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Fall Alexej Nawalny: Gericht verurteilt Russland

6. Juni 2023

Der Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist nicht ausreichend aufgeklärt worden, urteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Nawalny habe Anrecht auf Entschädigung.

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 Alexej Nawalny
Alexej Nawalny bei einer Videozuschaltung in ein Gericht in Moskau (26.04.2023)Bild: Yulia Morozova/REUTERS

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Russland am Dienstag erneut verurteilt. Im Fall der vermeintlichen Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalnys mit einem Nervengift sei nicht ausreichend ermittelt worden, heißt es in der Urteilsbegründung.  

Der Vorfall ereignete sich während der Rückreise des russischen Oppositionspolitikers aus dem sibirischen Tomsk am 20. August 2020. Während des Flugs war Nawalny plötzlich krank geworden und hatte das Bewusstsein verloren. Der Pilot hatte sich daraufhin zu einer Notlandung in Omsk entschlossen, wo der prominente Kreml-Kritiker in ein städtisches Krankenhaus gebracht worden war.

Einen Tag später, am 21. August 2020, wurde Nawalny nach Deutschland gebracht und in der Berliner Charité behandelt. Im Januar 2021 kehrte Nawalny nach Russland zurück. Nach seiner Rückkehr wurde er verhaftet.

Kremlgegner Nawalny kehrt nach Russland zurückkehren
Nach seiner fünfmonatigen Behandlung in Deutschland fliegen Alexej Nawalny und seine Ehefrau Julia (l) im Januar 2021 nach Moskau zurück Bild: Mstyslav Chernov/AP/dpa/picture alliance

Nawalnys Vertreter hätten den Fall den Behörden in Tomsk unmittelbar gemeldet und Ermittlungen wegen "versuchten Mordes durch einen Giftanschlag" gefordert, führte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus. Bei einer ersten forensischen Untersuchung in Omsk seien allerdings keine Vergiftungsspuren festgestellt worden. Nach Angaben der russischen Regierung hätten auch weitere Untersuchungen nichts Gegenteiliges ergeben.

Am 2. September 2020 habe allerdings die deutsche Regierung toxikologische Ergebnisse vorgestellt, welche "eindeutige Beweise für das Vorhandensein eines chemischen Nervenkampfstoffs der Nowitschok-Gruppe" lieferten. Laut EGMR sei dies durch drei weitere spezialisierte Labore bestätigt worden.

Nawalnys Menschenrecht auf Leben verletzt 

Die Klage vor dem EGMR, die von Nawalnys Anwälten eingereicht worden war, diente nicht der Klärung, ob Nawalny vergiftet worden ist oder nicht. Es ging vielmehr um die Frage, ob die russischen Behörden ausreichend zur Klärung des Sachverhaltes beigetragen haben. Laut EGMR war dies nicht der Fall.

Der Gerichtshof wirft den russischen Behörden zudem vor, den Vorwurf einer politisch motivierten Tat sowie eine mögliche Tatbeteiligung von staatlicher Seite nicht geprüft zu haben. Insgesamt seien die Ermittlungen nicht ausreichend gewesen, um die wesentlichen Fakten zu ermitteln und Schuldige zu identifizieren. Daher verurteilte der Gerichtshof Russland zu einer Entschädigungszahlung von 40.000 Euro an Alexej Nawalny.

England | Demonstration Unterstützer von Alexej Nawalny in London
Anlässlich seines 47. Geburtstag demonstrierten Unterstützer in London für die Freilassung Alexej Nawalnys am 4. Juni 2023. Bild: Justin Tallis/AFP/Getty Images

Russlands Präsident Vladimir Putin hat bereits angekündigt, Urteile des EGMR nicht mehr zu befolgen. Das Land war nach dem Angriffskrieg in der Ukraine im März 2022 aus dem Europarat ausgeschlossen worden und damit sechs Monate später auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Für deren Wahrung ist der EGMR zuständig. Ende April dieses Jahres waren nach Angaben des Gerichtes mehr als 15.000 Fälle aus Russland anhängig. Davon betreffen nach Angaben des Europarates mehr als 20 Alexej Nawalny.

Mit dem Austritt aus dem Europarat wird es russischen Bürgern künftig nicht mehr möglich sein, sich an den EGMR zu wenden. Noch könnten allerdings Anträge, die sich auf Vorfälle bis Mitte September 2022 beziehen, eingebracht werden, bestätigte ein Sprecher des Europarates der DW.

Nawalny drohen weitere Haftstrafen

Der Kreml-Kritiker sitzt derzeit eine neunjährige Haftstrafe in Russland ab. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete die Haftbedingungen Nawalnys im letzten September als beunruhigend. Sein Zustand habe sich verschlechtert.

"Die russischen Strafvollzugsbehörden versuchen mit den von ihnen seit Jahren verfeinerten Methoden, Alexej Nawalny zu brechen, indem sie ihn erniedrigen, demütigen und ihm das Leben in der Strafkolonie zur Hölle machen," wird Marie Struthers, Direktorin für Osteuropa und Zentralasien, auf der Webseite von Amnesty International zitiert. Im Mai wurden Nawalnys Haftbedingungen noch einmal verschärft. 

In einem weiteren Verfahren wegen angeblichen "Extremismus", drohen Nawalny zusätzliche Haftstrafen. Das Verfahren soll am heutigen Dienstag beginnen. Laut Agenturberichten soll das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem Straflager rund 260 Kilometer nordöstlich von Moskau stattfinden. 

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel