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PolitikNahost

Israel, die Hamas und die Schwäche des Westens

9. Oktober 2023

Aus Berlin, Washington und Brüssel kommen Solidaritätsbekundungen mit Israel. Doch geopolitisch ist der jüngste Ausbruch des Nahostkonflikts für den Westen einer zu viel.

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Zwei Männer in Anzügen sitzen auf Sesseln und reichen einander die Hand, im Hintergrund israelische und amerikanische Fahnen
Israels Premier Benjamin Netanjahu (l.) und US-Präsident Joe Biden im September: normalerweise keine politischen Freunde, aber in der Krise stellt sich Biden voll hinter den israelischen RegierungschefBild: Jim Watson/AFP/Getty Images

"Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson." Das hat Bundeskanzler Olaf Scholz nach den Angriffen der militant-islamistischen Hamas auf Israel gesagt. Ähnlich haben sich Außenministerin Annalena Baerbock, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die Parteichefs von SPD, Grünen, FDP, CDU und CSU geäußert.

Während sich die wichtigsten politischen Akteure in Deutschland eindeutig zu Israel bekennen, gehen von einzelnen propalästinensischen Kundgebungen in Deutschland auch ganz andere Signale aus. "Wir akzeptieren es nicht, wenn hier auf unseren Straßen die abscheulichen Attacken gegen Israel gefeiert werden", so Scholz entrüstet. Wie er sie unterbinden will, sagte er nicht.

Zwei Männer in Anzügen stehen an Rednerpults, einer spricht, der andere schaut zu ihm und hört zu
Palästinenserpräsident Machmud Abbas (l.) warf Israel im August 2022 im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz viele "Holocausts" vor, Scholz schwieg zunächstBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Scholz persönlich ist bei dem Thema in einer schwierigen Position.  Palästinenserpräsident Machmud Abbas hat im vergangenen Jahr bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihm Israel vielfachen "Holocaust" an Palästinensern vorgeworfen, während der Bundeskanzler betreten daneben stand und schwieg. Erst später distanzierte sich Scholz von Abbas' Holocaust-Relativierung als "unerträglich und inakzeptabel".  

Finanzierung von Terroristen?

Doch welche Konsequenzen will die Bundesregierung jetzt nach den großangelegten Terrorangriffen der Hamas auf Israel ziehen? Die Blicke richten sich vor allem auf die erhebliche deutsche Unterstützung der Palästinenser, nach offiziellen Angaben derzeit 250 Millionen Euro. Entwicklungsministerin Svenja Schulze will das "gesamte Engagement für die Palästinensischen Gebiete auf den Prüfstand stellen". Es gibt ihr zufolge keine direkte Finanzierung der Palästinensischen Autonomiebehörde, schon gar nicht eine Finanzierung der Hamas, die in Deutschland und der EU als Terrororganisation verboten ist und von der die Angriffe auf Israel ausgehen.

Ausgebrannte Autos und ein Feuer vor einem Hochhaus
Ausgebrannte Fahrzeuge im israelischen Aschkelon nach einem Raketenangriff aus dem GazastreifenBild: Ahmad GHARABLI/AFP

Doch eine Prüfung, an wen genau die Gelder fließen, ist nicht immer einfach. Als Konsequenz fordert etwa Alexander Dobrindt von der konservativen CSU, die Zahlungen an die palästinensische Seite ganz einzustellen. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft verlangt, die Zahlungen an klare Bedingungen zu knüpfen. "Mit deutschem Steuergeld darf Terrorismus und Antisemitismus nicht finanziert werden", hieß es in einer Erklärung ihres Präsidenten Volker Beck.

Im selben Dilemma stecken auch andere EU-Staaten und die EU insgesamt: Es sollen zivile Projekte in den Palästinensergebieten finanziert werden, die den Menschen zugutekommen, aber die Stimmen, die fragen, ob das immer geschieht, werden lauter. Ohne die umfangreiche Unterstützung der Europäischen Union wäre die Palästinensische Autonomiebehörde wohl kaum lebensfähig.

Die USA schicken Kriegsschiffe

Die EU mag der große Geldgeber sein - macht- und ordnungspolitisch spielt sie im Nahen Osten aber nur eine untergeordnete Rolle. Ganz im Gegensatz zu den USA. Washington hat bereits angekündigt, Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge in die Region zu schicken.

Dabei steht US-Präsident Joe Biden dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu eigentlich sehr distanziert gegenüber. Biden hat Netanjahu wegen dessen umstrittener Verfassungsreform und wegen des Umgangs mit den Palästinensern scharf kritisiert. Doch ein direkter Angriff auf Israelis ist für Biden allemal Grund, sich uneingeschränkt hinter Netanjahu zu stellen, auch militärisch.

Feuerball und Rauch inmitten von Hochhäusern
Israelischer Vergeltungsangriff auf Gaza: Der Westen hat Sorge vor einer EskalationBild: Ahmed Zakout/AFP/Getty Images

Der Konflikt gefährdet auch die langfristigen Bemühungen der USA um eine Stabilisierung der Region. Dazu gehört auch eine weitere Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien. Die erste saudische Reaktion war tatsächlich zurückhaltend. Auch Ägypten ist offenbar bemüht, den Konflikt nicht ausufern zu lassen. Bidens Hoffnung auf eine Art Neuauflage eines Atomabkommens mit dem Iran, das die Hamas unterstützt, dürfte dagegen für erste begraben sein.

Die Aufmerksamkeit geht weg von der Ukraine

Den westlichen Ländern gemeinsam ist bei allem Verständnis für Israels militärische Reaktion das Interesse an einer Eindämmung des Konflikts. Bundeskanzler Scholz warnte vor einem "Flächenbrand" in der Region und sprach sich für Bemühungen um Vermittlung zwischen Israel und den Palästinensern aus.

Der Hintergedanke, den weder Scholz noch Biden ausspricht: Die internationale Aufmerksamkeit wandert gerade von der Ukraine zum Nahen Osten. Davor hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Angst. Weil die ukrainische Offensive zur Rückeroberung der russisch besetzten Gebiete derzeit kaum weiterkommt, werden die Unterstützernationen langsam ungeduldig. Es breitet sich dort eine gewisse Kriegsmüdigkeit aus.

Vor allem in den USA hat Präsident Biden zunehmende Schwierigkeiten, die finanzielle und militärische Hilfe an die Ukraine aufrechtzuerhalten. Sollten jetzt für längere Zeit Kräfte im Nahen Osten gebunden sein, fehlen sie im Krieg in der Ukraine.

Ein großer Mann im Anzug legt einem kleineren Mann im olivfarbenen Hemd und Vollbart die Hand auf die Schulter
Joe Biden hat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Unterstützung "so lange wie nötig" zugesagt, ein innenpolitisch riskantes VersprechenBild: Evan Vucci/AP/picture alliance

Doch der Zusammenhang ist noch größer. Die Politikwissenschaftlerin Daniela Schwarzer sagte im ARD-"Presseclub": "Der Fokus der USA ist kurzfristig auf der Ukraine, langfristig ist er ohnehin auf China und dem Indopazifik. (…) Natürlich gucken die USA sehr genau hin: Wieviel können wir in jeden Konflikt investieren? (…) Schon jetzt ist ja die Frage, wieviel ist denn überhaupt noch da, um die Ukraine zu unterstützen, wenn das ein langer Krieg wird? Und deshalb ist es ganz klar: Die politische Aufmerksamkeit, die Frage der Finanzierung und die Bereitstellung von Kriegsmaterial, das muss irgendwie ausgeglichen werden zwischen den verschiedenen Konfliktherden."

China bleibt neutral - schon wieder

Der Westen erlebt auch wieder eine bittere Erfahrung, die er schon aus dem Krieg in der Ukraine kennt: Wichtige Entwicklungs- und Schwellenländer, auch solche, die dem westlichen Wertesystem zugerechnet werden, verzichten auf eine Verurteilung der Hamas.

Südafrika zum Beispiel hat den russischen Angriff auf die Ukraine nie verurteilt. Der regierende Afrikanische Nationalkongress gab jetzt eine Erklärung heraus, in der er die frühere Apartheid in Südafrika mit der heutigen Situation im Nahen Osten vergleicht.

Anzeigetafel mit 141 Pro- und 7 Gegenstimmen sowie32  Enthaltungen
Auch im Februar 2023 bei einer UN-Resolution zur Wahrung der territorialen Integrität der Ukraine gab es Gegenstimmen und EnthaltungenBild: John Minchillo/AP/picture alliance

China hat die Hamas ebenfalls nicht verurteilt, so wie es Peking abgelehnt hat, die russische Aggression in der Ukraine zu verdammen.

Und auch Russland selbst meldet sich zu Wort und erinnert Europäer wie Amerikaner an das Ziel, das diese selbst seit vielen Jahren unterstützen: Ein palästinensischer Staat, so der russische Außenminister Sergej Lawrow, wäre der beste Weg zu einer Lösung des Konflikts. "Wir können nicht denen zustimmen, die sagen, Sicherheit könne es nur im Kampf gegen Terrorismus geben."

Der Vorschlag kommt von einem Land, dessen Präsident Wladimir Putin der Ukraine das Existenzrecht abgesprochen hat und der seit gut anderthalb Jahren einen erbarmungslosen Krieg auch gegen die ukrainische Zivilbevölkerung führt.

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Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik