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Fast sechs Jahre Haft in Prozess um "NSU 2.0"-Drohschreiben

17. November 2022

Wegen Drohschreiben an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hat das Landgericht Frankfurt einen 54-Jährigen zu fast sechs Jahren verurteilt. Es sprach Alexander M. der Bedrohung, Beleidigung und Nötigung schuldig.

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Der Angeklagte steht im Gerichtssaal zwischen seinen Anwälten im Prozess um die "NSU 2.0"-Drohschreiben
Der Angeklagte im Prozess um die Drohschreiben steht zwischen seinen AnwältenBild: Andreas Arnold/dpa/picture alliance

Fünf Jahre und zehn Monate Gefängnis: Diese Strafe verhängt das Landgericht gegen den Angeklagten, der aus Berlin stammt. Nach seiner Ansicht hatte sich der 54-Jährige unter anderem der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, der Volksverhetzung, der Störung des öffentlichen Friedens, der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole, der Bedrohung, eines tätlichen Angriffs auf einen Vollstreckungsbeamten sowie der Beleidigung schuldig gemacht.

Das Gericht sei davon überzeugt, dass der Angeklagte die hasserfüllten Briefe "alle allein geschrieben" habe, sagte die Vorsitzende Richterin Corinna Distler bei der Urteilsverkündung. Der Prozess habe gezeigt, "wie schrecklich es sein kann, wenn Menschenwürde durch Sprache angetastet wird". Die Opfer fühlten sich hilflos und würden traumatisiert. Das Gericht habe versucht, dem Auftrag der Verfassung gerecht zu werden und den Täter zu ermitteln. "Das ist uns gelungen." Die Anklage hatte siebeneinhalb Jahre Haft gefordert.

Angeklagter forderte Freispruch

Der Angeklagte hatte sein eigenes Plädoyer gehalten und einen Freispruch verlangt. Er sei lediglich Mitglied einer Chatgruppe im Darknet gewesen, deshalb seien auf seinem Computer Teile der Drohschreiben gefunden worden. Er selbst habe sich nicht am Verschicken der Schreiben beteiligt. Die Drohungen seien niemals ernsthaft gewesen, fügte er hinzu: "Das Projekt NSU 2.0 war nur Herumtrollerei auf hohem Niveau." Der Mann beantragte nach einem Jahr und sieben Monaten Untersuchungshaft Haftverschonung gegen geeignete Auflagen.

Deutschland | Fortsetzung Prozess um die "NSU 2.0"-Drohschreiben
Der Staatsanwalt Sinan Akdogan und die Staatsanwältin Patricia Neudeck beim Frankfurter ProzessBild: Andreas Arnold/dpa/picture alliance

Begonnen hatte die Serie im August 2018 mit Todesdrohungen gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz und ihre Familie. Bis März 2021 wurden mehr als 80 Drohschreiben per E-Mail, Fax oder SMS verschickt. Diese waren gespickt mit wüsten Beschimpfungen und Todesdrohungen. Sie waren zudem mit "Heil Hitler" und "NSU 2.0" unterschrieben. Die letztgenannte Abkürzung spielt auf die rechtsextremistische Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) an, deren Mitglieder von 2000 bis 2007 neun Migranten und eine deutsche Polizistin ermordeten.

Vor allem an Frauen adressiert

Gerichtet waren die Drohschreiben vor allem an Frauen des öffentlichen Lebens, Rechtsanwältinnen, Politikerinnen, Journalistinnen, Staatsanwältinnen, aber auch Künstler und Menschenrechtsaktivisten. Zu den Adressaten gehörten der Satiriker Jan Böhmermann, die Fernsehmoderatorin Maybritt Illner und die Kabarettistin Idil Baydar.

Die persönlichen und öffentlich nicht zugänglichen Daten der Empfängerinnen und Empfänger habe M. unter Vorspiegelung falscher Identitäten von verschiedenen Polizeidienststellen erhalten, hieß es im Plädoyer der Staatsanwaltschaft. Weil diese Daten von Computern der hessischen Polizei abgerufen worden waren, richtete sich der Verdacht lange Zeit gegen die Polizei. Ein ehemaliger Polizist aus Bayern und seine Ehefrau standen zunächst im Fokus der Ermittlungen. Der Verdacht gegen sie erhärtete sich aber nicht.

Auf Alexander M.s Spur kamen die Ermittler nach eigenen Angaben durch akribische Ermittlungsarbeit vor allem in Internetblogs und -foren. Im April 2020 wurde er als Verdächtiger identifiziert. Der Prozess gegen ihn vor dem Landgericht begann im Februar 2022.

Weitere Ermittlungen verlangt

Die Nebenklägerinnen - die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Die Linke) und die Frankfurter Anwältin Basay-Yildiz - hatten weitere Aufklärung gefordert. Zumindest für das erste Schreiben bestünden Zweifel an einer Täterschaft von M.. Auch die Verteidigung kritisierte, dass die Staatsanwaltschaft von einem Einzeltäter ausgehe und wies auf einen Polizisten des 1. Polizeireviers in Frankfurt hin, dessen Rolle in dem Verfahren nicht hinreichend aufgeklärt worden sei.

kle/sti (afp, dpa, epd)