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Islamkonferenz - frustrierte Muslime, Kampf gegen Judenhass

22. November 2023

Die Bundesregierung pocht auf klare Worte von muslimischen Repräsentanten in Deutschland gegen Judenhass. Reicht das in TikTok-Zeiten?

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Innenministerin Nancy Faeser spricht vor der Islamkonferenz. Beobachtet wird sie auch von vielen Kameras.
Bundesinnenminister Nancy Faeser sprach zum Auftakt der IslamkonferenzBild: Christian Ditsch/epd-bild/picture alliance

Da wurde die deutsche Innenministerin sehr grundsätzlich. Islamische Gemeinschaften und Verbände in Deutschland müssten sich "laut und deutlich gegen Antisemitismus aussprechen", forderte Nancy Faeser vor der Deutschen Islam-Konferenz (DIK). Dazu zähle auch, "die furchtbaren Terrorattacken der Hamas gegen Israel" zu verurteilen.

Gut 25 Minuten sprach Faeser zum Auftakt des Treffens. Und wie kaum einer ihrer Vorgänger im Ministeramt seit Gründung der Islam-Konferenz im Jahr 2006 stellte sie Erwartungen, Forderungen an die muslimische Seite in den Raum.

"In Deutschland auch ein Problem mit Muslimfeindlichkeit"

Längst war mehr als eine Viertelstunde der Rede vergangen, bis die Ministerin sagte: "Wir haben in Deutschland auch ein Problem mit Muslimfeindlichkeit." Antisemitismusvorwürfe, mahnte sie, dürften nicht für Muslimfeindlichkeit instrumentalisiert werden. Die gesamten zwei Tage standen unter dem Thema "Sozialer Frieden und demokratischer Zusammenhalt: Bekämpfung von Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung".

Bei einer Pro-Palästina-Demonstration zeigt eine Teilnehmerin das Plakat "From the River to the Sea Palestine will be free!"
Bei einer Demonstration gegen Israel in München - Plakat "From the River to the Sea Palestine will be free!" wird von Experten als antisemitisch bewertetBild: Sachelle Babbar/Zuma/picture alliance

Die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland und Europa hat sich gewandelt seit dem 7. Oktober und dem schlimmsten Terror gegen Juden seit dem Holocaust. Juden in Deutschland berichten von Beschimpfungen und Angst, es gibt Übergriffe auf Synagogen oder Gemeindehäuser, bei Demonstrationen gibt es antisemitische Parolen. Und die deutsche Politik, die das "Nie wieder!" wie ein Mantra beschwört, versucht gegenzuhalten. Sie kommt vom Antisemitismus der Straße auf Zuwanderung und die deutsche Migrationspolitik. Nicht immer bleiben die Trennlinien dabei scharf. Aber klar ist: Die Politik nimmt "den Islam" in Deutschland stärker in die Pflicht, gegen Judenhass vorzugehen. 

Das prägt auch die Konferenz. Etablierte Player als Gegenüber zu staatlichen Stellen wurden von Faesers Haus nicht zur DIK eingeladen. Weder der Zentralrat der Muslime, bei dem ihr Ressort wohl eine striktere Distanzierung zu schiitischen Radikalen vermisst, noch der Moscheeverband Ditib. Der Ditib steht treu zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der die Hamas als "Befreiungsorganisation" und Israel als "Terrorstaat" bezeichnet hat, und ist von der in diesen Tagen antisemitisch eingefärbten türkischen Religionsbehörde Diyanet abhängig.

Blick über die Teilnehmer im Konferenzsaal
Die Teilnehmer der Deutschen Islam-Konferenz wurden vom Bundesinnenministerium ausgewähltBild: Christian Ditsch/epd-bild/picture alliance

Faeser erwähnte in ihrer Rede nicht den Zentralrat und dessen Nicht-Beteiligung. Auf die Ditib kam sie hingegen zwei Mal ausgesprochen kritisch zu sprechen, einmal nannte sie den Verband auch ausdrücklich, aus dem es "bestürzende" Äußerungen gebe. Aber zugleich erwähnte sie, dass ihr Ministerium mit Diyanet und Ditib eine Vereinbarung zur Ausbildung von Imamen in Deutschland "auf den Weg gebracht" habe. Man braucht einander - bei aller Kritik.

Kritik an Innenministerin Nancy Faeser

Am zweiten Tag der Konferenz, als die politischen Redner längst weg und die Reihen der Teilnehmenden nicht mehr voll besetzt waren, brodelte es hinter verschlossenen Türen. In den Workshops, an denen Medienvertreter nicht teilnehmen durften, wurde nach DW-Informationen Kritik an Faesers Rede laut. Teilnehmer berichteten, sie hätten sich "wie Schulkinder" gefühlt, sie hätten Verständnis für ihre langjährige Arbeit vermisst. Die Rede Faesers sei als "lehrmeisterhaft" empfunden worden. Und vor jeder Möglichkeit zu einer kritischen Anmerkung, das heißt, vor der ersten Frage aus dem Saal, sei die Ministerin bald nach ihrer Rede schon weitergezogen. 

Burhan Kesici spricht vor dem Bundesinnenministerium in ein Mikrofon
Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland Bild: Abdulhamid Hosbas/Anadolu Agency/picture alliance

Einer, der seine Kritik auch offen formulierte, war Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland. Er fand, sagte Kesici der DW, "die Idee gut, dass man Antisemitismus mit dem Thema Muslimfeindlichkeit behandelt. Aber wir haben gesehen, dass Antisemitismus mehr Raum eingenommen hat." Dabei beklagten viele Stimmen seit langem antimuslimischen Rassismus. "Es wäre besser gewesen, wenn man das zumindest gleich gewichtet hätte", sagte Kesici.

Er erläutert seine Kritik. Im Land seien - jenseits von Berlin-Neukölln und anderen stark muslimisch geprägten Bezirken - Muslime verunsichert. Er sei kürzlich in Hannover gewesen. "Da stellen sich sehr gut ausgebildete Leute, allesamt studiert, die Frage, ob sie noch länger in Deutschland bleiben oder ob sie auswandern sollen." Weil sie in Sorge, weil sie verängstigt seien durch Bedrohungen oder Übergriffe auf Moscheen. "Und das waren Menschen, die in der dritten oder vierten Generation in Deutschland sind."

Broschüren zur Information bei der Deutschen Islamkonferenz
Broschüren zu Themen der Islam-KonferenzBild: Christian Ditsch/epd-bild/picture alliance

Wie ein Symbol dafür, dass angesichts der aktuellen Entwicklungen sich das Thema verändert hat, wirkte der Informationstisch vor dem Konferenzsaal. Da lag, knapp 400 Seiten stark, der Ende Juni 2023 von der Bundesregierung vorgelegte Bericht "Muslimfeindlichkeit - eine deutsche Bilanz". Seitdem steuerten Betroffene und Experten auf diese Plenumssitzung der Islamkonferenz zu. Bis der Terror der Hamas kam. Der Krieg in Nahost. Proteste und Antisemitismus auf deutschen Straßen. 

Vielleicht war die Papierform des Berichts, lange erarbeitet und wissenschaftlich unterfüttert, auch Beleg dafür, dass es heute eigentlich auch um andere, weit grundsätzlichere Fragen geht. An ihrem zweiten Tag bekam die Islamkonferenz noch einmal eine eigene Dynamik. Da saß Omar Kuntich mit auf dem Podium, Vorsitzender des "Bündnis Malikitischer Gemeinden Deutschland", dem rund 120 Moscheegemeinden in Deutschland angehören, die einen traditionellen Islam pflegen. 

Hass und Wut im Netz

"Hier kommt was auf uns zu", sagte er mit Blick auf Kontroversen in manchen Gemeinden. Aber Kuntich hielt sich nicht lange auf beim Urteil über Imame. "Die jetzige Generation, sie hat eine virtuelle Gemeinde." Bei der Bilder sofort wirkten, Hass und Wut erzeugten. "Ein Prediger in der Moschee erreicht 300, vielleicht 400 Gläubige. Ein Prediger im Netz erreicht Zehntausende", so der Verbandschef. Da gibt es keine Gegennarrative. Das gefährdet den sozialen Frieden in Deutschland." Die Islam-Konferenz kommt in TikTok-Zeiten an.

Andere Referentinnen und Referenten, Akteure in der Bildungsarbeit, griffen das auf. In den sozialen Medien starteten die Probleme gerade, sagte Deborah Schnabel, Direktorin der Bildungsstätte Anne Frank. "Uns fehlen die Antworten", warnte sie. "Es wird zu wenig in diesen Bereich investiert. Diese Dynamik ist rasant. Wir müssen jetzt schnell eine Offensive starten."

Und der Extremismus-Experte Ahmed Mansour verschärfte diese Mahnung und nannte ausdrücklich die Bundeszentrale für politische Bildung: "Wenn wir jetzt nicht eine Offensive in den Sozialen Medien starten, wenn wir da nicht Gesicht zeigen, dann werden die Radikalen gewinnen. Wir müssen handeln, ansonsten verlieren wir", sagte er und betonte, die Herausforderung gelte für ganz Europa. Mansour nannte auch konkrete Schritte: Medienkompetenz als Pflichtfach in jeder Schule, digitale Jugendarbeit. "Es braucht Gegen-Narrative. Und Leute, die bei fake news dagegenhalten."

Ob Antisemitismus oder Muslimfeindlichkeit - diese Mahnung gilt allen Herausforderungen. Faeser will jedenfalls mit der DIK im kommenden Jahr "Antisemitismus unter Muslimen noch stärker thematisieren".