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Terrorismus

Fall Al-Bakr: Wer hat versagt?

18. Oktober 2016

Eine Expertenkommission soll Festnahme und Selbstmord des Terrorverdächtigen al-Bakr analysieren. Fehler sollten dabei nicht nur bei der Polizei gesucht werden, sagt der Strafrechtler Nikolaos Gazeas im DW-Interview.

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Deutschland Terrorverdächtiger Al-Bakr erhängt in Zelle aufgefunden
Bild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

DW: Die sächsische Polizei hat versagt, der Verfassungsschutz aber hat ordentlich gearbeitet und einen möglichen Anschlag in Deutschland verhindert. Kann man den Fall al-Bakr so zusammenfassen?

Nikolaos Gazeas: Dass bei der sächsischen Polizei einiges schief gelaufen ist, diesen Anschein hat man durchaus und dafür sprechen einige Anhaltspunkte. Bei den anderen Behörden muss man jedoch ein wenig weiter differenzieren.

Deutschland Nikolaos Gazeas Kölner Strafrechtsexperte
Nikolaos Gazeas ist Experte für Strafrecht und NachrichtendienstrechtBild: Tsambikakis & Partner Rechtsanwälte

Was sind denn die offenen Fragen in Bezug auf den Verfassungsschutz oder den Generalbundesanwalt?

Ich würde gerne wissen: Wann ist der Generalbundesanwalt so informiert worden, dass es ihm möglich war, zu prüfen, ob al-Bakr ein Fall war, den er übernehmen musste? Wann hat das Bundesamt für Verfassungsschutz den Hinweis auf einen geplanten Anschlag von einem ausländischen Nachrichtendienst über den BND erhalten, wann hat es al-Bakr identifiziert? Und wann ist diese Information an Polizei und Staatsanwaltschaft weitergegeben worden? Das sind wichtige Fragen, die sich jetzt bei der Fehlersuche stellen.

Es gibt doch ein gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum in Berlin. Erfahren die Polizeibehörden der Länder und der Generalbundesanwalt dort nicht, was sie wissen müssen?

Ja, dort sitzen 40 Behörden mit über 200 Beamten zusammen und tauschen ihre Informationen aus. Auch auf dem Wege kann einer Informationspflicht Genüge getan werden. Die Frage ist aber, ob das geschieht. Wir haben es beim Verfassungsschutz in der Vergangenheit leider öfter erlebt, dass er Informationen, die weitergabepflichtig gewesen sind, nicht weitergegeben hat. Es hieß dann, dass die Weitergabe seine Arbeit behindert oder möglicherweise auch nachhaltig gestört hätte, etwa auch die Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten.

Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow
Lehnt einen Rücktritt ab: Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow. Noch in diesem Monat sollen vier Experten im Auftrag Sachsens den Fall analysierenBild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Der sächsischen Landespolizei gelang es im Fall al-Bakr nicht, den mutmaßlichen Bombenbauer festzunehmen. Und als syrische Landsleute den Verdächtigen schließlich festsetzten, nahm er sich im Gefängnis in Leipzig das Leben. Einzelne Politiker fordern nun eine frühere Überstellung von Terrorverdächtigen nach Karlsruhe zum Generalbundesanwalt.

Der Generalbundesanwaltschaft müssen erst einmal alle notwendigen Informationen zum Fall vorliegen, erst dann kann sie prüfen, ob sie die Ermittlungen an sich ziehen muss. Ob das im Fall al-Bakr schnell genug und im gebotenen Umfang erfolgt ist, kann ich im Moment noch nicht beurteilen. Ich habe jedoch nicht den Eindruck, dass der Generalbundesanwalt hier geschlafen hat.

Der Föderalismus macht die Zusammenarbeit zwischen den Behörden in Deutschland nicht gerade einfach. Welche Lehren könnte die Politik aus dem Fall al-Bakr ziehen?

Es ist gut, dass sich der Innenausschuss des Bundestages jetzt diesen Fall ansieht. Aber akuten gesetzlichen Änderungsbedarf sehe ich nicht. Die hohe Kunst ist, dass keine Informationen irgendwo untergehen oder verspätet weitergegeben werden. Mein Eindruck ist, dass sich das in den vergangenen Jahren bereits verbessert hat - aus den NSU-Fehlern hat man teilweise schon Lehren gezogen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen eigentlich einen Idealzustand für die Zusammenarbeit zwischen den Behörden. Aber wo Menschen sitzen, passieren Fehler. Und im Moment ist es so, dass der Verfassungsschutz selbst entscheidet, welche Informationen er für übermittlungspflichtig hält und welche nicht. Das überprüft letztlich keiner, das bleibt innerhalb der Behörde. Würde man hier etwa das zuständige Ministerium zwischenschalten, wäre schon viel gewonnen. Mein Vorschlag ist hier schon seit Langem, dass der Bundesinnenminister die Fälle, in denen der Verfassungsschutz keine Informationen weitergeben möchte, vorgelegt bekommt und sein Ministerium dies freigeben muss. Dann wäre die politische Verantwortung eine ganz andere und zudem unterlägen die Entscheidungen des Verfassungsschutzes einer Kontrolle.

Facebook Screenshot Syrische Gemeinde in Deutschland VERPIXELT
Gefesselt: so übergaben syrische Landsleute Dschaber al-Bakr der PolizeiBild: facebook.com/Syrien.Deutschland1

Wäre es denn hilfreich, wenn der Verfassungsschutz vollen Zugriff auf die Informationen über Flüchtlinge beim entsprechenden Bundesamt erhalten würde?

Das ist in meinen Augen nicht notwendig und darüber hinaus unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig. Denn die Daten einer sehr großen Zahl von völlig unbeteiligten Personen würden in die Hände des Verfassungsschutzes geraten. Das ist nach unserem deutschen Rechtsverständnis unzulässig. Das gilt ebenso für die Forderung aus der CSU nach einer Präventivhaft für islamistische Gefährder. Wir haben schon jetzt die Möglichkeit, Terrorverdächtige sehr früh in Haft zu nehmen.

 

Nikolaos Gazeas ist Experte für deutsches und internationales Strafrecht sowie Nachrichtendienstrecht. Er hat unter anderem den Deutschen Bundestag als Sachverständiger im Rechtsausschuss beraten. Gazeas ist Rechtsanwalt in Köln und Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln.