1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Haushaltskrise in Deutschland: Bundesregierung unter Druck

21. November 2023

Deutschlands Bundesregierung steht vor einer Haushaltskrise: Eine Ausgabensperre und das Verbot der Klimafondsnutzung durch das Bundesverfassungsgericht stellen die Ampel-Koalition vor große Herausforderungen.

https://p.dw.com/p/4Z1dj
Während einer Bundestagssitzung haben Robert Habeck, Bundeswirtschafts- und Klimaminister (Gruene) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Regierungsbank Platz genommen und blicken angespannt in den Saal.
Trübe Stimmung: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, rechts) und Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Bundestag. Bild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Die Mitteilung klingt nüchtern und sachlich, birgt aber hohe politische Sprengkraft: Am Montagabend (21.11.2023) griff das Bundesfinanzministerium, geleitet von FDP-Chef Christian Lindner, zu drastischen Maßnahmen: An sofort gilt für 2023 eine Ausgabensperre für nahezu den gesamten Haushalt, so Staatsekretär Werner Glatzer in einem Rundschreiben: "Für den Bundeshaushalt gilt die Notwendigkeit der Überprüfung der haushaltswirtschaftlichen Gesamtlage."

Solche Sätze formuliert man, wenn wirklich Geld in der Kasse fehlt. Die Regierung macht damit klar: Sie schätzt die Folgen eines dramatischen Urteils der obersten deutschen Richter als viel schlimmer ein, als zunächst gedacht.

Vor einer Woche hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP diese Botschaft überbracht: Die Regierung kann 60 Milliarden Euro aus dem Fonds für den Klimaschutz nicht wie geplant einsetzen. Nicht für Heizungssanierungen, nicht für den Ausbau der Bahn, nicht für ein Abfedern der hohen Stromkosten. Mit anderen Worten: für so gut wie keines der ehrgeizigen Vorhaben, die Deutschland den Weg in eine klimafreundliche Zukunft bereiten sollen.

Regierung steht vor einem Scherbenhaufen

Der Hintergrund: Das Geld stammt eigentlich aus einem Fonds, der während der Corona-Pandemie aufgelegt, dann aber doch nicht benötigt wurde. Gleich zu Beginn ihrer Regierungszeit im Winter 2021/22 verschob das Ampel-Bündnis deshalb die 60 Milliarden Euro in den Klima-Transformations-Fonds, kurz KTF, um ihre ehrgeizigen Vorhaben bezahlen zu können. Eigentlich handelt es sich dabei auch nicht um richtiges Geld, sondern um Kreditermächtigungen. Zurzeit hat der Fonds eine Größe von fast 100 Milliarden Euro, die 60 Milliarden aus der Corona-Zeit sind darin schon enthalten. Und dürfen nun nicht eingesetzt werden. Denn die obersten Richter des Landes urteilten, anders als in der Corona-Zeit liege jetzt keine absolute Notlage vor, die eine solche Kreditaufnahme rechtfertigt. 

Ein Schild vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit dem Bundesadler auf gelbem Grund.
Paukenschlag: Das oberste Gericht Deutschlands, das Bundesverfassungsgericht, bremst die Regierung aus .Bild: Uli Deck/dpa/picture alliance

Feld: Der Politik reicht das Geld nie

Die meisten Experten fanden das Urteil richtig. So auch der ehemalige Vorsitzende des Sachverständigenrates der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Lars Feld. Er ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg. Er sagte dem Nachrichtenportal "Pioneer": "Der Punkt ist doch der: Für all die Wünsche, die in der Politik existieren, reichen die Mittel nie. Und wenn man keine Fiskalregeln hat, dann bedeutet das, dass wir im Sinne der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen die zukünftigen Generationen belasten." Und nun? Was kann die Regierung machen? Und vor allem: Überlebt das Bündnis diese Krise? Das ist alles andere als gewiss. Denn durch das Karlsruher Urteil spitzen sich die Gegensätze zwischen den Koalitionspartner noch einmal zu.

Tausende Menschen ziehen im September durch Berlins Straßen und fordern einen stärkeren Klimaschutz.
Woher sollen jetzt die Milliarden für den Klimaschutz kommen? Demonstration für den Kampf gegen die Treibhausgase im September in Berlin. Bild: Markus Schreiber/ASSOCIATED PRESS/picture alliance

Ein SPD-Vorschlag: Notlage erklären

Am Dienstag (21.11.) meldete sich der einflussreiche Fraktionschef der Sozialdemokraten, Rolf Mützenich, zu Wort: "Einige Dinge, die derzeit auf der Welt passieren, führen zu außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen", sagte Mützenich in Berlin. Er rief alle drei Regierungspartner dazu auf, im Bundestag"mit der Kanzlermehrheit" rasch die Notlage für dieses  Jahr festzustellen - heißt: mit den Stimmen aller Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP. Eigentlich will das Parlament den Haushalt für das kommende Jahr 2024 in dieser Woche absegnen, ob es dazu kommt, ist aber offen.

Streit um die Schuldenbremse

Was tun? Immer mehr sickert in der Koalition die Erkenntnis durch, dass die fehlenden 60 Milliarden Euro nicht einfach durch Streichungen in allen Ressorts kompensierbar sind. Zum Vergleich: Bislang plant die Regierung mit Ausgaben von rund 476 Milliarden Euro in diesem Jahr. Möglich wären jetzt, wenn man wichtige Investitionen etwa im Klimaschutz nicht streichen will, Steuererhöhungen oder ein Aussetzen der Schuldenbremse. Diese seit 2009 geltende, komplizierte Regel sieht vor, dass "strukturelle", also von der Konjunktur unabhängige, staatliche Neuverschuldungen für die Länder verboten und für den Bund auf maximal 0,35 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts beschränkt bleiben müssen. Ausnahmen für Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen sind aber möglich. Wie bei Corona. Für die FDP, das hat Lindner stets klar gemacht, ist es ein Tabu, an der Schuldenbremse zu rütteln. Die Bremse hat außerdem Verfassungsrang und kann nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit aufgehoben werden. Das scheint unmöglich, da auch CDU und CSU strikt an der Regel festhalten wollen.

 Christian Lindner, Bundesfinanzminister, spricht vor dem Deutschen Bundestag.
Für FDP-Chef Christian Lindner muss die Schuldenbremse auf jeden Fall bleiben.Bild: Political-Moments/IMAGO

Aber: Mit dem Verweis auf die Notlage, wie von Mützenich angeregt, könnte die Schuldenbremse aktuell ausgesetzt werden. Gelingt das nicht, blieben nur Steuererhöhungen, für die es ebenfalls kaum eine Mehrheit im Bundestag geben dürfte. Oder eben doch das brutale Streichen vieler Ausgaben. 

Die Grünen an der Belastungsgrenze

Das Finanzloch trifft vor allem die Grünen hart, für die Investitionen in eine klimafreundliche Zukunft existenziell sind. Die Partei hat in der Koalition schon viele Kröten schlucken müssen, die Verschärfung des Asylrechts etwa. Wenn jetzt ihr Kernanliegen, der Klimaschutz, keine finanzielle Grundlage mehr hat, droht die Gefahr, dass die Partei keinen Sinn in der Regierungsbeteiligung mehr sieht.

Von Donnerstag (23.11.) an werden die führenden Grünen um Vizekanzler Robert Habeck den Unmut der Basis beim Parteitag in Karlsruhe sicher zu spüren bekommen. Auch einflussreiche Umweltgruppen machen Druck, Greenpeace etwa sprach von einem herben Rückschlag für den Klimaschutz. 

Eine Regierung ohne gemeinsamen Kurs

Immer deutlicher wird: Die Regierung marschiert nicht in eine Richtung. Die SPD will größere Belastungen gerade für mittlere und kleine Verdiener vermeiden, es gibt schon Härten genug, findet sie. Die FDP hält eisern am Sparen fest und findet die grünen Investitionspläne überzogen. Und die Grünen selbst sehen im teuren Staatsumbau Richtung Klimaverträglichkeit den eigentlichen Sinn ihrer Regierungsbeteiligung. Und sind bereit, dafür neue Schulden in Kauf zu nehmen. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte  im Bundestag: "Ich bin überzeugt davon, dass es der Regierungskoalition gelingen wird, die richtigen Vorschläge zu machen."

Aber das Ansehen der Regierung ist in den Umfragen auf einem Tiefstand. Neuwahlen oder ein Platzen der Regierung würde also allen drei Partnern schaden. Im Moment suchen SPD, Grüne und FDP verzweifelt nach einem Ausweg. Nur ist der nicht in Sicht. 

 

Dies ist ein aktualisierter Artikel vom 17.11.2023