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Film "Colonos": Völkermord an den Indigenen von Feuerland

14. Februar 2024

Sie wurden wie Tiere gejagt und abgeschlachtet: 150 Jahre nach dem Genozid an den Indigenen von Feuerland erzählt der Film "Colonos" von den Gräueln der Kolonisation.

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Zwei Reiter vor weiter Landschaft
Auf der Jagd nach den Ureinwohnern von Feuerland: Filmstill aus "Colonos"Bild: QuijoteFilms

"Colonos" ist ein Western der besonderen Art, der eine brutale Geschichte erzählt: Um 1900 brechen drei Reiter zu einer Expedition nach Feuerland auf. Für ihren Auftraggeber, den Großgrundbesitzer Menendez, sollen sie dessen riesige Ländereien "sichern", das heißt: mit Gewalt von der  indigenen Bevölkerung befreien. Felipe Gálvez' Spielfilmdebüt "Colonos", bei den Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet, erzählt von diesen brutalen Ereignissen.

Felipe Gálvez mit Mütze vor einer roten Wand
Der chilenische Regisseur von Colonos, Felipe GálvezBild: Oscar Fernandez Orengo

Das Todeskommando ermordete Indigene vom Volk der Selk'nam, hochgewachsene Menschen, Nomaden, die von der Jagd auch auf die Schafe der Kolonisatoren leben. Die weißen Siedler antworteten mit Waffengewalt. Ein Genozid, der von der Weltöffentlichkeit fast unbemerkt bleibt.

Abrechnung mit dem rassistischen Kino

Gálvez' Film macht die Gewalt sichtbar und schlägt damit eines der dunkelsten Kapitel der chilenischen Geschichte auf. "Es ist ein Film", sagt der Regisseur in einem Interview mit dem deutschen Fernsehsender ARD, "der von der Vergangenheit erzählt, aber in die Gegenwart reicht und Dinge reflektiert, die heute passieren."

Ein Mann, eine Frau und ein Kind posieren in Fell gehüllt in der Natur.
Eine Familie der Selk'nam: Dieses Foto stammt vom österreichischen Missionar Martin GusindeBild: CC BY-Martin Gusinde/Världskulturmuseet-NC-ND

"Colonos" sieht zwar auf den ersten Blick aus wie ein Western, ist aber keiner. "Das Kino des 20. Jahrhunderts war ein aktiver Komplize des Kolonisierungsprozesses in Amerika", sagt Regisseur Gálves, "der Western ein Propagandagenre, das das Abschlachten der indigenen Bevölkerung rechtfertigte." Der Western habe das Töten zum Unterhaltungskino gemacht und die Ureinwohner als Bösewichte dargestellt. "Es war ein extrem rassistisches Kino", so Gálves. 

Vier Indigene mit Pfeil und Bogen hocken in einer Reihe vor einer karstigen Buschlandschaft.
Die Selk'nam bei der JagdBild: CC BY-Martin Gusinde/Världskulturmuseet-NC-ND

Der Film beruht auf Tatsachen, die verstärkt auch die Weltöffentlichkeit interessieren. Die ersten weißen Siedler erreichten Feuerland mit der Weltumsegelung des Portugiesen Ferdinand Magellan im Jahre 1520. Wegen der zahllosen Lagerfeuer, die den Indigenen unter anderem zur Kommunikation dienten, tauften sie die Inselgruppe an der Südspitze des Kontinents "Feuerland". Die Kolonisierung der "Tierra del Fuego" begann aber erst um 1850, als die ersten Einwanderer aus Argentinien, Chile und Europa auf die Isla Grande übersetzten. Die Schafzüchter, Goldsucher und Missionare schleppten unbekannte Krankheiten ein und machten damit den Ureinwohnern den Garaus.

Missionar forscht zum Leben der Indigenen

Vermutlich waren diese vor rund 10.000 Jahren nach Patagonien und Feuerland gekommen. Wie vier weitere indigene Völker trotzten die Selk'nam den widrigen Lebensumständen des Insellabyrinths mit seinem polaren Klima aus brennender Sonne und antarktischer Kälte. Die Feuerländer zogen in kleinen Gruppen durch die karge, von Wasseradern zerschnittene Landschaft.

Die Selk'nam bauten keine Städte, keine Monumente. Sie hinterließen keine Tongefäße und kannten keine Schriftsprache. An ihre Kultur erinnern heute vor allem historische Fotos und Forschungsberichte des Missionars Martin Gusinde (1886-1969).

Von den Steyler Missionaren, einer Ordensgemeinschaft päpstlichen Rechts in der römisch-katholischen Kirche, nach Chile entsandt, unternahm der österreichische Priester und Anthropologe Gusinde zwischen 1918 und 1924 vier Forschungsreisen und dokumentierte dabei in Bild und Ton das Leben der damals schon fast ausgerotteten "Feuerland-Indianer". Ein umfangreicherBildband erschien zuletzt im deutschen Verlag Hatje Cantz mit dem "Begegnungen auf Feuerland".Gusindes Fotos werden heute vom Anthropos Institut der Steyler Missionare in Sankt Augustin bei Bonn aufbewahrt. Manche zeigen Ureinwohner bei rituellen Handlungen wie der Hain-Zeremonie: Nackte junge Männer tanzen im Kreis, um den Regen zu vertreiben und die Sonne herbeizurufen. Auf anderen Bildern sind die Körper mal mit Strichen und Kreisen, mal mit Punkten und Farbfeldern bemalt, je nach Zweck und Anlass. "Gusinde war einer der ersten Ethnologen", sagt der Bibliothekar des Anthropos-Instituts, Harald Grauer, im DW-Interview, "der den direkten Kontakt zu den Völkern gesucht hat. Und in der Tat: Niemand kam ihnen so nahe wie Gusinde. 

Kritisch beleuchtet: Die Rolle der Kirche

Auszug aus einem Comic
Die Graphic Novel "Wir die Selk'nam" erzählt vom brutalen Genozid in FeuerlandBild: Carlos Reyes/Rodrigo Elgueta/bahoebooks.net

Einen kritischen Blick auf die Rolle der Kirche beim Völkermord an den Selk'nam wirft derzeit auch eine Graphic Novel der chilenischen Autoren Carlos Reyes und Rodrigo Elgueta: "Wir, die Selk'nam".  Denn mit den Schafzüchtern und Goldsuchern kamen die Missionare. Nach Protesten gegen den Völkermord trieben die chilenischen Behörden die Selk'nam zusammen. Einige wurden in ein provisorisches Lager im Hafen von Punta Arenas oder nach Ushuaia verschleppt, andere kamen in eine Missionsstation auf der Isla Dawson, einer chilenischen Insel in der Magellanstraße. So wurden die Missionare, wie Kritiker heute meinen, trotz bester Absichten zu Beschleunigern des Genozids.

Menschenschau im Zoo
Ausgestellt wie Tiere - Menschen aus fernen Kontinenten im Menschenzoo von Paris um 1891Bild: Bianchetti/Leemage/picture alliance

Ein weiteres düsteres Kapitel in der Kolonisierung Feuerlands schrieben die "Völkerschauen".  Auch Selk'nam wurden nach Europa verschleppt und dort als primitive Urmenschen aus Südamerika vermarktet: Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis Anfang der 1930er-Jahre zogen Völkerschauen ein Millionenpublikum an. Europaweit führend im Geschäft mit dem Menschenzoo war der Hamburger Tierpark Hagenbeck. 

Selk'nam wurden auch in Menschenzoos präsentiert

Dem Hamburger Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer zufolge bestätigten sie beim Publikum das Selbstbild der eigenen Überlegenheit. Diese Geschichte sei bisher kaum aufgearbeitet, so Zimmerer im Norddeutschen Rundfunk. 

Vielleicht braucht es dafür mehr Mut? Einer, der auf Dialog mit den Indigenen setzt, ist der Ethnologe Lars Frühsorge. Der Leiter der Völkerkundesammlung Lübeck hat kürzlich die Ausstellung"Hoffnung am Ende der Welt. Von Feuerland zur Osterinsel".

verantwortet. Zuvor allerdings reiste er nach Feuerland, um Nachfahren von Selk'nam zu treffen, ihnen Fotos der Exponate zu zeigen und sein Konzept zu besprechen. Für Völkerkundemuseen , das habe er gelernt, sei ein solcher Dialog "überlebenswichtig", sagt Frühsorge. 

Menschenschau im Zoo
Ausgestellt wie Tiere - Menschen aus fernen Kontinenten im Menschenzoo von Paris um 1891Bild: Bianchetti/Leemage/picture alliance

Dass die Selk'nam in der Jetzt-Zeit angekommen sind, zeigt nicht nur Felipe Gálvez' aufreibendes Leinwanddrama "Colonos". Im Herbst 2023 erkannte Chiles Regierung - nach vielen Jahren des Kampfes - die Selk'nam offziell als existierende indigene Gemeinschaft an. Ihr Schicksal erzählt der Film "Colonos", ab dem 15. Februar 2024 in den deutschen Kinos zu sehen ist.