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Kongo: MONUSCO plus regionale Truppen gleich Unsicherheit

Martina Schwikowski
15. Juni 2023

Ein Massaker an Vertriebenen im Ostkongo zeigt: Alle Bemühungen um militärische Befriedung laufen ins Leere. Wieder wird das Ende der UN-Friedensmission herbeigeredet. Doch das Scheitern ist nicht nur ihres.

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Soldaten der UN-Friedensmission kontrollieren ein Flüchtlingslager in der Provinz Ituri in Ostkongo
Soldaten der UN-Friedensmission kontrollieren ein Flüchtlingslager in der Provinz Ituri in OstkongoBild: Paul Lorgerie/REUTERS

Erneut ruft ein Massaker den ungelösten Konflikt im Ostkongo vor Augen: Angreifer haben in der Nacht von Sonntag auf Montag das Binnenvertriebenenlager Lala in der Provinz Ituri im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo überfallen und mindestens 46 Menschen getötet, die Hälfte davon Kinder.

Massaker in Flüchtlingslager in Ituri

Lokale Behörden und zivile Organisationen machen die Kämpfer der "Coopérative pour le développement du Congo (Codéco)" für die Morde verantwortlich. "Sie sind in diesen Ort eingedrungen und haben mehrere Menschen massakriert", sagt Richard Dheda, Chef des Bezirks Bahema Badjere im Djugu-Territorium. "Sie wurden mit Macheten und mit Schusswaffen getötet oder sie schnitten ihnen die Kehle durch. Sie haben sogar die Hütten der Vertriebenen angezündet", sagt Dheda im DW-Interview. Erst am Samstag waren bei einem Angriff auf eine Armeestellung in der Region sieben Menschen gestorben.

Männer, teilweise bewaffnet
Die Miliz Codéco wird für zahlreiche Massaker im Ostkongo verantwortlich gemachtBild: ALEXIS HUGUET/AFP

Angst und Verzweiflung gehören zum Alltag der Menschen in der an Uganda grenzenden Ituri-Provinz. Laut Dieudonné Lossadhekana, der dem Verbund zivilgesellschaftlicher Organisationen in Ituri vorsteht, erwartet die Bevölkerung mehr Engagement von den Behörden, um ihre Sicherheit zu gewährleisten.

Zivilgesellschaft fordert Schutz durch kongolesischen Staat

"Unsere Sorge rührt daher, dass der kongolesische Staat, der die Bevölkerung und ihr Eigentum schützen soll, immer noch nicht dazu in der Lage ist", sagt Lossadhekana der DW. "An diesem Ort leben mindestens 8500 Menschen. Wir würden uns wünschen, dass der Staat angesichts dieser Situation seine Macht und seine Fähigkeit unter Beweis stellt."

Die Militärbehörden der Provinz bewerten die Lage anders: "Die Streitkräfte der DRK haben nützliche Vorkehrungen getroffen, um mit allen, die sich dem Frieden widersetzen, fertig zu werden", sagt Jules Ngongo, Sprecher der Armee in Ituri. 

Erst am 1. Juni unterzeichneten verschiedene in der Region aktive Milizen, darunter die Codéco, eine Vereinbarung zur Niederlegung der Waffen. Die jüngsten Angriffe stellen den Erfolg dieses Abkommens infrage.

Experte: Blauhelm-Mission "weitgehend gescheitert"

Im Mai 2021 hatte Präsident Félix Tshisekedi in den Provinzen Nordkivu und Ituri den Notstand ausgerufen. Erklärtes Ziel: Den bewaffneten Gruppen im Osten des Landes das Handwerk zu legen und den Schutz der Zivilbevölkerung zu garantieren. In Nordkivu kämpfen auch Rebellen der Gruppe M23, die nach Ansicht von UN-Experten vom benachbarten Ruanda unterstützt werden, der Nachbarstaat bestreitet dies.

Zwei Jahre später ist die Lage vor Ort nach wie vor dramatisch. Obwohl ein mächtiger Helfer an der Seite der kongolesischen Armee steht: Die MONUSCO ist eine der größten Friedensmissionen der Welt - derzeit sind von den ursprünglich 20.000 Soldaten nach Angaben der MONUSCO noch 12.800 im Einsatz. Seit 1999 kämpfen die Blauhelme in Ostkongo, die Mission kostet rund eine Milliarde US-Dollar pro Jahr. Hat die langjährige UN-Mission versagt?

Soldaten, darüber ein UN-Hubschrauber
Kongos Armee und UN-Blauhelme kämpfen gemeinsam gegen Milizen im OstkongoBild: Alexis Huguet/AFP/Getty Images

"Die MONUSCO ist weitgehend gescheitert, da ihr Einsatz in den letzten zehn Jahren keine nennenswerten Auswirkungen auf die Sicherheit hatte und sie nicht in der Lage ist, in dem Szenario zwischen Krieg und Frieden, das derzeit im Ostkongo herrscht, etwas zu bewirken", sagt Richard Moncrief, Direktor für die afrikanische Große-Seen-Region bei der International Crisis Group.

Moncrief bemängelt im DW-Gespräch die Zurückhaltung der UN-Truppen vor Ort: "Die Länder, die zur Mission beitragen, könnten das Mandat aggressiver auslegen, wenn sie wollten, um bewaffnete Gruppen zurückzudrängen, um die Zivilbevölkerung zu schützen", so der Experte. Ein Grund, warum das nicht passiere, seien die geografischen Herausforderungen.

Präsident Tshisekedi beklagt "Kollaboration mit dem Feind"

Moncrief beschreibt eine verworrene Situation mit zahlreichen bewaffneten Gruppen. Einige von ihnen erhielten Unterstützung durch lokale Behörden. Aber eine Friedensmission könne nicht erfolgreich sein, wenn die bewaffneten Gruppen nicht Teil des Friedensprozesses seien, fügt Moncrief hinzu.

Gerade nach dem Wiedererstarken der M23-Rebellen im November 2021 hatten die Blauhelme der Vereinten Nationen den nachfolgenden Massakern, Plünderungen und Brandstiftungen wenig entgegenzusetzen. Die kongolesische Regierung holte Hilfe in Gestalt von Truppen aus der Ostafrikanischen Gemeinschaft.

Doch ohne Erfolg. Im Mai beschuldigte Kongos Präsident Félix Tshisekedi die ostafrikanischen Streitkräfte, mit "dem Feind", nämlich "den Terroristen der M23", zusammenzuarbeiten - und kündigte an, den Einsatz zu überdenken.

Zu viele Truppen im Ostkongo

Verstärkung kommt auch aus der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) und der Afrikanischen Union - das seien sehr viele militärische Akteure, sagt Remadji Hoinathy, Mitarbeiter des Instituts für Sicherheitsstudien (ISS). "Da gibt es fast schon einen Stau, aber diese Kräfte müssen klären, wie sie miteinander kooperieren können", so Hoinathy zur DW. Es gehe gar nicht darum, ob MONUSCO das Land verlassen soll oder nicht, sagte er mit Blick auf zahlreiche Proteste der Bevölkerung gegen die Blauhelme im vergangenen Jahr.

Demonstranten in einer Straße
"Wir mögen die MONUSCO nicht - wir wollen keinen Krieg": Demonstration gegen die UN-Mission im Juli 2022 in GomaBild: Moses Sawasawa/AP Photo/picture alliance

Für Analyst Moncrief zeigt das Chaos im Kongo noch etwas anderes: "Wenn in dieser Situation im Ostkongo - wie auch in Mali - Tausende gut ausgerüstete Truppen offensichtlich nichts bewirken können, um die Bevölkerung zu schützen, dann kommt bei den Leuten Verdacht auf, dass sie in Geschäfte verwickelt sind." Goldschmuggel, Zugang zu Mineralien seien in der Region an der Tagesordnung und die bewaffneten Gruppen finanzierten sich von dieser Kriegswirtschaft. Ein bedeutender politischer Dialog zwischen den einzelnen Parteien und der Regierung finde hingegen nicht statt.

Schleichendes Aus für die MONUSCO

Wiederholt hatte Kongos Regierung auch ihre Zweifel an der UN-Mission im Kongo geäußert - was mal eine Neuausrichtung, mal eine Verkleinerung der Mission zufolge hatte. Erst vergangene Woche äußerte sich der für die Friedensmissionen der Vereinten Nationen zuständige UN-Untergeneralsekretär Jean-Pierre Lacroix bei einem Besuch im Kongo zur kritischen Bilanz der MONUSCO. Die Blauhelme müssten "so schnell wie möglich" und dennoch verantwortlich abgezogen werden, sagte Lacroix in Kongos Hauptstadt Kinshasa.

Der UN-Diplomat betonte jedoch, dass keine Sicherheitslücke entstehen dürfe. Auch Alex Vines, Afrika-Programmleiter der Londoner Denkfabrik Chatham House, sieht in einem möglichen Abzug der UN-Truppen nicht die Lösung der Sicherheitskrise im Kongo. "Es ist Wahljahr", sagt Vines zur DW. "Deshalb macht die Regierung von Präsident Tshisekedi die MONUSCO-Operation und die UN zum Sündenbock für ihre eigenen Unzulänglichkeiten." Es sei jedoch Realität, dass das kongolesische Militär sehr schlecht ausgerüstet sei - zu schlecht, um die Sicherheitsherausforderungen mit all den bewaffneten Gruppen im Ostkongo zu bewältigen.

"Wir wollen MONUSCO nicht"

Tatsächlich verlasse die MONUSCO den Kongo, analysiert Experte Moncrief von der International Crisis Group: "Es wird ein Rückzugsplan erörtert, der mit der Regierung in Kinshasa abgestimmt ist, aber der Dialog darüber läuft schon seit etwa zehn Jahren." Der Plan sei derzeit wegen der Unsicherheiten angesichts der im Dezember bevorstehenden Wahlen etwas ins Stocken geraten.

Mitarbeit: Wendy Bashi und Marcus Loika