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Gaza: Auch ausländische Staatsbürger kommen nicht raus

29. Oktober 2023

Israels Krieg gegen die Hamas geht in die vierte Woche. Die Verzweiflung palästinensischer Zivilisten wächst - im Gazastreifen und außerhalb. Niemand kann das Gebiet verlassen, selbst Nachrichten dringen kaum noch durch.

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Dutzende Menschen stehen oder sitzen auf Koffern auf einer asphaltierten Fläche
Menschen warten seit Wochen darauf, den Gazastreifen über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten zu verlassenBild: Fatima Shbair/AP Photo/picture alliance

Jeden Tag wartet Asia Mathkour auf einen Anruf, in dem ihr mitgeteilt wird, dass sie über den Grenzübergang Rafah aus dem Gazastreifen nach Ägypten ausreisen könne. Die Mutter zweier kleiner Kinder ist Palästinenserin mit kanadischem Pass und lebt seit 2014 in Gaza.

"Vor zwei Wochen habe ich einen Anruf aus Kanada bekommen. Man sagte mir, dass der Grenzübergang Rafah geöffnet werden würde und dass wir uns eigenverantwortlich dorthin begeben sollten", berichtet Mathkour am Telefon. Aber schon wenige Stunden später seien ihre Hoffnungen zerbrochen: Die Grenze war geschlossen und ist es bis heute geblieben. Seitdem harrt Mathkour in Rafah aus: "Wir fühlen uns allein gelassen, niemand hilft uns."

Kein Entkommen - auch nicht mit ausländischem Pass

Asia Mathkour ist nicht die einzige, der es so geht. Vergangenen Mittwoch teilte das Weiße Haus in Washington mit, dass US-Präsident Joe Biden erneut das Gespräch mit dem Israels Premier Benjamin Netanjahu gesucht habe, um über die sichere Ausreise ausländischer Staatsbürger und Palästinenser mit einer zweiten Staatsbürgerschaft zu diskutieren. Doch bisher hat es kein Land geschafft, seine Staatsbürger oder Doppelstaatler, also Menschen mit zwei Staatsangehörigkeiten, aus der palästinensischen Exklave herauszuholen, die seit drei Wochen unter israelischem Beschuss steht.

Hamas – die Organisation hinter den Angriffen auf Israel

So befinden sich zum Beispiel nach offiziellen deutschen Angaben einige Hundert Menschen mit deutschem Pass in Gaza, die meisten von ihnen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Genauere Zahlen nennen die Behörden nicht.

Geschlossene Grenzen, Dauerbeschuss und nun die Bodenoffensive?

Seit drei Wochen hält Israel seine Grenze mit dem Gazastreifen dicht. Und auch der Grenzübergang Rafah nach Ägypten ist weitgehend geschlossen. Lediglich einige Lastwagen von Hilfsorganisationen dürfen seit einer Woche dringend benötigte Lebensmittel und Medizinprodukte in den Süden des Gazastreifens bringen.

Die Abriegelung ist eine Reaktion Israels auf den großangelegten Terroranschlag, bei dem militante Islamisten der Hamas am 7. Oktober nach Israel eingedrungen sind, dort mehr als 1400 Menschen ermordet und mehr als 200 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt haben. Die Hamas regiert seit 2007 in dem Palästinensergebiet am Mittelmeer; eines ihrer erklärten Ziele ist die Vernichtung des Staates Israel. Neben den westlichen Mächten und der Europäischen Union stufen sie auch einige arabische Staaten als Terrororganisation ein.

Seit dem Terrorangriff der Hamas bombardieren und beschießen die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) täglich mutmaßliche Hamas-Stellungen vor allem im nördlichen Gazastreifen. Die IDF haben die Zivilbevölkerung mehrfach aufgefordert den Norden zu verlassen und vorübergehend in den Süden der Exklave umzusiedeln. Dennoch sollen bei den israelischen Angriffen mehr als 7000 Menschen ums Leben gekommen sein, behauptet die Hamas.

An diesem Wochenende erklärte Premierminister Netanjahu, die "zweite Phase" der Angriffe auf Gaza habe begonnen. Gemeint ist eine Bodenoffensive, deren Ziel es sei, die Geiseln zu befreien sowie die "Hamas zu zerschlagen".

"Die Panzer feuerten unentwegt"

Asia Mathkour und ihre Familie leben eigentlich nördlich von Gaza-Stadt, nah an der Grenze zu Israel. Als der   neuerliche Krieg zwischen Israel und Hamas begann, zogen sie schnell in ein Hotel im Zentrum von Gaza-Stadt. Die Gegend galt bei früheren Gefechten als relativ sicher. Aber dieses Mal teilte das israelische Militär den Hotels mit, dass sie evakuiert werden müssten. Ihre Gäste sollten genau wie alle anderen Bewohner des nördlichen Gazastreifens in den Süden umsiedeln. Zusammen mit Zehntausenden anderen machten sich Mathkour und ihre Familie auf den Weg nach Rafah, wo sie bei Angehörigen unterkamen. Aber sicherer fühlen sie sich dort nicht.

Hinter einem Hochhaus ist der Himmeln von einer Explosion oder einem Feuer erleuchtet, Rauchspuren durchziehen den Horizont (28.10.2023)
Explosionen im Gazastreifen (am Sonnabend)Bild: Abed Khaled/AP Photo/picture alliance

"Letzte Nacht war die Hölle. Es war die schlimmste Nacht, seit wir nach Rafah gekommen sind", sagte Mathkour der DW am Freitag. "Die Panzer feuerten unentwegt. In der Nähe schlugen vereinzelt Bomben ein und ließen das ganze Haus erbeben. Sie können sich vorstellen, wie groß unsere Angst war."

Aber auch die Entscheidung, die ihr bevorsteht, wenn die Grenze öffnet, belastet Mathkour. Denn auf den Evakuierungslisten stehen nur Ausländer und Doppelstaatler sowie deren engste Angehörige. Viele ihrer Verwandten und Freunde gehören nicht dazu: "Ich fühle mich schlecht, weil mich Leute nach meiner doppelten Staatsbürgerschaft fragen", sagt Mathkour und fragt: "Was ist denn mit den anderen? Warum schaut die Welt nicht auch auf sie?"

"All unsere Sinne sind auf Gaza gerichtet"

Ortswechsel: In der Altstadt von Ostjerusalem wartet der palästinensische Koch Izzeldin Bukhari auf Nachrichten von seiner Schwester und anderen Angehörigen in Gaza. Die Metropole liegt nur rund 100 Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt. Und dennoch wirkt der von Israel annektierte Ostteil Jerusalems wie ein Ort auf einem anderen Planeten.

"Wir machen uns alle große Sorgen um das, was in Gaza passiert. All unsere Sinne sind darauf gerichtet", sagt Bukhari. Um sieben Uhr morgens sei es besonders schlimm, weil er dann darauf warte, dass seine Familie anruft: "Das ist eine beängstigende Zeit. Es ist so kräfte- und nervenzehrend. Und es ist unmöglich, nicht daran zu denken."

Israel: Angst vor Angriffen aus Norden und Süden

Der größte Teil seiner Familie mütterlicherseits lebt in Gaza. Aber er konnte sie seit 16 Jahren nicht mehr besuchen. Israel - und teils auch Ägypten - halten die Grenzen zu dem Hamas-regierten Territorium schon lange weitgehend geschlossen. Es ist schwierig für Palästinenser aus Ostjerusalem oder dem besetzten Westjordanland eine Erlaubnis von Israel zu bekommen, in den Gazastreifen zu reisen.

Internet und Mobilfunknetze weitgehend lahmgelegt

Izzeldin Bukharis Familie hat bisher in Rimal gelebt - einem gehobenen Viertel im Zentrum von Gaza-Stadt, das in diesem Krieg laut Berichten sehr hart getroffen wurde. "Meine Tante ist in Rimal getötet worden. Sie hat dreimal versucht zu fliehen, aber es gab viele Streiks und so musste sie zurück nach Hause", sagt Bukhari. "Die Menschen wandern von einem Ort zum andern in der Hoffnung auf eine bessere Unterkunft."

Die meisten seiner Verwandten im Gazastreifen sind in den Süden gezogen. Aber die Sorge bleibt, zumal es immer schwieriger geworden ist, in Kontakt zu bleiben, weil die Netze wegen Strommangels und Schäden an der Kommunikationsinfrastruktur in den vergangenen Wochen schwach geworden sind. "Meine Schwester hat verschiedene SIM-Karten. Sie versucht es immer wieder zu verschiedenen Tageszeiten. Am Anfang des Kriegs war es leichter zu kommunizieren, aber wir müssen es einfach weiter versuchen", schilderte Bukhari die Situation in einem DW-Gespräch am Freitag.

Ein Kampfpanzer fährt über unbefestigtem Untergrund, davor eine Staub- oder Rauchwolke, womöglich vom Abfeuern der Bordkanone (28.10.2023)
Israelischer Kampfpanzer an der Grenze zum nördlichen Gazastreifen (am Sonnabend)Bild: Aris Messinis/AFP/Getty Images

In der Nacht auf Samstag hat die israelische Armee begonnen, ihre Bodenoffensive auszuweiten. Nun sind Telefonnetze und Internet im Gazastreifen weitgehend lahmgelegt.

Brüchig war die Leitung schon tags zuvor, als Asia Mathkour aus Rafah über eine brüchige Leitung mit der DW sprach. Und schon da war ihr klar, dass das Leben in Gaza, wie sie es kannte, wohl für immer der Vergangenheit angehört: "Alles, was wir uns jetzt noch erhoffen können, ist am Leben zu bleiben."

Aus dem Englischen adaptiert von Jan D. Walter

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin