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PolitikIndonesien

Indonesien: Wie intolerant ist die Provinz Aceh?

Arti Ekawati
25. Februar 2024

Eine Studie bescheinigt der Provinz Aceh, die intoleranteste Region Indonesiens zu sein. Die Einheimischen sehen das allerdings anders.

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Fastenbrechen in einer Moschee in Aceh. Über 98 Prozent der rund 5,4 Millionen Einwohner der Region sind muslimischen Glaubens
Über 98 Prozent der rund 5,4 Millionen Einwohner von Aceh sind muslimischen GlaubensBild: Irwansyah Putra/Antara Foto/REUTERS

Der Jahresbericht des SETARA-Instituts ist eindeutig: Keine Region Indonesiens habe eine derart intolerante Kultur wie die Provinz Aceh an der Nordwestspitze der Insel Sumatra. Unter den insgesamt 94 von dem Institut untersuchten Städten nehmen die von Aceh im Hinblick auf religiöse Toleranz die untersten Ränge ein. 

Das mit "Tolerant City Index 2023" überschriebene Ranking misst den Grad von Toleranz und Intoleranz anhand lokaler Gesetze, sozialer Vorschriften, Regierungsmaßnahmen und sozioreligiöser Gegebenheiten. Der erstmals 2006 veröffentlichte Index prüft zudem mögliche Verstöße gegen die Religionsfreiheit. Auch untersucht er, ob die lokalen Behörden angemessene Anstrengungen unternehmen, um religiöse Harmonie und Vielfalt sowie soziale Integration zu wahren.

Das Ergebnis des aktuellen Reports ist für Aceh niederschmetternd: Drei Städte der Provinz - Lhokseumawe, Sabang und die Provinzhauptstadt Banda Aceh - zählen ihm zufolge zu den intolerantesten Orten in dem südostasiatischen Land. Halili Hasan, geschäftsführender Direktor von SETARA, machte das mangelnde Engagement der Regierung für die Förderung von Toleranz als einen der Hauptgründe dafür aus.

"Solche Bedingungen haben zur Diskriminierung religiöser, ethnischer und sexueller Minderheiten geführt. Eine solche Politik erzeugt Intoleranz. Das ist ein tief verwurzeltes Problem", so Hasan gegenüber der DW.  Das SETARA-Institut setzt Aceh nicht zum ersten Mal auf einen der hinteren Plätze. 

Kopfbedeckung obligatorisch: eine Fischerin in Aceh
Kopftuch ist obligatorisch: eine Fischerin in Aceh Bild: Fachrul Reza/NurPhoto/picture alliance

Die Rolle der Scharia

Die Provinz mit ihren rund 5,4 Millionen Einwohnern ist streng konservativ. Zudem ist sie die einzige Region des Landes, in der die islamische Rechtsgrundlage, die Scharia, gilt. Mit deren Einführung 2006 hatte die Zentralregierung in Jakarta versucht, dem Unabhängigkeitsstreben der Region die Luft aus den Segeln zu nehmen. Auch mögliche Aufstände wollte sie auf diese Weise verhindern. Seitdem hat sich in der Provinz allerdings ein äußerst konservatives Regime durchgesetzt.

So sind nach dem islamischen Strafgesetzbuch von Aceh außerehelicher Geschlechtsverkehr und gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen verboten. Verstöße können zu Gefängnisstrafen, Geldstrafen und öffentlichen Auspeitschungen führen. Das Gesetz verbietet zudem Glücksspiel und Alkoholkonsum. Für Frauen schreibt es das Kopftuch vor. 

Im vergangenen Jahr hatte die Provinzregierung die Vorschriften zur Trennung der Geschlechter verschärft und es nicht miteinander verwandten Männern und Frauen sogar verboten, sich gemeinsam an öffentlichen Orten aufzuhalten oder zusammen in Fahrzeugen zu sitzen. Eine getrennt von den regulären Polizeikräften arbeitende so genannte Scharia-Polizei soll dafür sorgen, dass diese Vorschriften eingehalten werden.

Zudem begünstigen die staatlichen und gesellschaftlichen Vorschriften dem SETARA-Bericht zufolge Muslime, während sie religiöse Minderheiten diskriminieren. Der Report verweist ferner auf zunehmend strenge Vorschriften für religiöse Kleidung in Schulen und Behörden. Auch verzeichnet er steigenden Druck auf die Bevölkerung, religiösen Riten zu folgen. Zudem würden wirtschaftliche Aktivitäten während des muslimische Fastenmonats Ramadan zunehmend behindert. "Derartige Schritte sind nicht gerade förderlich für die Bildung einer toleranten Kultur", heißt es in dem Bericht.

Ein Beamter der Religionspolizei in Banda Aceh
Sorgt für Einhaltung der Scharia-Gesetzgebung: die Religionspolizei. Hier einer ihrer Beamten in Banda AcehBild: Heri Juanda/AP/picture alliance

Die Sicht der Einheimischen

Sabang, eine Stadt auf der Insel Weh im äußersten Westen des Landes, ist von Acehs Hauptstadt Banda Aceh in etwa 30 Minuten mit der Fähre zu erreichen. Die Wirtschaft der Region stützt sich auf Landwirtschaft und Fischerei. Zudem zieht sie Touristen aus vielen Ländern an, so etwa aus Malaysia, Australien, aber auch aus Deutschland. Sie kommen in die Region, um Fauna und Flora kennenzulernen, Wassersport zu treiben und die heimische Küche zu genießen.

Ichsan, der wie viele Indonesier nur einen Namen trägt, arbeitet für ein örtliches Reiseunternehmen. Langsam erhole sich der Tourismussektor in Sabang von der COVID-19-Pandemie, sagt er im DW-Gespräch. Die Aussage, Sabang gehöre zu den intolerantesten Orten in Indonesien, weist er zurück. "Grundsätzlich schränken wir Besucher, die hierher kommen und die Natur genießen wollen, nicht ein. Allerdings gibt es hier lokale Normen, wie es sie auch auf Lombok oder Bali gibt", sagt er unter Bezug auf andere indonesische Inseln.

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Ähnlich sieht es Sofyan Adam, ein Gemeindevorsteher in der Stadt. "Unsere Gesellschaft war schon vor der holländischen Kolonisation sehr heterogen. Wir sind hier sehr tolerant. Das beweist das Vorhandensein von Gebetsstätten für alle Religionen", sagt er.  Außerdem gebe es unterschiedliche Bräuche und Kulturen. "Darum ist es seltsam, zu sagen, wir seien intolerant." Zudem gelte die Scharia nur für die in Aceh lebenden Muslime, nicht aber für Anhänger anderer Religionen, so Adam.

Pastor Gerard, der eine der wenigen christlichen Kirchen in Sabang leitet, ist ähnlicher Ansicht. Als er nach Aceh versetzt worden sei, habe er sich zunächst Sorgen gemacht, sagt er im DW-Gespräch. "Doch seitdem ich hier bin und die Menschen und die Gegend direkt kenne, muss ich sagen, dass die Menschen in Sabang sehr tolerant sind." Es habe Zeiten gegeben, da hätten sich Muslime und Christen gegenseitig zum Feiern von Ostern und Ramadan eingeladen.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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