1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikBulgarien

Geheimdienste in Bulgarien: Skandale und Reformen

Christopher Nehring
18. Juli 2023

Russland-Nähe, Korruption, illegales Abhören, politische Einmischung: Nach ungezählten Affären will die neue bulgarische Regierung die Geheimdienste reformieren. Doch die leisten Widerstand.

https://p.dw.com/p/4U0PH
Abgeordnete stimmen im bulgarischen Parlament ab
Soll in Zukunft mehr zu sagen haben, wenn es um den Geheimdienst geht: das bulgarische Parlament Bild: Cylonphoto/Zoonar/IMAGO

Wenn die Geheimdienste in Bulgarien an die Öffentlichkeit treten, hat das selten etwas mit Sicherheitspolitik zu tun. Stattdessen geht es oft um politische Skandale. Am Ende stehen meistens zwei Fragen: Wie viel politischen Einfluss haben die Sicherheitsbehörden im Land? Und wem dienen sie wirklich?

Seit dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine sind diese Fragen noch brisanter geworden - nicht nur für Bulgarien, sondern für ganz Europa. Denn ein Teil der bulgarischen Polit-Elite und Teile der Geheimdienste sind prorussisch eingestellt, mal ganz offen, mal eher versteckt. Sowohl in der neuen bulgarischen Regierung als auch in NATO- und EU-Kreisen wurde deshalb die Loyalität der Geheimdienste zuletzt in Frage gestellt.

Wie fragwürdig es im Geheimdienstsektor zugeht, zeigte sich zuletzt Anfang Mai 2023. Damals verkündeten die Parteiführer der Reformparteien Demokratisches Bulgarien (DB) und Wir setzen den Wandel fort (PP), Ex-Premier Kiril Petkow und Hristo Iwanow, die Reform der bulgarischen Sicherheitsdienste zu einer Priorität der neuen Regierung zu machen. Prompt folgte der Auftakt zu einer Reihe von Skandalen.

Bulgariens Ex-Premier Kiril Petkow spricht in ein Mikrofon
Bulgariens Ex-Premier Kiril PetkowBild: Visar Kryeziu/AP/dpa/picture alliance

Nur wenige Tage nach der Ankündigung veröffentlichte Radostin Wasilew, ein abtrünniges Parteimitglied von Petkows PP-Partei, einen Mitschnitt einer geschlossenen Parteiversammlung. Der Inhalt: angebliche Aussagen Petkows und seines Stellvertreters Assen Wassilew über die Abstimmung ihrer Reformen sowie einzelner Personalien mit der EU-Kommission und westlichen Botschaften in Bulgarien. Petkow und Iwanow bezeichneten die Veröffentlichung als Geheimdienstoperation. Damit habe der Geheimdienst versucht, die damals noch nicht abgeschlossene Regierungsbildung und Reformen zu verhindern, so die beiden Parteiführer.

Vorwürfe wegen Landesverrats

Wenige Tage später folgte der nächste Akt in der Polit-Seifenoper: Auf Antrag von Kostadin Kostadinow, Chef der ultranationalistischen, prorussischen Partei Wiedergeburt, wurden die von Präsident Rumen Radew ernannten Chefs des Inlands-, Auslands- und Militärgeheimdienstes im Parlament befragt. Diese nutzten die Vorlage, um Ex-Premier Petkow und seiner von Winter 2021 bis Sommer 2022 amtierenden Regierung indirekt Landesverrat vorzuwerfen.

Politologin Vessela Tcherneva blickt direkt in die Kamera
Die bulgarische Politologin Vessela TchernevaBild: seesaw-foto.com

Der Leiter des Inlandsgeheimdienstes DANS, Plamen Tontschew, berichtete von einer Untersuchung seiner Behörde gegen eine Beraterin Petkows. Einen Namen nannte er nicht. Doch laut übereinstimmenden bulgarischen Medienberichten handelte es sich um die Politologin Vessela Tschernewa, außenpolitische Beraterin Petkows und Direktorin des European Council on Foreign Relations (ECFR) in Sofia. Gegen sie, so Tontschew, habe DANS ein Vorverfahren wegen Landesverrats eingeleitet, weil sie in Verhandlungen zur Beilegung des Dauerstreits mit dem Nachbarstaat Nordmazedonien "Informationen an einen Bürger Nordmazedoniens weitergegeben" haben soll. Tschernewa sagte dazu im bulgarischen Fernsehen: "Ich wurde nie in irgendeiner Ermittlung befragt, und mit mir hat in dieser Angelegenheit niemand von der DANS gesprochen. Für mich sieht die ganze Sache deshalb politisch motiviert aus."

Warum Geheimdienstreform?

Bulgariens Geheimdienste gelten schon lange als skandalträchtige Institutionen und Unsicherheitsfaktoren innerhalb der EU und der NATO. Zwar kooperierten sie insbesondere bei der Terrorbekämpfung gut mit ihren westlichen Partnern, wie der ehemalige Chef des deutschen Auslandsnachrichtendienstes BND, Gerhard Schindler, der DW sagt. Doch sie sind immer noch belastet vom Erbe des einstigen kommunistischen Staatssicherheitsdienstes DS.

Beispielsweise hatte bis vor wenigen Jahren jeder amtierende Geheimdienstchef seine Karriere noch im Unterdrückungsapparat des kommunistischen Regimes begonnen. Das war nicht nur eine moralische Belastung, sondern schlug sich auch in zahlreichen Abhörskandalen sowie einer "besonderen Beziehung" zu Russland und seinen Geheimdiensten nieder. So etwa beschädigte die Berichterstattung der bulgarischen Geheimdienste zum russischen Angriff auf die Ukraine das Vertrauen der Regierung Petkow in deren Arbeit. Sie hatten erst Russlands Angriff nicht vorhergesagt und anschließend ein schnelles Kriegsende zugunsten Moskaus prognostiziert.

Anschläge auf Waffenfabriken

Der am 6. Juni 2023, nur wenige Tage nach der skandalösen Parlamentsanhörung der Geheimdienstchefs gewählte Premierminister Nikolai Denkow, erklärte deshalb, dass die Geheimdienstreform vor allem den russischen Einfluss zurückdrängen solle. So sollten Vorfälle mutmaßlicher russischer Einflussnahme und Sabotage, etwa die zahlreichen Anschläge gegen bulgarische Waffenfabriken sowie der Giftanschlag auf den Waffenhändler Emilian Gebrew, endlich ernsthaft untersucht werden. Seit über zehn Jahren gibt es hierzu keine konkreten Ermittlungsfortschritte.

Bulgarien Emilian Gebrew, Rüstungsfabrikant
Auf den bulgarischen Waffenhändler und Rüstungsfabrikanten Emilian Gebrew wurde 2015 ein Giftanschlag verübt, für die Tat mutmaßlich verantwortlich ist der russische Militärgeheimdienst GRUBild: Getty Images/AFP/N. Doychinov

Kiril Petkow sieht die Geheimdienstreform auch als Teil seiner Antikorruptions- und Rechtsstaatsreform. Ohne entpolitisierte Geheimdienste sei kein Rechtsstaat möglich, so der Ex-Premier. Doch, so ergänzt ein ehemaliger Regierungsmitarbeiter, der gegenüber der DW auf Anonymität besteht: Die Priorität der Geheimdienstreform habe auch damit zu tun, dass Petkow den politischen Einfluss der Dienste für das Scheitern seiner Regierung 2022 mitverantwortlich mache.

Reform oder Reförmchen?

Wie soll die Geheimdienstreform nun aussehen? Zum einen sollen die Chefs der Geheimdienste in Zukunft nicht mehr wie bisher vom Präsidenten ernannt, sondern von der Parlamentsmehrheit gewählt werden. Für Hristo Iwanow, Co-Vorsitzender von DB, ist dieser Punkt besonders wichtig, um den Einfluss von Präsident Radew auf die Tagespolitik zurückzudrängen und die "Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie" zu ermöglichen, wie er der DW sagt. Radew hat die innenpolitischen Wirren der vergangenen Jahre genutzt, um weit über seine Kompetenzen hinaus in die Innenpolitik einzugreifen. Zudem gilt er als ausgesprochen prorussisch.

Der bulgarische Präsident Rumen Radew
Der bulgarische Staatspräsident Rumen RadewBild: Nikolay Doychinov/AFP/Getty Images

Das zweite Element der Geheimdienstreform, das Iwanow schon seit Jahren fordert, ist eine strenge Loyalitätsüberprüfung für alle Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden. So soll sichergestellt werden, dass sie nicht für ausländische Geheimdienste arbeiten, keine Verbindungen zur organisierten Kriminalität haben oder eigene Geschäftsinteressen verfolgen.

Ob diese beiden Maßnahmen ausreichen, um die politische Einmischung der Geheimdienste zu brechen, ist ungewiss. Erst vor wenigen Tagen griff der Inlandsgeheimdienst DANS mit der Veröffentlichung seines Jahresberichts erneut in das aktuelle politische Geschehen ein. Der Bericht warnte davor, dass der Krieg in der Ukraine auf andere Staaten übergreifen könne. Das brisante daran: Außenpolitische Analysen gehören gar nicht zum Auftrag des Inlandsgeheimdienstes. DANS veröffentlichte sie jedoch just zu dem Zeitpunkt, da sich die neue Regierung anschickte, die Militärhilfe für die Ukraine in die Tat umzusetzen. Sie war von der zuvor von Staatspräsident Radew ins Amt gesetzten Übergangsregierung verzögert worden.

Wieder einmal mischt der Geheimdienst damit im Dauerstreit zwischen dem Präsidenten, der jegliche Militärhilfe für die Ukraine ablehnt, und den prowestlichen Parteien GERB, DB und PP mit. Die Frage nach der Macht der alten und neuen Geheimdienste in Bulgarien wird also noch einige Zeit auf der politischen Agenda stehen.