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Frieren ohne russisches Gas?

7. November 2023

Auch in diesem zweiten Winter ohne Gas aus Russland wird es keine Versorgungsprobleme geben. Risikofaktoren sind ein möglicher Kälteeinbruch und der gefährdete Gastransit durch die Ukraine.

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Eine Hand dreht am Thermostat eines Heizkörpers
Frieren und sparen oder gemütlich und teurer? Schwierige Entscheidung, auch in diesem WinterBild: Hauke-Christian Dittrich/dpa/picture alliance

Die Deutschen haben keine Angst mehr vor einem kalten Winter ohne Gas aus Russland. Ernste Sorgen vor Energieknappheit gab es im vorigen Jahr und Moskau schürte damals gezielt diese Befürchtungen mit Erzählungen, wie die Bundesrepublik ohne Gazprom-Lieferungen frieren würde. Der russische Staatskonzern hatte sie Ende August 2022 komplett eingestellt. Nun aber meinen lediglich 14 Prozent der Befragten, dass es im kommenden Winter zu Versorgungsproblemen kommen könnte.

Deutschland gut auf die Heizperiode vorbereitet

Dagegen gehen 64 Prozent der Deutschen davon aus, dass sie ohne größere Probleme durch den bevorstehenden Winter kommen werden, obwohl die Versorgungssituation immer noch schwierig sei. Gleichzeitig schätzen 18 Prozent die Lage als sehr entspannt ein und sind überzeugt, dass Deutschland problemlos die kalte Jahreszeit überstehen wird. Vier Prozent konnten sich nicht festlegen. Somit "sehen vier von fünf Befragten Deutschland gut auf den kommenden Winter vorbereitet", stellt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) fest, der die repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben hatte. 

Die Anlandestation der Pipeline Nord Stream 2 in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern)
Hier kommt kein Erdgas mehr an: Die Anlandestation der Pipeline Nord Stream 2 in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) Bild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

"Dank des guten Zusammenspiels zwischen Energiewirtschaft und Politik beim Thema Versorgungssicherheit in den vergangenen eineinhalb Jahren können wir heute relativ optimistisch auf die Versorgungssituation im Winter blicken", schlussfolgert Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. Ähnlich klingt auch der Präsident der Bundesnetzagentur (BNetzA), Klaus Müller, der bisher eher vorsichtig in seinen Einschätzungen war. Nun aber erklärt er auf der Homepage der Behörde: "Die Ausgangssituation zu Beginn der Heizperiode ist deutlich besser als im vergangenen Jahr."

Müller verweist zuallererst auf den Füllstand der deutschen Gasspeicher, der am 5. November die 100-Prozent-Marke erreicht habe, sowie auf die stabilen Importe und Einsparungen. Sein gestiegener Optimismus beruht aber auch auf den sechs neuen Szenarien der Gasversorgung Deutschlands im Winter 2023/2024, die die Bundesnetzagentur am 2.November vorgestellt hatte. Nur zwei von ihnen, in denen gleich mehrere ungünstige Faktoren zusammenkommen müssten, geben Grund zur Sorge.

Sehr kalter Winter ist größter Risikofaktor

Grundsätzlich schätzt die Bundesnetzagentur die Gefahr einer angespannten Gasversorgung in einem normal kalten Winter "mittlerweile als gering ein". Problematisch könnte es also nur bei ausgesprochen niedrigen Temperaturen werden. Deshalb beschränken sich die aktuellen Szenario-Rechnungen "auf einen Winter mit ausgeprägten Kältephasen und durchschnittlichen Tagestemperaturen von bis zu -13 Grad Celsius, wie es sie im Winter 2012 gegeben hat". In jenem Jahr gab es "kleinere Kältephasen im Dezember und eine intensive Kältephase im Februar".

Blick auf das Hauptdeck des Verarbeitungsschiffs "Neptune" im Industriehafen von Lubmin am zweiten deutschen Terminal für verflüssigtes Erdgas (LNG).
Dafür kommt jetzt hier Flüssiggas (LNG) an: Der LNG-Terminal im Industriehafen von LubminBild: John Macdougall/dpa/picture alliance

Eine weitere Prämisse besteht darin, dass gerade wegen der Kälte die Einsparungen in Deutschland lediglich zehn Prozent des durchschnittlichen Gasverbrauchs in den Jahren 2018 bis 2021 betragen werden. Ferner wird angenommen, dass Russland ab November 2023 den Gastransit durch die Ukraine in Richtung Europa stoppt, so dass Deutschland, das über die größten Gasspeicherkapazitäten in der EU verfügt, seine Exporte in Richtung Österreich und Südosteuropa erhöhen muss. Zudem wird vorausgesetzt, dass weniger Flüssiggas über die LNG-Terminals in Belgien und den Niederlanden importiert werden kann, weil wegen der niedrigen Temperaturen in diesen Nachbarländern der Eigenbedarf steigt.

Die auf dieser Grundlage durchgeführten Modellrechnungen zeigen, dass selbst bei einem Totalausfall des Ukraine-Transits Deutschland nur in zwei Fällen leere Speicher und temporärer Gasmangel im Februar drohen. Erstens: Wenn die Haushalte und die Industrie den Gasverbrauch überhaupt nicht reduzieren, die Exporte aber erhöht werden. Zweitens: Wenn zusätzlich zu diesen beiden Faktoren auch noch der Import von LNG über die Nachbarländer zurückgeht. 

Deshalb richtet der Agenturchef erneut den Appell an die deutsche Bevölkerung, beim Heizen das Gas genauso sparsam und bedacht zu verbrauchen wie im vorigen Winter. "Niemand soll frieren", so Klaus Müller, "aber zugleich bitten wir die Menschen, dass sie sich auch weiterhin genau überlegen, welcher Verbrauch sich einsparen lässt". Zumal das für die Menschen auch bares Geld bedeutet. Nach seinen Worten haben "die Einsparungen zwischen Oktober 2022 und September 2023 die Kosten für einen Durchschnittshaushalt um rund 440 Euro reduziert."

Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur
Optimistischer als im vergangenen Winter: Klaus Müller, Chef der BundesnetzagenturBild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

Wann ein Gasmangel drohen könnte

Fassen wir zusammen. Ein Gasmangel könnte Deutschland, und das auch erst im Februar, unter folgenden Voraussetzungen drohen. Erstens: Der Winter wird besonders kalt. Zweitens: Haushalte und Industrie reduzieren ihren Verbrauch im Vergleich zu dem Vierjahresdurchschnitt vor der Energiekrise überhaupt nicht (bisher war der Gesamtgasverbrauch jeden Monat niedriger als damals, teilweise erheblich niedriger, wovon die wöchentlichen Lageberichte der BNetzA zur Gasversorgung zeugen). Drittens: Russland stoppt bereits im November 2023 den Gastransit durch die Ukraine (bisher deutet nichts darauf hin). Viertens: Aus deutschen Gasspeichern wird intensiv Südosteuropa versorgt (diese Region verfügt aber auch über andere Bezugsquellen und -wege). Fünftens: Der Import über die LNG-Terminals in Belgien und den Niederlanden geht erheblich zurück. 

Eine Situation, in der alle oder die meisten dieser Krisenfaktoren gleichzeitig eintreten, ist nicht auszuschließen, erscheint aber wenig wahrscheinlich. Was bemerkenswert ist: In keinem dieser Szenarien wird ein physischer Mangel an Flüssiggas auf dem Weltmarkt vorausgesetzt. Die Bundesnetzagentur geht also fest davon aus, dass die weltweiten LNG-Produzenten selbst bei einem besonders kalten Winter in Europa in der Lage sein werden, die gestiegene Nachfrage zu bedienen.