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Ist das Kühlwasser aus Fukushima gefährlich?

22. August 2023

Zwölf Jahre nach dem Super-GAU lässt Japan tritiumhaltiges Kühlwasser ins Meer ab und stößt auf große Kritik. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Frau protestiert gegen radioaktive Fukushima-Wassereinleitungen
Umweltschützer und Nachbarländer protestieren seit Jahren gegen die Einleitung ins MeerBild: Lee Jin-man/AP/picture alliance

Eine sachliche Diskussion über die Entsorgung des kontaminierten Kühlwassers aus Fukushima ist schwierig. Auch weil aufgrund zahlreicher Skandale und einer intransparenten Informationspolitik das Vertrauen in den ehemaligen Kraftwerksbetreiber Tepco und die eng mit der Atomindustrie verflochtene japanischen Regierung mit ihren Behörden äußerst gering ist. Ähnlich gering ist allerdings oftmals auch die Kenntnis darüber, was tatsächlich ins Meer eingeleitet wird. Ein Überblick.

Fukushima: Warum wird das Kühlwasser in den Pazifik eingeleitet?

Inzwischen sind die Lagerkapazitäten für gefiltertes Kühlwasser an der Atomruine erschöpft. Denn seit dem verheerenden Tsunami 2011 müssen die zerstörten Reaktoren weiter gekühlt werden, dabei fallen täglich rund 170 Tonnen Kühlwasser an. Zusätzlich dringt Regen- und Grundwasser in die Anlage ein, schon jetzt lagern 1,343 Millionen Kubikmeter Wasser in 1046 Tanks.

Nach einer Filterung soll das als unbedenklich geltende Kühlwasser über einen ein Kilometer langen Tunnel in den Pazifischen Ozean eingeleitet werden. Die Verklappung wird schätzungsweise 30 Jahre dauern. Die hochradioaktiven Reste verbleiben an Land.

Darf Japan gefiltertes Kühlwasser ins Meer einleiten?

Japans Atomaufsichtsbehörde und auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hatten den Verklappungsplänen zugestimmt. Japan erfülle die internationalen Sicherheitsstandards. Die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt seien "vernachlässigbar", befand die Atomenergiebehörde. Schon seit Jahrzehnten sei es gängige Praxis, dass Atomkraftwerke in aller Welt routinemäßig belastetes Kühlwasser ins Meer ableiten.  

Umweltschützer, Fischer und auch die Nachbarstaaten werfen den japanischen Behörden jedoch vor, die Strahlungswerte des Kühlwassers herunterzuspielen. Sie fürchten eine weitreichende Kontaminierung des Ozeans, mögliche Umweltschäden, dramatische Umsatzeinbußen und einen gewaltigen Imageschaden. 

Wie wird das Wasser vorbehandelt?

Vor der Verklappung wird das kontaminierte Kühlwasser und Grundwasser durch das Filtersystem ALPS (Advanced Liquid Processing System = ALPS) geschickt, das 62 Radionuklide herausfiltern kann - bis auf das radioaktive Isotop Tritium. Tepco will das Wasser daher so weit verdünnen, dass die Tritiumkonzentration auf rund 1500 Becquerel pro Liter sinkt, was weniger als einem Vierzigstel der nationalen Sicherheitsnorm entspreche. Liegen die Grenzwerte nach der Filterung zu hoch, werde der Reinigungsprozess wiederholt, beteuert die Betreiberfirma Tepco.

Lagertanks für kontaminiertes Wasser an der Atomruine Fukushima
in solchen Tanks lagert das kontaminierte Wasser an der Atomruine FukushimaBild: Philip Fong/AFP/Getty Images

Wie gefährlich ist Tritium?

Das zurückbleibende Tritium ist ein Wasserstoff-Isotop. Zwar ist Tritium radioaktiv, aber bei weitem nicht so gefährlich wie Cäsium-137 oder Strontium-90. Denn Tritium ist ein weicher Betastrahler und schon eine Plastikfolie oder die menschliche Haut reichen, um die meiste Strahlung abzuschirmen. 

Für den Radioökologen Prof. Dr. Georg Steinhauser ist ein Einleiten ins Meer deshalb die beste und auch die sicherste Lösung. Steinhauser hat 2013 selber rund um die Atomruine Proben entnehmen können. Ein Jahr später war er als Gastprofessor an der Fukushima University, aktuell ist er an der TU Wien tätig. 

"Wer vor dem Tritium Sorgen hat, ist nicht ausreichend aufgeklärt. Das Tritium stellt weder für Mensch noch für Umwelt, eine Gefahr dar, wenn es schön langsam ins Meer hineinverdünnt wird. Das ist ein Bruchteil dessen, was von den Atomwaffentests dort noch drin ist. Und das wird in Kürze unter die Nachweisgrenze verdünnt werden. Also davor braucht wirklich niemand Angst zu haben", sagt Steinhauser. 

Auch Burkhard Heuel-Fabianek,Leiter des Geschäftsbereichs Strahlenschutz am Forschungszentrum Jülich, hält eine Einleitung des Kühlwassers in den Pazifik für "radiologisch unbedenklich". Selbst wenn Tritium in den Körper gelange, sei das Risiko gering. Tritium werde kaum im Gewebe gebunden, erläutert er im DW-Interview: "Weil Tritium praktisch Teil des Wassers ist, scheidet der Körper das relativ schnell wieder aus, das hat also keine so hohe biologische Wirksamkeit wie andere Stoffe." 

Ganz anders sei es, wenn etwa das krebserregende Strontium-90 in den menschlichen Körper gelangt: "Strontium wird in die Knochenstruktur aufgenommen und man bekommt es nicht mehr aus dem Körper heraus, wenn es einmal in die kristalline Struktur der Knochen eingebaut ist." 

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Wie wirkt der Pazifik als gewaltiger Verdünner?

"Was viele nicht wahrhaben wollen ist der alte englische Ausspruch: 'The solution to pollution is dilution.' - wenn man es verdünnt bis zu einem Punkt, wo es ungefährlich wird, dann ist es eben ungefährlich", betont Radioökologe Steinhauser.  

Auch für die Umwelt sieht Steinhauser keine Risiken. "Tritium akkumuliert sich nicht wieder. Das ist nicht wie Quecksilber im Thunfisch. Tritium ist radioaktiver Wasserstoff in Form eines Wassermoleküls. In keinen Algen, in keinem Plankton reichert sich dieses radioaktive Wasser an, sondern es verdünnt sich weiter, und weiter und weiter."

Wollen die Verantwortlichen ablenken?

Nach Darstellung von Greenpeace versuchen die japanische Regierung und Tepco die Strahlenwerte herunterzuspielen und das Augenmerk auf das weniger gefährliche Tritium zu lenken, um von den anderen Radionukliden abzulenken, die auch nach der Reinigung noch im Wasser verbleiben.

"Die japanische Regierung hat eine sehr gute Arbeit geleistet, indem sie die Aufmerksamkeit der Medien und des heimischen Publikums auf das Tritium im Wasser gelenkt und behauptet hat, dass es keine Gefahr für die Umwelt darstellt", sagt Shaun Burnie, leitender Nuklearfachmann von Greenpeace, gegenüber der DW. "Das kontaminierte Wasser enthält viele Radionuklide, von denen wir wissen, dass sie sich auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit auswirken - einschließlich Strontium-90", behauptet Burnie.

Geleakte interne Tepco-Dokumente sollen laut Burnie beweisen, dass zahlreiche radioaktive Elemente wie Jod, Ruthenium, Rhodium, Antimon, Tellur, Kobalt und Strontium sich auch durch die Reinigung nicht auf einen "nicht nachweisbaren" Wert reduzieren ließen. Die Wasseraufbereitungsanlage ALPS sei zudem nicht dafür ausgelegt, auch den radioaktiven Kohlenstoff-14 herauszufiltern, so Greenpeace.

Was sind die Alternativen?

Umweltschützer werfen dem Betreiber und der Regierung vor, die billigste und schnellste Lösung für das Problem gewählt zu haben. Alternativ könnte man zusätzliche Tanks aufstellen oder das Kühlwasser verdampfen.

Zusätzliche Tanks hält Steinhauser für keine gute Idee. Gerade in Hinblick auf die sehr hohe Erdbebengefahr in der Gegend. "Wenn diese Tanks undicht werden und das Wasser ins Grundwasser sickert, dann wird sich dieses Tritium im Grundwasserhorizont in einer relativ geringen Menge Wasser ausbreiten und wenig verdünnen. Das Kühlwasser ins Meer einzuleiten, halte ich für beste und sicherste Lösung für Umwelt und Menschheit. Das ist die Lösung, die viele empfohlen haben, auch die Internationale Atomenergiebehörde."

Tritiumhaltiges Wasser zu erhitzen und den entstehenden Dampf in die Luft zu entsorgen, ist ein bekanntes Verfahren. Der Grenzwert für Tritium liegt bei fünf Becquerel pro Liter Luft. Trotzdem halten viele Forschende das Verdampfen für problematisch, weil der freigesetzte radioaktive Wasserstoff in der Luft schwerer zu kontrollieren sei. Der Wind könnte die radioaktive Wolke in weit entfernte Gebiete tragen. 

Das Einleiten ins Meer "ist mir persönlich sehr viel lieber als wenn das da verdampft. Selbst wenn es geringe Konzentrationen sind, die da in meiner Atemluft sind und dann übers Land ziehen. Auch wenn es harmlos ist: Noch harmloser ist es, wenn es im Ozean verschwindet", so Radioökonom Georg Steinhauser. 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund