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Die neue deutsche Corona-Welle

15. Dezember 2023

Deutschland schnieft und hustet. Untersuchungen des Abwassers zeigen: COVID-19 ist Ende 2023 erneut auf dem Vormarsch. Das Corona-Virus wütet so stark wie lange nicht. Doch vieles ist jetzt anders.

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Arzt mit Maske und hellblauen Handschuhen spritzt eine ältere Frau, die auf einem Stuhl sitzt, in den Oberarm
Corona-Impfung in einem Pflegeheim im Landkreis Zwickau in SachsenBild: Robert Michael/dpa/picture alliance

Mitte Dezember 2020 fährt Deutschland wieder das öffentliche Leben herunter. Der sogenannte "Lockdown light" von Anfang November, der die Infektionszahlen vor Weihnachten deutlich herunterschrauben sollte, wird zum Rohrkrepierer, die 7-Tage-Inzidenz klettert auf fast 200. Und so beschließen Bund und Länder den zweiten harten Lockdown: Nur fünf Menschen aus zwei Haushalten dürfen sich treffen, Schulen schalten auf Fernunterricht um und es gibt Hamsterkäufe wegen der Schließung des Einzelhandels.

Genau drei Jahre später hat das Virus längst seinen Schrecken verloren, die meisten Deutschen sind geimpft, fast alle haben eine Grundimmunität aufgebaut. Und trotzdem sind Hausärzte wie Lars Rettstadt wieder voll am Limit, sein Telefon klingelt rund um die Uhr. "Jetzt ist gerade wieder typische Infektzeit, es wird viel geschnieft und gehustet. Wenn wir Montagmorgen die Tür aufmachen, stehen da 70 Menschen ohne Termin, Männer, Frauen, jung oder alt. Geschätzt 80 Prozent mit Virusinfekten, die Hälfte davon mit Corona."

Corona: Nur noch wenige schwere Verläufe

Viele tragen trotzdem keine Maske, das Team des Dortmunder Hausarztes drückt den Patienten dann für 50 Cent eine Mund- und Nasenbedeckung in die Hand. Rettstadt hat aus der Not eine Tugend gemacht und extra eine Infektsprechstunde eingerichtet, ab Mittag können ihn seine Patienten außerdem per Video erreichen. Zur neuen deutschen Corona-Normalität gehört, dass die meisten Menschen sich nicht mehr auf das Virus testen. Und auch der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe greift nur dann noch zum PCR-Test, wenn es den Patienten richtig dreckig geht.

Hausarzt Lars Rettstadt , blaues Jackett, weißes Hemd, rote Krawatte, schaut in die Kamera
Hausarzt Lars RettstadtBild: Lana Roßdeutscher

"Wir sehen die schwierigen Verläufe nicht mehr, ich hatte nur eine 94-jährige Patientin, die wegen einer Corona-Infektion ins Krankenhaus musste. Ansonsten klagen gerade viele Patienten über Magen-Darm-Beschwerden und Kopfschmerzen als Corona-Nebenwirkungen, und viele auch jüngere Patienten müssen wir zwei Wochen krankschreiben, weil sie körperlich erschöpft und noch nicht belastbar sind."

Fast acht Millionen Menschen mit Atemwegserkrankungen

Laut Robert-Koch-Institut leiden gerade knapp acht Millionen Menschen an Atemwegserkrankungen, fast jeder Zehnte hierzulande ist also krank. Weihnachtsfeiern werden abgeblasen, Bürgerämter schließen, in der Schule fällt wegen kranker Lehrerinnen und Lehrer reihenweise der Unterricht aus. Fast jeder Vierte, der aktuell wegen einer schweren Atemwegsinfektion im Krankenhaus liegt, hat sich mit dem Coronavirus infiziert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mahnt wegen der neuen deutschen Viruswelle zur Vorsicht und zu mehr Impfungen in der Vorweihnachtszeit.

Die 7-Tage-Inzidenz liegt derzeit bei 38, auf dem Höhepunkt der Welle der Omikron-Variante im Frühjahr 2022 betrug sie fast 2000. Doch einen Überblick über die wahre Corona-Lage findet man heutzutage nicht mehr über die lange Zeit gültige Währung der Inzidenz, da sich die Menschen kaum noch testen, sondern im Abwasser. 123 ausgesuchte Kläranlagen in Deutschland sind das neue Frühwarnsystem, weil Infizierte schon Viren ausscheiden, ehe sie selbst ihre Erkrankung bemerken. In den Kloaken tummeln sich derzeit eine Million Genkopien des Corona-Virus, so viele wie noch nie seit Beginn der Messungen im Juni 2022.

Kläranlage mit Wasser in riesigem Becken, im Hintergrund Bäume
Kläranlagen wie hier in Voerde in Nordrhein-Westfalen geben Aufschluss über den Grad der Corona-InfektionenBild: Rupert Oberhäuser/imageBROKER /picture alliance

Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer kennt noch eine weitere Untersuchung, die das wahre Ausmaß der Corona-Welle verdeutlicht. "Die SentySurv-Studie aus Rheinland-Pfalz untersucht regelmäßig 10.000 Teilnehmer mittels PCR in regelmäßigen Abständen, egal, ob die Personen Symptome haben oder nicht. Aktuell haben wir jetzt in Rheinland-Pfalz eine 7-Tage-Inzidenz von fast 3900, vor einer Woche lag diese noch bei 2600. Wir sind also schon jetzt in einer Phase, wo die Corona-Zahlen noch mal massiv zulegen."

Pirola-Varianten auf dem Vormarsch

Dass Deutschland gerade flach liegt, hat auch damit zu tun, dass nicht nur das Corona-Virus die Runde macht, sondern auch die normalen Atemwegsinfektionen wie Influenza oder das RSV-Virus. Stürmer gibt aber gleichzeitig Entwarnung: Es gebe wegen Corona keine deutliche Zunahme an Krankenhauseinweisungen, an Einlieferung auf die Intensivstationen oder gar Todesfällen. Der Virologe sieht dabei eine neue Variante auf dem Vormarsch.

Der Virologe Martin Stürmer schaut in die Kamera, grünes Hemd, darüber sein weißer Arztkittel
"Die nächsten Wochen werden wir jetzt noch mal ein wenig ächzen in der Bevölkerung" - Martin StürmerBild: IMD

"Wir sehen in den letzten Tagen und Wochen tatsächlich den Wechsel von den Nachfolgevarianten von Eris zu den Nachfolgevarianten von Pirola. Die Pirola-Ursprungsvariante hatte ja über 30 Mutationen. Jetzt haben wir in Deutschland die BA.2.86.1-Variante, vor allem aber die JN.1-Variante, eine weitere Nachfolgevariante von Pirola, die inzwischen für fast ein Drittel der Nachweise verantwortlich ist."

Masken und Impfungen als Schutz vor Corona

Die nächsten Wochen werden deswegen nochmal eine Herausforderung, glaubt Stürmer. Auch er appelliert gerade an die Risikogruppen, also Menschen über 60 Jahren und mit Vorerkrankungen, sich impfen zu lassen. Die Impfung biete gleichzeitig auch einen guten Schutz gegen Long-Covid-Erkrankungen, dass heißt, langanhaltende gesundheitliche Beschwerden mehr als vier Wochen nach einer Ansteckung. Und weiter:

"Von der Bevölkerung selbst kommt oft der Satz: 'Ich setze auf keinen Fall wieder eine Maske auf.' Da ist eine gewisse Distanz oder Abneigung gegenüber sehr sinnvollen Maßnahmen. Auch die Impfbereitschaft ist sicherlich auf einem niedrigen Niveau. Ich denke, das sind alles Faktoren, die könnten wir mit einer positiven und sinnvollen Kommunikation deutlich verbessern."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur