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Carola Lentz: Neugierig auf die Welt

11. November 2020

Demokratie, Meinungsfreiheit, Diversität: Die Ethnologin Carola Lentz ist neue Leiterin des Goethe-Instituts. Im DW-Interview erzählt sie, was sie vorhat.

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Carola Lentz
Die Ethnologin Carola Lentz wird neue Präsidentin des Goethe-InstitutsBild: picture-alliance/dpa/Wissenschaftskolleg zu Berlin/A. Leuchter

Deutsche Welle: Als Ethnologin, Germanistin, Afrikaforscherin und nicht zuletzt Agrarwissenschaftlerin sind Sie viel in der Welt herumgekommen. Was treibt Sie an? Sind Sie einfach ein neugieriger Mensch?

Carola Lentz: Ja, ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Das ist eine ganz wichtige Motivation. Und ich begegne gerne anderen Menschen. Und zwar quer durch alle sozialen Schichten, quer durch alle Länder. Ich lasse mir gerne andere Lebensgeschichten erzählen, verschiedene Perspektiven vermitteln auf die Welt.

Carola Lentz
Carola Lentz ist die neue Chefin des Goethe-Instituts und neugierig auf MenschenBild: Goethe-Institut/Loredana La Rocca

Hat dieser permanente Perspektivwechsel Ihren Blick auf Deutschland und die Welt geschärft?

Ja, denn was mich als Ethnologin wirklich reizt: über die Erfahrungen in anderen Gesellschaften und das Kennenlernen anderer Weltsichten dann auch die eigene Gesellschaft mit fremden Augen zu sehen. Das Goethe-Institut steht genau für die Werte, denen ich mich auch in meiner beruflichen Laufbahn als Ethnologin verpflichtet fühle: Demokratie, Gewaltfreiheit, Toleranz und Offenheit für viele Perspektiven. Im Goethe-Institut münden diese Werte in kulturpolitische Arbeit und Sprach-Arbeit.

Sie übernehmen die Leitung des Goethe-Instituts in schwierigen Zeiten. Der Populismus gedeiht, die Pandemie grassiert. Hätten Sie es sich vielleicht zum Start eine Nummer kleiner gewünscht?

Das gebe ich ehrlich zu, ja. Aber man wächst mit seinen Aufgaben. Das Goethe-Institut hat sich sehr erfolgreich mit digitalen Angeboten platziert. Meine Reisen an verschiedene Standorte des Goethe-Instituts werden wohl vorerst eingeschränkt sein. Vieles ersetze ich durch Video-Konferenzen. Doch bei allem Erfolg digitaler Angebote, was fehlt, das ist die persönliche, physische Begegnung.

Wie betreibt man dann Vermittlungsarbeit in Pandemiezeiten? Wie organisiert man diesen Kulturdialog, wenn der Laden erzwungenermaßen dicht ist?

Im Moment ist immerhin ungefähr die Hälfte der Institute für den Publikumsverkehr geöffnet - mit Einschränkungen, was die Hygienemaßnahmen angeht. Dort, wo kein Publikumsverkehr möglich ist, finden Sprachkurse und Kulturangebote rein digital statt. Sprachprüfungen erfolgen unter strengen Auflagen, sind aber durchaus an sehr vielen Orten derzeit möglich. An voll-digitalen Prüfungsformaten wird intensiv geforscht. Da kann das Goethe-Institut Vorreiter sein. Bei seinem Kulturprogramm ist das Goethe-Institut weitgehend auf digitale Formate umgestiegen, mit großen Teilnehmerzahlen. Nehmen Sie das Latitude-Festival mit Diskussionen und Performances, oder die Plattform "Kulturama", auf der Künstlerinnen und Künstler ihre Angebote im Netz auch gegen Spenden offerieren können. Das Goethe-Institut hat viele Kanäle gefunden, um trotzdem im Austausch zu sein. Aber das kann natürlich nicht die persönliche Begegnung der Menschen ersetzen.

Klaus-Dieter Lehmann
Der scheidende Präsident des Goethe-Instituts: Klaus-Dieter LehmannBild: Goethe-Institut/Loredana La Rocca

Zurzeit erleben wir einen wachsenden Populismus in vielen Ländern, auch eine Rückbesinnung auf nationale Kulturen. Wie kann das Goethe-Institut darauf reagieren?

Indem es viele Perspektiven zu Gehör bringt. Das Goethe-Institut arbeitet mit nichtstaatlichen Partnern in vielen Ländern zusammen. In allen Gesellschaften gibt es Vielstimmigkeit. In Ländern mit autoritären Regimen bieten unsere Institute freie und geschützte Diskussions- und Informationsräume.

Eine Debatte, aus der sich das Goethe-Institut nicht heraushalten kann, ist die um die Rückgabe von Kulturgut aus ehemaligen Kolonien. Läuft die Debatte in die richtige Richtung?

Ja, das tut sie. Das Goethe-Institut hat ja selbst keine Objekte. Wir sind kein Museum, wir haben keine Sammlung. Insofern ist es unsere Aufgabe, einen Raum zu bieten für die Gespräche zwischen Akteuren aus Herkunftsgesellschaften und Museen in Deutschland und Europa - wie etwa bei unseren Museumsgesprächen in Afrika.

Es gibt - in Unrechtskontexten erworbene - Objekte oder sagen wir populär "gestohlene Objekte", da sind Rückgabeforderungen politisch und moralisch berechtigt und müssen erfüllt werden. Daneben haben wir die viel breitere Zone, wo keine Rückgabeforderungen erhoben werden und andere Formen der Zusammenarbeit und des Austausches angestrebt werden. In jedem Fall hat man es mit den verschiedensten Akteuren in den Herkunftsgesellschaften, aber auch in den Ländern zu tun, in die die Objekte transferiert wurden. Das kann sehr, sehr komplex sein. Die Fragen sollten jeweils so bearbeitet werden, dass daraus Verbindungen entstehen. Mit der Rückgabe eines Objektes sollte der Kontakt nicht enden, sondern ein neues Kapitel dieses Kontaktes aufgeschlagen werden.

Das heißt, Sie sehen eher Chancen in der Restitutionsdebatte?

Absolut. Ich sehe da große Chancen, neue Beziehungen zu stiften. Außerdem wird mit den Debatten und neuen Verbindungen unsere eigene Museumslandschaft belebt.

Carola Lentz
Carola Lentz will auf Verschiebungen in der Kulturpolitik reagierenBild: Goethe-Institut/Loredana La Rocca

Sollte Deutschland sich stärker mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinandersetzen, etwa mit Hilfe des neuen Humboldt-Forums in Berlin?

Das wird sicherlich geschehen und ist auch gut so. Allerdings sollten solche Debatten nicht auf die Hauptstadt Berlin und dann vielleicht noch München, Frankfurt oder Köln beschränkt bleiben. Denn was ist mit den vielen kleinen Museen und anderen Kulturinstitutionen in der Fläche?

Das neue Humboldt-Forum sollte aber kein Museum zur Kolonialgeschichte werden. Wir müssen vielmehr Erinnerungspolitik verbinden mit Visionen für eine gerechtere Zukunft. Das Goethe-Institut wird eng mit dem Humboldt-Forum zusammenarbeiten, etwa bei Residenzprogrammen, Stipendien und anderen Formaten des Austausches. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.

Wo werden Sie das Goethe-Schiff auf Kurs halten und wo wollen Sie umsteuern?

Ich sehe mich nicht als Kapitänin eines Tankers, der mit einem einzigen Kurs durch die Weltmeere pflügt. Das Goethe-Institut arbeitet dezentralisiert; diese Erbschaft meines Vorgängers Klaus-Dieter Lehmann übernehme ich sehr gerne. Es gleicht, um im Bild zu bleiben, eher einer Flotte, die auf verschiedenen Meeren unterwegs ist. Da gibt es keine Kommandozentrale, von der alles gesteuert wird. Ich verstehe mich auch als Teammitglied, das zuhört, hinschaut, fragt und Gespräche führt, aber natürlich auch einen gemeinsamen Kurs vorschlägt.

Das Verhältnis von Innen und Außen in der Kulturpolitik hat sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren verändert. Deutschland ist heute intensiv verflochten mit der Welt, und die Welt ist in der hiesigen Gesellschaft durchaus präsent. Das Goethe-Institut sollte aber die Schätze von Erfahrungen, Netzwerken, Freundschaften und Einsichten aus seiner weltweiten Arbeit noch stärker auch in Deutschland sichtbar machen. Die Goethe-Medaille oder das Kultursymposium Weimar sind Formate, die hier schon viel leisten. Aber das Goethe-Institut könnte noch mehr tun, um diese Multiperspektivität zu stärken.

Freuen Sie sich also auf Ihre Aufgabe als Präsidentin des Goethe-Instituts?

Darauf freue ich mich sehr, sonst hätte ich mir den Ruhestand gegönnt - und vielleicht noch zwei weitere Bücher geschrieben.

Die Ethnologin Carola Lentz, Jahrgang 1954, ist Professorin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und übernimmt als Nachfolgerin von Klaus-Dieter Lehmann die Leitung des Goethe-Instituts. Mit Carola Lentz sprach Stefan Dege.