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Deutsche LNG-Importe fördern Gas-Boom in den USA

Stuart Braun
1. Februar 2024

Der Boom von LNG-Exporten aus den USA nach Europa und vor allem Deutschland hat starke Folgen für Klima und Umwelt. Dabei fordern Klimaexperten die rasche Senkung von Emissionen. Doch es geht um viel Geld.

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Rauchschwaden und Abfackelung von der LNG-Verflüssigungsanlage von Venture Global´s Cameron Parish
Bild: John Allaire

"Nachts ist es hell erleuchtet wie in Las Vegas", sagt der pensionierte Öl- und Gasingenieur John Allaire und zeigt auf die giftige Fackel einer Fabrik nebenan, wo Erdgas zu LNG verflüssigt wird. Sein Grundstück liegt neben der Anlage direkt am Golf von Mexiko im US-Bundesstaat Louisiana.

Anfang 2022 wurde die Calcasieu-Pass-Anlage fertiggestellt. Dort wird das in der Region gefrackte Schiefergas auf minus - 162° C heruntergekühlt und dann per Schiff exportiert. Entlang der Golfküste von New Orleans bis Rio Grande entstehen derzeit mehrere dieser Anlagen.

Deutschland ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Abnehmer für LNG aus den USA geworden. Denn seit dem russischen Angriff auf die Ukraine fehlen dort die früheren Importe aus Russland.

Den Ausbau der Gasinfrastruktur sieht Allaire mit Besorgnis. "Sie verschmutzen die Luft, sie verschmutzen das Wasser. Und jetzt wollen sie diese Anlage auf die dreifache Größe ausbauen." Er befürchtet Auswirkungen auf die umliegenden Feuchtgebiete, in denen es von Ottern, Enten, Fischen und Garnelen wimmelt.

Die Anlage in Calcasieu Pass gehört dem LNG-Riesen Venture Global mit Sitz im US-Bundesstaat Virginia. Das Unternehmen möchte direkt neben der bestehenden eine weit größere LNG-Exportanlage bauen: CP2.

John Allaire steht am Strand
John Allaire: 'Die geplante LNG-Exportanlage von Venture Global soll die Größe der aktuellen Anlage verdreifachen'Bild: Stuart Braun/DW

Deutschland, das für das US-Gas einen höheren Preis zahlt als inländische Abnehmer, ist ein Hauptfinanzierer des Projekts. Im Juni 2023 unterschrieb das deutsche Staatsunternehmen Securing Energy for Europe (SEFE) - ehemals Gazprom Germania - einen 20-Jahre-Vertrag mit Venture Global über den jährlichen Import von Millionen Tonnen LNG aus der CP2-Anlage.

Damit wäre Venture Global der größte LNG-Lieferant für Deutschland und das trotz der problematischen Umweltbilanz. Nach Angaben der Umweltbehörde von Louisiana verstieß die bestehende Anlage seit Inbetriebnahme im Jahr 2022 mindestens 139-mal gegen die behördlichen Auflagen zur Luftreinhaltung.

Das Unternehmen handele "nicht im Einklang mit den Regulierungen im US-amerikanischen Clean Air Act", sagt Shreyas Vasudevan von der Umweltorganisation Louisiana Bucket Brigade in New Orleans. Und das passiere, um die steigende Nachfrage von Kunden wie Deutschland gerecht zu werden, betont Vasudevan gegenüber der DW.

Fotodokumente belegen die Verschmutzung durch die LNG-Verflüssigungsanlage
Allaire dokumentiert die Luftverschmutzung der LNG-Verflüssigungsanlage Bild: Stuart Braun/DW

Der CEO von Venture Global LNG, Mike Sabel, betonte, dass seine Firma mit der deutschen SEFE zusammenarbeite, um "die Sicherheit der Energieversorgung nicht nur für Deutschland, sondern auch für den Rest des europäischen Gasmarktes" zu gewährleisten. "Deutschland hat entschlossen gehandelt, um sein Energieportfolio zu diversifizieren, und LNG wird ein wichtiger Teil dieses Mixes", so Sabel in einer Erklärung im vergangenen Juni.

Die DW bat Venture Global um eine aktuelle Stellungnahme, bekam jedoch bis zur Veröffentlichung keine Antwort.

LNG-Exporte: "Verkauf an den Meistbietenden"

Das CP2-Projekt von Venture Global steht im Mittelpunkt von Protesten gegen den LNG Ausbau, der zu einer Verdopplung von US-Gasexporten bis 2035 führen würde. Bis 2016 förderten die Vereinigten Staaten ihr Erdgas ausschließlich für den Inlandsverbrauch, heute ist das Land der weltweit größte Exporteur von LNG.

"In den 20 Jahren, in denen ich in der Exploration, Produktion und Bohrung von Gas tätig war, ist nichts davon exportiert worden", sagt Allaire der DW. "Jetzt ist das ganz anders. Es geht nun darum, es an den Meistbietenden zu verkaufen."

Erdgas wird seit langem als sogenannte Brückentechnologie angepriesen, da es bei der Wärme und Stromversorgung im Vergleich zur Kohle weniger CO2 freisetzt. Allerdings besteht Erdgas vorwiegend aus Methan, und das wirkt über 20 Jahre lang 80-mal klimaschädlicher als CO2. Und da bei der Förderung, Verflüssigung und dem Transport von Frackinggas auch Methan entweicht, könnte der Klimaeffekt so schädlich sein wie der Einsatz von Kohle.

Anlagen der Öl und Gasförderung im Permian-Becken in Texas. Im Hintergrund wird Erdgas abgefackelt.
Das Frackinggas aus Texas beflügelt den Exportboom von LNG Bild: Paul Ratje/AFP/Getty Images

Auf dem letzten Klimagipfel in Dubai hatten die USA Maßnahmen zur Methanreduzierung angekündigt. Der steigende LNG-Export scheint diesen Ambitionen jedoch zu widersprechen.

Laut einer in 2019 veröffentlichten Studie von Robert Howarth, einem Methanexperten an der Cornell University, könnte allein der Boom der Fracking-Schiefergasproduktion in Nordamerika für "mehr als die Hälfte aller gestiegenen Klimagasemissionen weltweit" verantwortlich sein, die in den letzten zehn Jahren durch fossile Energien freigesetzt wurden.

"LNG-Exporte werden letztlich mehr Treibhausgasemissionen verursachen als jedes Auto, jedes Haus und jede Fabrik in Europa", prognostizierte der US-Klimaaktivist Bill McKibben im Dezember in einem Artikel. Die geplante LNG-Förderung würde alle Emissionsreduzierungen in den USA seit dem Jahr 2000 zunichtemachen.

McKibben verweist auf einen Brief, den 170 Wissenschaftler im Dezember an US-Präsident Joe Biden geschickt hatten. Darin fordern sie ihn auf, die Genehmigung für das CP2-Terminal aufzuheben und alle künftigen LNG-Projekte zu stoppen.

"Das Ausmaß des geplanten LNG-Ausbaus in den nächsten Jahren ist atemberaubend", heißt es in dem Brief. "Die Genehmigung von CP2 und anderen LNG-Projekten wird Ihre erklärten Ziele einer sinnvollen Bewältigung der Klimakrise untergraben und uns weiter in Richtung eines eskalierenden Klimachaos bringen."

In einem weiteren Brief, der im November von rund 60 demokratischen US-Abgeordneten unterzeichnet wurde, wird das Energieministerium aufgefordert, "die Gesamtauswirkungen zu berücksichtigen, die das explosionsartige Wachstum der US-amerikanischen LNG-Exporte auf das Klima, die Gemeinden und unsere Wirtschaft hat". Hunderte Demonstranten protestierten vergangene Woche in New Orleans gegen die Erweiterung von Plaquemines Parish, einer weiteren LNG-Anlage von Venture Global im Mississippi-Delta. 

Die Menschen, die in der Nähe der Verflüssigungsanlage leben, werden besonders bei schweren Stürmen von der Umweltverschmutzung betroffen sein, sagt Bischof Wilfret Johnson. Er ist Pfarrer der Plaquemines-Gemeinde. "Es gibt viele Hurrikans und die Anlage liegt im Überschwemmungsgebiet", sagt er der DW und erinnerte an die Schäden, die Hurrikan Katrina im Jahr 2006 angerichtet hatte.

Bishop Wilfret Johnson, Porträt
Wilfret Johnson warnt: Hurricane bedrohen jedes Jahr die Golfküste und sind auch eine Gefahr für die LNG-FabrikenBild: Stuart Braun/DW

Hat Biden dem Druck nachgegeben?

Solcher Widerstand klimabewusster Wähler könnte die jüngste Entscheidung der Biden-Regierung beeinflusst haben. Mitte Januar bestätigte das Weiße Haus, dass es die Exportgenehmigung für LNG aus neuen Anlagen in Länder ohne Freihandelsabkommen vorerst aussetzt. Dazu gehören auch die Europäer,  wohin im Jahr 2023 etwa die Hälfte aller US-Exporte gingen.

In der Zwischenzeit wird das Energieministerium untersuchen, welche Auswirkungen die Gasexporte zum Beispiel auf potenziell erhöhte Energiepreise für amerikanische Verbraucher haben. Ausserdem solle es eine Neubewertung der Auswirkungen von Treibhausgasemissionen geben. In der Regierungserklärung werden "gefährlichen Auswirkungen von Methan auf unseren Planeten" erwähnt.

Laut der New York Times soll die CP2-Anlage von Venture Global und weitere 16 geplante LNG-Exportprojekte sollen frühestens im nächsten Jahr genehmigt werden. "Das wäre ein Schock für den globalen Energiemarkt, es wird Auswirkungen wie eine Wirtschaftssanktion zur Folge haben und ein verheerendes Signal an unsere Verbündeten senden, dass sie sich nicht länger auf die Vereinigten Staaten verlassen können", so Shaylyn Hynes, Sprecherin von Venture Global.

Unterdessen versprach die Republikanerin Nikki Haley, die sich um die Präsidentschaftskandidatur bewirbt, während einer Rede am 21. Januar in New Hampshire, die LNG-Produktion zu steigern. "Wir werden unsere Genehmigungen beschleunigen", so Haley. "Wir werden so viel Flüssigerdgas exportieren, wie wir können."

Deutschland als wichtiger Akteur im Bomm von LNG

Deutschland zahlt hohe Preise für Gas, obwohl dieses gar nicht benötigt werde. Das kritisiert ein Bericht der Denkfabrik New Climate Institute in Köln. Der deutsche Gasbedarf ging im Jahr 2022 um zwölf Prozent zurück, teils wegen höherer Effizienz sowie einer geringere Nachfrage nach der russischen Invasion in der Ukraine. Gleichzeitig baut Deutschland neue LNG-Terminals für Gas aus den USA, Katar und anderen Ländern.

Dabei reichen die bestehenden LNG-Anlagen in den USA aus, um das Defizit der russischen Gasversorgung in Europa auszugleichen, sagen Energieexperten. "Deutschland hatte noch nie eine Gasknappheit und konnte den Winter 2022 ohne eigene Terminals bewältigen", heißt es in einem Brief der deutschen Zivilgesellschaft und Umweltverbände an die US-Regulierungsbehörden vom 17. Januar. Darin wird auch gefordert, keine Genehmigung für CP2-Terminal zu erteilen. 

Dem Schreiben zufolge hat das deutsche Bundeswirtschaftsministerium eingeräumt, dass "Deutschland über die bestehenden LNG-Importterminals in Belgien, den Niederlanden und Frankreich beliefert werden konnte".

"Es ist keine unendliche Ressource, es ist keine eine langfristige Lösung", so John Allaire über das Argument, dass das sogenannte US "Freiheitsgas" den Energiebedarf Europas zukunftssicher machen werde. "Wenn wir wollen, könnten wir in den nächsten zehn Jahren mit erneuerbaren Energien zu 100 Prozent nachhaltig sein," sagt Allen. "Doch hier geht es um sehr viel Geld". 

Adaptiert aus dem Englischen von Gero Rueter. Redaktion: Tamsin Walker und Jennifer Collins

USA: Fracking – Retter in der Energiekrise oder Klimakiller?

DW Autor l Kommentatorenfoto Stuart Braun
Stuart Braun Australischer DW-Journalist und Buchautor.