichen Freiheiten.“) und bringt zugleich seine Verwunderung zum Ausdruck, dass hierzulande die Sorben umfangreiche Minderheitenrechte genießen, während in Nordafrika mehrere Millionen Berber „bis heute noch nicht alle Rechte besitzen“.

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Aus Tansania von einer Hörerin des Kisuaheli-Programms von DW-RADIO kam diese detailreiche Zeichnung von der Berliner Gedächtniskirche

Hier wie in anderen Zuschriften spiegeln sich im Urteil oft die Verhältnisse im eigenen Land. „In Deutschland ist Demokratie wirklich in die Tat umgesetzt worden“, konstatiert ein Afghane und fügt hinzu: „Die Bevölkerung genießt politische, zivile und gesellschaftspolitische Freiheiten. Jungen und Mädchen können nach eigenem Willen heiraten.“ Ähnlich sieht es Ram Nivas aus Rajasthan, Indien: „Eine besonders wichtige Eigenschaft der Deutschen scheint mir zu sein, dass im Namen der Religion keine Verbrechen verübt werden. (…) In Deutschland gibt es auch keine gesellschaftlichen Übel, wie in Indien z.B. keine Unberührbarkeit und kein Kastensystem und auch keine schlechten Praktiken wie Mitgift, Kinderheirat und die fehlende Gleichberechtigung.“

Nach wie vor genießen deutsche Produkte in den Zielgebieten der Deutschen Welle einen hervorragenden Ruf. „Made in Germany ist für mich das beste Markenzeichen“, meint ein Hörer des Dari/Paschtu-Programms von DW-RADIO. Für Kenneth Nnaji Nnamdi aus Nigeria ist die Herkunftsbezeichnung auf einem Produkt „die Garantie für Haltbarkeit und Qualität“. Und Serif Hamitoglu, Istanbul, entdeckte irgendwann, „dass die Autos, denen ich auf der Straße hinterher schaute, die Maschinen, an denen mein Vater arbeitete, und die Medikamente, die ich einnahm, als Gemeinsamkeit den Ausdruck ‚Made in Germany’ trugen.“

WM 2006 Jubel über den dritten Platz

Dritter der WM und viel Sympathie in aller Welt - ein Grund zur Freude nicht nur für die deutsche Fußballnationalmannschaft

Deutschland wurde so für ihn gleichbedeutend mit „Technologie“. Eine Einschätzung, die er mit einem Hörer des Kisuaheli-Programms teilt. Der stellt fest, deutsche Qualität erkenne man auch am mp3-Format, dessen Erfinder ein Deutscher sei, und fragt: „Was wäre Musik im Internet ohne die deutschen Errungenschaften?“ Für ihn bedeute jedes Produkt mit der Aufschrift ‚Made in Germany’ „Respekt und Stolz für den, der es besitzt“. Bedauernd konstatiert er jedoch: „Leider sind viele dieser Produkte für die Reichen der Welt reserviert.“

Made in Germany, das sind für viele Menschen weltweit auch und gerade deutsche Autos. „Die besten Autos weltweit werden von Mercedes-Benz, Opel und Volkswagen gebaut“, ist E. Jaikumar aus Salem, Indien, überzeugt. Ihn fasziniert aber vor allem der VW-Käfer. „Selbst heute ist der Käfer das schönste Auto der Welt.“ Ein eigener Wagen deutscher Provenienz, möglichst aus süddeutscher Fertigung, ist für manch einen der absolute Traum. „Sollte ich einmal Geld haben, möchte ich mir einen Mercedes-Benz kaufen“, erklärt Hadi Anosh aus Afghanistan. Ein Nigerianer weiß: „Mercedes Benz – ein klares Zeichen von Wohlstand und Reichtum.“ Wer ein solches Auto besitzt, kann sich glücklich schätzen – und hat viele Jahre Freude daran. So wie Alex Karatanovski aus Mazedonien: „Mein Mercedes bewältigt trotz 25 Jahren die Krater in den Straßen von Skopje.“

Vorreiter im Umweltschutz

International hat Deutschland sich offenkundig in den vergangenen Jahren immer stärker als „grüne Nation“ positioniert – auch im politischen Sinne. „Ich verbinde Deutschland mit unendlichem Grün und unglaublicher Sauberkeit“, schreibt ein Mazedonier. Nicht nur die schönen deutschen Landschaften werden gerühmt, auch die internationale Vorreiterrolle Deutschlands im Umweltschutz werten viele Menschen als vorbildlich. Es sei ein Land, „das auf die Umwelt Rücksicht nimmt“, sagt ein Pakistani. Aus Bangladesch schreibt Sahadot Mossain anerkennend, Deutschland setze sich stark gegen Umweltverschmutzung ein und zeigt sich überzeugt: „Für sein Engagement im Umweltbereich wird die Welt Deutschland dankbar sein.“

Und eine äthiopische Hörerin verbindet mit Deutschland „„Naturschutz, den Erhalt des Lebens mit seiner schönen Vielfalt von Spezies“ und stellt fest: „Ich habe noch nie davon gehört, dass es irgendwo anders in der Welt eine ‚grüne Partei’ in der Regierung gab.“ Bemerkenswert: Gerade Zuschriften aus der VR China thematisieren sehr stark das Umweltbewusstsein der Deutschen.

Wiederholt würdigen insbesondere DW-Hörer aus Entwicklungsländern die Unterstützung Deutschlands für die Schwachen in der internationalen Staatengemeinschaft. So lobt ein Ugander: „Deutschland bietet stets internationale Hilfe an für diejenigen, die von Naturkatastrophen und Kriegen heimgesucht werden.“ Der Nigerianer Kenneth Nnaji Nnamdi erklärt: „Lepra und Tuberkulose-Bekämpfung sind hier untrennbar mit Deutschland verbunden.“

Fazit

Im Ergebnis lässt sich festhalten: Die mehr als 15.000 Zuschriften aus aller Welt an die Deutsche Welle zeichnen ein – sicherlich nicht repräsentatives, aber differenziertes, insgesamt sehr wohlwollendes Bild unseres Landes. Die Wahrnehmung von außen ist außerordentlich positiv – und sie war es schon lange vor der Fußball-Weltmeisterschaft. Sie hat im Inneren etwas von dem entfacht, was man draußen bereits seit längerem weiß: „Deutschland ist ein gutes Beispiel, wie ein Land Schwierigkeiten meistern und alle anderen schlagen kann. Ein Land, auf das jeder stolz sein kann, wenn er in Verbindung mit ihm gebracht wird. Deutschland ist wahrlich der Meister der Globalisierung.“ (Bavon Mirindo, Uganda)

Johannes Hoffmann

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