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Lärm: Die unsichtbare Bedrohung

Tim Schauenberg
26. April 2022

Lärm kann nicht nur nervtötend sein, sondern auch Menschen krank machen und Ökosysteme durcheinanderbringen. Zum Tag gegen den Lärm finden Sie hier alles, was Sie zum Thema Lärm wissen müssen.

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Symbolbild Boxenturm | Stapel mit Lautsprecherboxen
Bild: IMAGO

Menschen nehmen Geräusche unterschiedlich wahr, das ist ganz normal. Während die Feier beim Nachbarn für den einen die Nacht zum Tag macht, schlummert jemand anders ungestört weiter. Ab einem bestimmten Lärmpegel kann aber niemand mehr weghören. Denn klar ist auch, zu viel Lärm beeinflusst und schadet Menschen, Tieren und sogar Pflanzen. Ein Phänomen, das stetig zunimmt, in Großstädten und selbst in der abgelegenen Natur.

12.000 frühzeitige Tode durch Lärmbelastung

Als störend empfundene Geräusche oder Lärm, ob tagsüber oder nachts, sind ein Stressfaktor - und zwar ein ganz erheblicher. Ist es ständig laut, sei es durch den Straßenverkehr, den vorbeifahrenden Zug, die Besucher der Bar unten vor der Tür oder das startende Flugzeug, steht der Körper unter Dauerstress. Allein in Europa sind derzeit mindestens 20 Prozent der Bevölkerung Straßenlärm in einem Ausmaß ausgesetzt, das der Gesundheit schaden kann. Zu viel Lärm kann zu Stoffwechselkrankheiten, Bluthochdruck, Diabetes oder sogar einem Herzinfarkt führen. 48.000 Fälle von Herzerkrankungen und 12.000 frühzeitige Tode gehen pro Jahr auf das Konto von dauernder hoher Lärmbelastung.

Verkehr in Bangladesch
Dhaka gilt derzeit als die lauteste Stadt der WeltBild: Mortuza Rashed

Extremer Lärm lässt sich in sämtlichen Großstädten nachweisen, von London bis Dhaka, Algier, Barcelona oder Berlin. In New York sind zum Beispiel 90 Prozent der Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel Lärmpegeln ausgesetzt, die Grenzwerte deutlich überschreiten und zu irreversiblen Hörschäden führen können. 

Mit weniger Geld lebt man lauter

In Hongkong und in Großstädten weltweit sind vor allem marginalisierte Gruppen einem erhöhten Risiko extremer Lärmbelastung ausgesetzt.

Für Thomas Myck, Lärmexperte beim Umweltbundesamt (UBA), ist Lärmbelastung deshalb ein Paradebeispiel für Umweltungerechtigkeit. "Wenn eine Wohnung oder ein Haus an einer Hauptverkehrsstraße ist, dann zahlt man weniger Miete. Das heißt, Menschen, die nicht so gut betucht sind, leben häufiger an lauten Straßen." 

Baustelle in Hong Kong
Gerade ärmere Menschen leben in lauten ViertelnBild: Stringer/HPIC/dpa/picture alliance

Weltweit leben Geringverdiener häufiger in der Nähe von Industrieanlagen, Müllkippen oder Hauptverkehrsadern und sind größerem Lärm ausgesetzt als Gutverdiener. Diese Ungerechtigkeit verläuft häufig auch entlang ethnischer Gruppen, wie ein Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen feststellt.

Tiere und Nahrungsketten kommen durcheinander

Nicht nur der menschliche Organismus kommt bei zu viel Lärm durcheinander. Studien fanden heraus, dass sämtliche Tierarten auf Lärm reagieren und ihr Verhalten teilweise ändern.

Singendes Rotkehlchen
Vögel in der Stadt verschaffen sich mit lauterem Organ GehörBild: Wolfram Steinberg/dpa/picture alliance

Stadtvögel singen häufig lauter. Die städtischen Kohlmeisen in Europa, Japan oder dem Vereinigten Königreich singen inzwischen höher als ihre Artgenossen im Wald. Stimmveränderungen wurden auch bei Insekten, Heuschrecken und Fröschen beobachtet, die in der Nähe von Autobahnen leben. Dadurch kommt es aber immer häufiger zu Missverständnissen. Der neue Gesang kommt bei möglichen Geschlechtspartnern nicht immer gut an und kann sich negativ auf den Paarungserfolg auswirken. Frösche in Bogotá quaken inzwischen vor allem in Lärmpausen, um gehört zu werden.

Man müsse sich darüber im Klaren sein, "dass die Paarung oder die Aufzucht von Nachwuchs gestört wird, dass die Ortung von Beutetieren durch Lärm gestört wird. Das heißt, deren (der Tiere Anm. d. Red.) ganzer Lebensraum wird durch Lärm stark negativ beeinflusst", so Myck. 

Mangrovenwälder
Selbst unberührte Ökosysteme in Nationalparks werden von Lärm beeinflusstBild: Hedelin F/Andia/imago images

In den USA hat sich in den vergangenen Jahren in mehr als der Hälfte aller Nationalparks die Lärmbelastung verdoppelt. Hauptursache für die Lärmbelastung in den Naturschutzgebieten sind neben Straßen vor allem Lärm durch Minenprojekte, den Abbau von Gas und Öl oder der Holzindustrie. Dies hat auch direkten Einfluss auf die Vegetation, da Vogelarten abwandern können, die für die Verteilung von Pflanzensamen essenziell sind.

Endlich Ruhe? Wie es leiser werden könnte

Laut einem Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) könnten mehr Bäume, Büsche und Sträucher in Städten das Problem eindämmen. Sie zerstreuen und dämpfen den Lärm und tragen gleichzeitig zu einem besseren Klima und Stadtbild bei. Thomas Myck glaubt nicht, dass dies viel bringt, "weil der Lärm praktisch durch sie hindurchgeht. Da bleibt ja nur Schallschutz als einzige Lösung übrig." Viel effektiver hält er dagegen den Verkehr in Städten so weit wie möglich zu reduzieren, in mehr Straßen Tempo 30 auszuweisen, den öffentlichen Nahverkehr und verkehrsberuhigte Zonen, sowie die E-Mobilität zu fördern und Radwege auszubauen.

In Frankreich wird derzeit ein Lärm-Blitzer getestet. Das Gerät ist darauf ausgerichtet, unerlaubt laute Fahrzeuge zu erkennen. Im Fokus stehen dabei nicht nur laute Metropolen, sondern auch Ausflugsziele von Motorradfahrern in der Natur. Ein Verstoß gegen die Lärmgrenzen soll in Zukunft mit Bußgeld geahndet werden.

Lärmradar über der Straße
Der neue Lärmradar "Méduse" (dt. Qualle) wird derzeit in sieben Städten Frankreichs getestetBild: Bruitparif/dpa/picture alliance

Mit weniger Autospuren und Verkehr in den Städten könnte der gewonnene Raum durch eine klimagerechte Stadtplanung in Radwege oder Grünflächen und Parks umgewandelt werden und so das Stadtklima, die Biodiversität und die Lebensqualität fördern. Wissenschaftler konnten nachweisen, dass natürliche Geräusche wie das Singen der Vögel, das Plätschern von Wasser oder das Rascheln der Blätter in den Bäumen bei Wind den Stress reduzieren und einen positiven Effekt auf die menschliche Gesundheit haben.