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Gestiegene Flüchtlingszahlen: Streit um das Asylrecht

23. August 2023

Einige fordern die Aufweichung des Rechts auf Asyl. Doch das ist in der deutschen Verfassung verankert.

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Menschen stehen Schlange am Eingangsbereich des Landesamts für Einwanderung in Berlin
Größte Ausländerbehörde Deutschlands: das Landesamt für Einwanderung in BerlinBild: Vladimir Menck/SULUPRESS/picture alliance

Angesichts steigender Flüchtlingszahlen werden Stimmen lauter, die eine Einschränkung oder gar Abschaffung des Asylrechts in Deutschland fordern. "Deutschland braucht eine Pause von völlig ungesteuerter Asyl-Migration", sagte Jens Spahn, Mitglied des Präsidiums der konservativen CDU, am Wochenende. "Integration von durch Krieg oder Gewalt traumatisierten Menschen braucht Zeit und Ressourcen. Das kann nur gut gelingen, wenn die Zahl zusätzlicher Asylbewerber sehr stark abnimmt."

Viele Kommunen in Deutschland sehen sich mit der Aufnahme und Integration der Geflüchteten überlastet, insbesondere Wohnraum ist knapp. 

Ähnlich wie Spahn argumentiert der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland warb der Sozialdemokrat dafür, das im deutschen Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl abzuschaffen. "Der Versuch, mit einem Individualrecht auf Asyl und der Genfer Flüchtlingskonvention auf das moderne Phänomen von Massenflucht zu reagieren, wird uns nicht zum Erfolg führen", sagte Gabriel.

Die in Teilen rechtsextreme Partei AfD hat diese Forderung bereits seit 2015 zum zentralen Thema ihrer Politik gemacht. Damals waren innerhalb eines Jahres fast eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. 

Recht auf Asyl seit 1949 in der Verfassung verankert

Deutschland ist eines der wenigen Länder weltweit, die das Recht auf Asyl in der Verfassung festgeschrieben haben. In Artikel 16a des Grundgesetzes heißt es: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Angesichts der politischen Verfolgung der Nazi-Zeit verpflichtete sich damit die Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg, Flüchtlingen aus dem Ausland Schutz anzubieten.

1993 wurde das Asylrecht durch eine Verfassungsänderung von CDU/CSU, SPD und FDP eingeschränkt. Seitdem kann nur Asyl beantragen, wer nicht über einen so genannten sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist ist. Eine solche "gemeinsame Lösung wie zu Beginn der 1990er" Jahre schlägt derzeit der erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU, Thorsten Frei, vor. 

Wie gelingt es, in Deutschland Wurzeln zu schlagen?

In großen Teilen der regierenden Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP dürfte es für eine Streichung des Asylrechts aus dem Grundgesetz jedoch keine Mehrheit geben. "Ich bin strikt dagegen, das individuelle Asylrecht abzuschaffen", sagte SPD-Innenministerin Nancy Faeser am Mittwoch (23.8.) dem Magazin "Spiegel". "Dass politisch Verfolgte nach dem Grundgesetz Asyl genießen, ist eine Lehre aus dem Terror des Nationalsozialismus." Es könne "keine Lösung sein, Menschenrechte auszusetzen, um Migration zu begrenzen", betonte die Grünen-Innenpolitikerin Lamya Kaddor gegenüber der Zeitung "Welt". Kritiker werfen Frei und anderen vor, sich mit ihren Vorstößen der AfD anzunähern - die Rechtspopulisten erreichen derzeit in Umfragen etwa 20 Prozent. 

Zahl der Flüchtlinge steigt - nicht nur in Deutschland

Die Flüchtlingszahlen weltweit erreichen laut UN immer neue Höchststände. Grund dafür sind vor allem neu aufflammende Konflikte, etwa im Sudan.

Auch die Zahl der Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, ist zuletzt gestiegen. Von Januar bis Juli dieses Jahres beantragten 175.272 Menschen in Deutschland erstmals Schutz vor Verfolgung. Das sind fast 80 Prozent mehr Erstanträge als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. 

Die Mehrheit der Antragssteller kommt aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Die Zahl der Schutzsuchenden aus der Türkei hat sich in diesem Jahr im Vergleich zu 2022 verdreifacht – unter anderem wegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit. In Syrien herrscht seit 2011 Bürgerkrieg. In Afghanistan verfolgen die Taliban seit ihrer Machtübernahme 2021 Andersdenkende und das Land versinkt in einer humanitären Krise.

Mehr Visa für Familiennachzug

Zudem sind seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 etwa eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Sie müssen keinen Asylantrag stellen, sondern erhalten eine "Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz". Rechtliche Grundlage dafür ist die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie der Europäischen Union. 

Durch den Nachzug von Familienangehörigen von Schutzberechtigten kommen weitere Menschen nach Deutschland. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es auf Anfrage der DW, dass dafür seit Januar knapp 16.000 Visa erteilt wurden: "Seit Ende des vergangenen Jahres verzeichnen wir einen starken Anstieg an Nachfragen zu Visa zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten." Subsidiär Schutzberechtigte sind Personen, die zwar kein Asylrecht geltend machen können, deren Leben oder Gesundheit im Herkunftsland aber bedroht ist.

Ampel im Asyl-Spagat

Die Regierung aus SPD, Grünen und FDP will den humanistischen Kern des deutschen Asylrechts nicht antasten. Sie versucht aber gleichzeitig, die Zahl der hier lebenden Geflüchteten zu verringern. 

Ein Flugzeug im Landeanflug, davor ein Stacheldrahtzaun
Im ersten Halbjahr 2023 wurden 7.861 Menschen aus Deutschland abgeschoben, fast ein Drittel mehr als im VorjahreszeitraumBild: Daniel Kubirski/picture alliance

Die Ampel hat dafür einen Sonderbevollmächtigten ernannt, der Migrationsabkommen mit Herkunftsländern schließen soll. So sollen mehr abgelehnte Asylsuchende abgeschoben werden. Im Januar dieses Jahres ist zudem ein Gesetz in Kraft getreten, dass die Asylverfahren in Deutschland beschleunigen soll. 

In Brüssel drängt die Bundesregierung darauf, das EU-Asylrecht noch vor der Europawahl im nächsten Sommer zu reformieren. Sie setzt sich dafür ein, dass Schutzsuchende bereits an den EU-Außengrenzen abgewiesen werden können, wenn ihre Chance auf Asyl gering ist. Das würde dazu führen, dass weniger Geflüchtete Deutschland erreichen. Gleichzeitig braucht Deutschland dringend qualifizierte Fachkräfte. Ihnen will die Bundesregierung die Einwanderung erleichtern.