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Meister der Dystopie: 100 Jahre Ray Bradbury

Sven Ahnert
22. August 2020

Mit "Fahrenheit 451" schuf er eine Ikone des Science-Fiction. Ray Bradburys dystopische Story von der bücherfeindlichen Diktatur lässt noch immer gruseln.

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Ray Bradbury blickt auf eine Zeichnung, Schwarz-Weiß-Porträt
Ray Bradbury im Jahr 1966Bild: AP

Fahrenheit 451 ist die Temperatur, ab der sich Papier angeblich selbst entzündet. So nannte Ray Bradbury (1920-2012) seinen Roman über ein Land, in dem es verboten ist, Bücher zu besitzen oder gar zu lesen. Freies Denken gilt als gefährlich und antisozial. In der Verfilmung von Regisseur Francois Truffaut steht die "Feuer-Wehr" parat, um das Übel mit Flammenwerfern auszulöschen - eine Horrorvorstellung. Jetzt (am 22. August 2020) wäre Bradbury, ein Grenzgänger zwischen Fantastik, Horror und Technik-Fantasie, 100 Jahre alt geworden.

Ray Bradbury
Ray Bradbury im Jahr 2000 bei den National Book Awards in New YorkBild: dapd

Mehr als 500 Geschichten hat der US-Autor in seiner 70 Jahre währenden Schreib-Laufbahn - Bradbury starb 2012 in Los Angeles - zu Papier gebracht. Bradbury, der nie ein College besuchte, konnte aus wenigen Stichwörtern eine gruselige Geschichte spinnen. Absonderliche Geschichten über nächtliche Fußgänger etwa, die von Roboter-Polizisten in die Irrenanstalt abgeführt werden, über liebeskranke Saurier, die Leuchttürme niederreißen - und über Feuerwehrmänner der Zukunft, die Bücher verbrennen.

Hoher Gruselfaktor

Es war sein Gespür für den Gruselfaktor, das ihm eine hörige Leserschaft sicherte. Willig folgten ihm Millionen von US-Fernsehzuschauern auch in sein Gruselkabinett, das "Bradbury Theater", das zwischen 1985 und 1992 als Science-Fiction-, und Fantasy-Serie über die Bildschirme flimmerte. Als netter alter Herr mit schlohweißem Haar und dicker Hornbrille in einem Arbeitszimmer voller Kuriositäten, Puppen, Raumschiffmodellen, so empfing Bradbury sein Publikum. Spätestens ab Mitte der 1980-er Jahre war Bradbury die Institution für das Absonderliche, ein Popstar des utopischen Horrors.

Julie Christie und Oskar Werner in "Fahrenheit 451"
Oskar Werner (re) spielte in Truffauts "Fahrenheit 451" den Feuerwehrmann Montag, an seiner Seite: Julie ChristieBild: picture alliance/United Archives/IFTN

Als Meisterwerk aber gilt bis heute "Fahrenheit 451", Bradburys gruselige Fantasie über die Vernichtung geistiger Freiheiten. Sein Anti-Held ist Guy Montag, ein Feuerwehrmann der besonderen Art. Denn er legt Feuer, anstatt es zu löschen. Montag will Karriere machen in einer Gesellschaft, in der Denken und Lesen als Verbrechen gilt. Ein Netz von Spionen spürt die Verstecke auf, wo unverbesserliche "Büchermenschen" ihre papiernen Schätze lagern. Montag macht sie zu Asche. Die Menschen dieser - in England angesiedelten - totalitären Gesellschaft werden systematisch verblödet, rund um die Uhr mit Belanglosigkeiten und Fernsehshows gefüttert. Bereits 1950 beschreibt Bradbury eine Welt, in der Bücher den reibungslosen Ablauf totalitärer Einschläferung behindern. Sie werden zu Staatsfeinden erklärt.

Bücher zu Asche

Wenn Guy Montag seinen Flammenwerfer auf die Weltliteratur richtet und das geistige Erbe der Menschheit in Asche zerfällt, erinnert das an die Bücherverbrennungen der Nazis, aber ebenso an das Klima der McCarthy-Ära in den USA, in der das freie Denken vor dem Senats-Ausschuss für Unamerikanische Umtriebe verhandelt wurde. Doch das meinte er nicht in erster Linie, wie Bradbury in einem Interview im Jahr 2000 klarstellte: "In Fahrenheit 451 geht es nicht um Zensur. Es geht um den verheerenden Einfluss der Popularkultur durch Fernsehnachrichten auf Riesenbildschirmen und die Bombardierung mit Faktoiden. Wir sind nun in diese Periode der Geschichte eingetreten, die ich vor 50 Jahren in Fahrenheit beschrieben habe." Bradburys "Faktoide" würden heute wohl Fake News heißen.

Zwei Feuerwehrleute im Filmstill aus "Fahrenheit 451"
Filmstill aus "Fahrenheit 451"Bild: picture-alliance/Everett Collection

Regisseure erkannten in Bradburys Geschichten und Romanen, neben "Fahrenheit 451" die "Die Mars-Chroniken" oder "Der Illustrierte Mann", den perfekten Filmstoff. So erinnerte sich Bradbury einmal an die Begegnung mit dem Hollywood-Haudegen Sam Peckinpah: "Er sollte 'Das Böse' ursprünglich verfilmen, da sagte ich zu ihm: 'Wie wollen Sie den Film denn drehen, falls wir es in Angriff nehmen?' Er antwortete: 'Indem ich die Seiten aus dem Buch rausreiße und sie in die Kamera stopfe.'  'Gut', erwiderte ich."

Die 1966 von Francois Truffaut in England gedrehte Version von "Fahrenheit 451" ist sicher die gelungenste filmische Umsetzung eines Bradbury-Buches. Truffaut erzählte im Kern ein utopisches Märchen, das ohne aufwändige Tricktechnik auskam, und so eine Hommage an das Buch wurde. Nicht der Held Guy Montag, sondern die in Flammen aufgehenden Bücherberge inszenierte Truffaut als berührendes Requiem auf die Buchkultur.