„Es ist schon lange fünf nach zwölf“ | Presse | DW | 11.03.2014
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Presse

„Es ist schon lange fünf nach zwölf“

In der Türkei hat die Regierung die Internetzensur verschärft. Baha Güngör, Leiter der Türkisch-Redaktion meint: „Der Feuerring um die Pressefreiheit wird immer enger.“ Fragen zum Welttag gegen Internetzensur.

Baha Güngör, Leiter der Türkisch-Redaktion der Deutschen Welle

Baha Güngör, Leiter der Türkisch-Redaktion der Deutschen Welle

Reporter ohne Grenzen (ROG) hat wieder eine aktuelle Liste der "Feinde des Internets" vorgelegt. Die aktuelle türkische Regierung zählt zweifelsfrei dazu. Droht dem Land die totale Blockade?

Das neue Gesetz zur Internet-Zensur reduziert die Möglichkeiten von regierungskritischen Medien und Journalisten auf ein Minimum, den Internetnutzern unabhängige, vertrauenswürdige Informationsvielfalt zu ermöglichen. Die ohnehin sehr stark polarisierte türkische Gesellschaft wird weiterhin einseitig im Sinne des Regimes nur das erfahren, was erlaubt ist. Blogger, die sich in der Türkei befinden, sind stärker als je zuvor gefährdet, behindert und festgenommen zu werden.

Die Justiz wird mit der Belastung leben müssen, nicht mehr unabhängig entscheiden zu können, gegen wen oder welche Internetseite sie auf welchen Gründen vorgehen muss. Richterliche Beschlüsse vor einer Sperrung von Internetseiten oder Beseitigung von Inhalten soll es ja nicht mehr geben, auch wenn es heißt, dass dieser Punkt noch nicht letztgültig beschlossen sei. Interessantes Detail übrigens: Staatspräsident Abdullah Gül hat seine Unterschrift unter das umstrittene Gesetz zur Internetzensur über sein Twitter-Konto bekanntgegeben.

ROG führt die Türkei aktuell auf Rang 154 ihrer Liste der Pressefreiheit. Ist die Medienlandschaft bestenfalls noch das Abbild einer gelenkten Demokratie?

Es ist schon lange fünf nach zwölf, was die Pressefreiheit in der Türkei betrifft. Das Regierungslager um Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kann jederzeit in die Medienlandschaft eingreifen und mit wenigen Anrufen dafür sorgen, dass kritische Programme abgesetzt oder Journalisten entlassen und unkritische, den Machthabern genehme Trittbrettfahrer eingesetzt werden. Seit dem Ausbruch der Proteste gegen Erdogan im Juni vergangenen Jahres wurden viele Beispiele bekannt, die zeigen, wie sehr Erdogan immer mehr einem Despoten ähnelt, der sich für unfehlbar hält und seine Machtposition für unantastbar. Wenn man sieht, hinter welchen Ländern die Türkei auf der RoG-Liste rangiert, wird die Diskrepanz zu europäischen Werten und Normen deutlich.

Gibt es noch unabhängige Medien, die Kritisches und Unbequemes veröffentlichen?

Ja, die gibt es noch. Dazu zählen einige wenige Zeitungen und TV-Kanäle via Internet und natürlich Blogger. Doch viele Alternativen bleiben nicht, um die Schere im Kopf zu meiden. Der Feuerring um die Presse- und Meinungsfreiheit wird immer enger. Von einer Unabhängigkeit von Medien und Journalisten nach europäischem Demokratieverständnis kann schon lange kein Rede mehr sein. Es ist noch sehr viel zu tun in der Türkei. Ein guter Anfang wäre, wenn Presseausweise nicht mehr nur vom Staat ausgestellt und verteilt würden, sondern von unabhängigen Institutionen wie Journalistenverbänden und Gewerkschaften. Doch solche Entscheidungen fordern Courage und Mut zur Auseinandersetzung mit Andersdenkenden – aber dazu werden Alleinherrscher wohl nie in der Lage sein.

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