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PolitikNahost

Jemen: Rostender Öltanker als ökologische Zeitbombe

Jennifer Holleis
14. September 2022

Im Roten Meer droht ein veralteter jemenitischer Tanker mit Millionen Liter Öl auseinanderzubrechen. Die UN versuchen die drohende Katastrophe abzuwenden, stoßen aber auf ökonomische und politische Schwierigkeiten.

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Der Öltanker 'FSO Safer' aus der Luft fotografiert
Könnte jederzeit auseinanderbrechen: die 'FSO Safer' Bild: Maxar Technologies/AP Photo/picture alliance

Die Gefahr ist absehbar: Rund sechs Kilometer vor der jemenitischen Küste liegt der havarierte Öltanker 'FSO Safer' vor Anker. Ungeachtet seines maroden Zustands wird er als Erdölspeicher genutzt. Dabei könnte das 2015 aufgegebene Schiff jeden Moment auseinanderbrechen oder explodieren. Dann würden die darin gelagerten rund 1,1 Millionen Barrel Rohöl ins Rote Meer fließen - die vierfache Menge dessen, was 1989 bei der Exxon-Valdez-Ölkatastrophe in der Nähe von Alaska auslief.

Bräche das Schiff auseinander, würde das auslaufende Öl Korallenriffe und andere Meereslebewesen im Roten Meer zerstören, Hunderttausende von Arbeitsplätzen in der Fischerei-Industrie gefährden und den Jemen von der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Treibstoff abschneiden, warnen die Vereinten Nationen und andere Organisationen.

Vermeidbare Katastrophe

Noch ist es aber möglich, die drohende Katastrophe zu verhindern, und zwar mit überschaubaren technischen Mitteln. So ließe sich Öl für rund 80 Millionen Dollar (80,8 Millionen Euro) innerhalb von vier bis fünf Monaten von der 'FSO Safer' auf ein Zwischenlagerschiff laden. Sobald ein funktionstüchtiges Lagerschiff gefunden ist, könnte das Öl auf dieses verladen und dann abtransportiert werden.

Die 'FSO Safer' (FSO steht für "Floating Storage and Offloading Unit", auf Deutsch "Schwimmende Lager- und Entladeeinheit") könnte dann als Schiffsschrott verkauft werden. Der Erlös könnte zumindest einen Teil der auf rund 144 Millionen Dollar geschätzten Gesamtkosten der Operation decken.

Doch in der Praxis ist das Problem komplizierter: So ist weder die Finanzierung der ersten Phase abgeschlossen, noch bestehen verlässliche politische Vereinbarungen für den weiteren Transport des Öls. Zwar bemühen sich die Vereinten Nationen um eine Lösung. Bislang haben sie allerdings erst 70 Millionen Dollar an Beiträgen aus verschiedenen Ländern, so etwa Saudi-Arabien und Deutschland, aufgebracht. Wobei die Umweltorganisation Greenpeace kürzlich gegenüber der ARD beklagte, dass Deutschland einen zugesagten Betrag von acht Millionen Euro noch nicht gezahlt habe.

Auch private Unternehmen wurden zu Spenden aufgerufen. Das führte Ende August zu einer Spende von einer Million Dollar durch die in Dubai ansässige jemenitische HSA Group.

"Wir sind der Lösung des Problems so nahe wie nie zuvor", sagt der US-Sondergesandte für den Jemen, Tim Lenderking, im DW-Interview. Doch solange die Gesamtsumme von 80 Millionen Dollar für den ersten Schritt nicht erreicht ist, liegt der von den Vereinten Nationen koordinierte Plan weiterhin auf Eis, ungeachtet der sich zuspitzenden Lage. Die meisten Experten befürchten, dass der Tanker die raue See des kommenden Herbstes und Winters nicht überleben könnte.

Blick auf den Öltanker 'FSO Safer'
Sicherheitsrisiko auf hoher See: die 'FSO Safer'Bild: Umweltorganisation Holm Akhdar/dpa/picture alliance

Politische Spielmasse

Auch innenpolitisch ist die Situation alles andere als ungefährlich. Die 'FSO Safer' gehört einem jemenitischen Unternehmen, der 'Safer Exploration and Production Exploration Company'. Den dem Schiff am nächsten gelegenen Hafen kontrolliert jedoch die kriegsführende Huthi-Miliz. 

Im Anschluss an UN-Verhandlungen stimmten die Huthi-Rebellen im März der ersten Phase des Öltransfers zwar zu und unterzeichneten eine entsprechende Absichtserklärung. Allerdings ist das Dokument rechtlich nicht bindend. Experten bezweifeln, dass die Huthis die Vereinbarung einhalten werden.

Tatsächlich haben die aus dem Iran unterstützten Huthis in der Vergangenheit mehrere Versuche der Vereinten Nationen, das Schiff zu inspizieren oder zu reparieren, vereitelt oder entsprechende Schritte in letzter Minute abgesagt.

Derweil verkündete Mohammed Ali al-Huthi, ein militärischer Anführer der Huthis, wiederholt auf Twitter, er mache die gegnerische, international freilich anerkannte jemenitische Regierung und ihre Verbündeten für eine eventuelle Umwelt-Katastrophe "voll verantwortlich".

Humanitäre Not

Seit acht Jahren befindet sich der Jemen in einem Bürgerkrieg zwischen der vom Iran unterstützten Huthi-Miliz und der von Saudi-Arabien unterstützten international anerkannten Regierung. Während die Huthis den Norden einschließlich der Hauptstadt Sanaa kontrollieren, hat die Regierung die Macht über mehrere Gebiete im Süden.

Zur Zeit herrscht Waffenruhe - mit bisher noch ungewissem Ausgang. Fest steht jedoch: Der Krieg hat den bettelarmen Jemen in die global schlimmste humanitäre Katastrophe seit langem gestürzt. Vieler Zivilisten wurden getötet oder verletzt, unter anderem durch Landminen. Der Einmarsch Russlands in der Ukraine im Februar hat die Lage im Land, das früher bis zu 45 Prozent seines Weizens aus diesen beiden Ländern importierte, zusätzlich verschärft. Es droht eine Hungersnot. Die meisten Jemeniten sind schon jetzt auf internationale Hilfe angewiesen.

Würde die 'FSO Safer' Öl verlieren, würde dies nicht nur die Umwelt stark belasten, sondern auch die Nahrungsmittelhilfe für über acht Millionen Menschen im Jemen einschränken - da in diesem Falle der Zugang zu den Häfen Hodeida und Salif unterbrochen würde, sagt Julien Jreissati, Programmmanager für den Nahen Osten und Nordafrika bei Greenpeace. "Über diese Häfen werden fast 70 Prozent der Hilfsgüter ins Land gebracht." Auch die Trinkwasserversorgung von rund 10 Millionen Menschen wäre gefährdet, da Entsalzungsanlagen an der Küste in Mitleidenschaft gezogen werden könnten, so Jreissati. Außerdem würde eine Ölpest das Aus für die jemenitische Fischerei bedeuten. Von dieser leben rund 1,7 Millionen Menschen.

Karte mit der Lage der SFO Safer
Die Lage der 'FSO Safer' vor der Küste des Jemen

Ökologisches Desaster

Die Auswirkungen würden deutlich über den Jemen und seine Küstengewässer hinaus spürbar sein. "Die Trinkwasserversorgung in der gesamten Region des Roten Meeres könnte verseucht werden", so Jreissati. So könnten einer aktuellen Greenpeace-Studie zufolge Entsalzungsanlagen an den Küsten Eritreas und Saudi-Arabiens innerhalb von drei Wochen nach einem Ölunfall betroffen sein.

Das Rote Meer beherbergt unberührte Korallenriffe und eine enorme Vielfalt an Meereslebewesen. Auch deshalb wäre ein Ölunfall in einem der artenreichsten Ozeane der Welt nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch ein Desaster.

Sollte der Tanker sinken, könnte das auch Auswirkungen auf die internationalen Schifffahrtsrouten durch den Suezkanal haben, fürchten Experten. Rund 12 Prozent des Welthandels werden durch den Suezkanal abgewickelt, die Wasserstraße zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer.

Zudem steht fest: Sollte sich ein Ölteppich ausbreiten, würde seine Beseitigung teuer: Rund 20 Milliarden US-Dollar dürfte sie laut Schätzungen kosten - ein Vielfaches der Summe, die für das rechtzeitige Abpumpen des Öls aus dem Tanker anfiele.

US-Gesandter Tim Lenderking betont im DW-Gespräch: "Wir alle haben ein Interesse daran, diese lebenswichtige Wasserstraße zu schützen und die Verschlimmerung einer humanitären Katastrophe zu verhindern."

Jemenitische Fischer am Roten Meer
In ihrer Existenz bedroht: jemenitische FischerBild: Safia Mahdi/DW

'Absurd und unverantwortlich'

Doch werden die Huthi-Rebellen dies zulassen? Es sei eigentlich im "ureigensten Interesse" der Huthis, den Öltransfer zuzulassen und die drohende Katastrophe abzuwenden, sagt Jemen-Experte Jens Heibach vom Hamburger Forschungsinstituts GIGA. "Denn am meisten würde die Bevölkerung in den von den Huthis gehaltenen Gebieten leiden", so Heibach zur DW.

Profitieren könnten die Huthis hingegen, wenn die 'FSO Safer' durch ein funktionstüchtiges Schiff ersetzt wird, das Öl aus den jemenitischen Marib-Ölfeldern speichern könnte.

 "Für die Huthis ist es wichtig, diesen Umschlagplatz unter ihrer Kontrolle zu halten und später Gewinne zu erzielen", so Heibach. Derzeit allerdings würden die 'FSO Safer' und die durch sie drohende Katastrophe offenbar als Druckmittel für möglicherweise bevorstehende Friedensverhandlungen genutzt.

Bereits seit April gilt im Jemen die wiederholt verlängerte Waffenruhe. Diese endet Anfang Oktober, sofern sie nicht verlängert oder in ein dauerhaftes Friedensarrangement umgewandelt wird. Für Heibach ist klar: "Die 'FSO Safer' ist Teil der Verhandlungsmasse. Jeder hofft, das Beste aus der Situation herauszuholen, und setzt zugleich darauf, dass das Schiff bis dahin nicht in die Brüche geht. Das ist absurd und unverantwortlich."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.