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Literatur

Johny Pitts über sein Buch "Afropäisch"

Manasi Gopalakrishnan
26. Mai 2021

Johny Pitts erhält den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung. Mit der DW hat er über seine Identität als schwarzer Europäer gesprochen.

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Johny Pitts schaut direkt in die Kamera
Johny PittsBild: Jamie Stoker/Penguin/Suhrkamp Verlag

"Als der Rassismus in England zunahm, habe ich mich weniger britisch gefühlt als jemals zuvor", erinnert sich Johny Pitts. Er bezieht sich dabei auf die Phase, in der er die Idee für sein Buch "Afropäisch. Eine Reise durch das schwarze Europa" entwickelte - von der Finanzkrise 2008 bis zum Brexit

"Viele Dinge, auf die ich mich verlassen hatte, schienen auseinanderzufallen. Und ich musste einen Weg finden, sie wieder zusammenzubringen", erklärt der britische Autor im Gespräch mit der DW. Aus der Suche danach habe er schließlich den Begriff "Afropäisch" entwickelt.

Jugend im Nordengland der Neunziger

Pitts ist Sohn einer weißen Arbeiterin aus Sheffield und eines afroamerikanischen Soul-Sängers. Er wuchs im industriell geprägten Sheffield der Neunziger auf, als sich England "europäischer als je zuvor anfühlte". Pitts betrachtete sich selbst als Europäer und nicht als Teil der karibischen Community vor Ort. 

Mit "Afropäisch" möchte Pitts sowohl die Vorstellung des Schwarzseins als auch jene der britischen Identität erweitern. Das regte ihn selbst dazu an, sich als "komplett und ohne Bindestrich zu begreifen", wie er in seinem Buch erklärt, "ohne gemischt-dies, halb-jenes oder schwarz-anderes".  

Afropäisch - auf der Suche nach Identität

Schwarzsein in Europa

In seinem Buch analysiert Pitts die Situation schwarzer Gemeinschaften auf dem europäischen Kontintent, und er untersucht die Folgen des Kolonialismus und des multikulturellen Ansatzes im heutigen Europa. Er spricht dabei von einem "Blur", einem "Verwischen", das sowohl jene betrifft, die sich als Europäer betrachten als auch jene, die es nicht tun. 

Pitts zitiert den britisch-pakistanischen Autor Hanif Kureishi, der in "Der Buddha aus der Vorstadt" schreibt: "Ich bin ein waschechter Engländer - jedenfalls beinahe." "Das 'Beinahe' verwischt es", sagt Pitts, und fügt hinzu, dass ihn der Mix aus Kulturen am meisten fasziniere.

Er schreibt über jene Menschen, die sich neben ihrer europäischen Heimat auch anderen Ländern zugehörig fühlen -  zum Beispiel die schwarzen Spieler der französischen Fußballnationalmannschaft, die "sowohl französisch als auch etwas anderes" seien.

Schwarz und britisch

Schwarze in England hätten mehr Selbstvertrauen als jene auf dem europäischen Festland, so Pitts. Das habe mit der kulturellen Diversität, einem Erbe des britischen Empire, zu tun. Akademische Theoretiker wie Stuart Hall und Universitätsfächer wie Cultural Studies hätten zur Debatte über Identität und Multikulturalismus beigetragen. Dieser Aspekt fehle zum Beispiel in Frankreich, wo "Schwarzen gesagt wurde: 'Passt euch an. Ihr könnt nichts anderes sein außer französisch.'"

Buchcover "Afropäisch . Eine Reise durch das schwarze Europa" von Johny Pitts: ein U-Bahnwaggon voller Menschen, einige davon afrikanischer Abstammung
Cover des Buchs "Afropäisch. Eine Reise durch das schwarze Europa" von Johny Pitts

Pitts bezeichnet diese Haltung als "historische Amnesie", in der die imperiale Geschichte eines Landes vergessen "und so getan wird, als hätte es sie nie gegeben". Dieser Gedächtnisverlust sei laut Pitts allgegenwärtig in Europa - auch in England, wo es wie in Frankreich trotzdem noch immer imperialen Pomp und Zeremonien gebe. "Im Vereinigten Königreich wird das Empire als fröhlicher Onkel gesehen, der manches falsch versteht, aber dennoch wohlwollend ist." 

Ikonen und der Mut zur Imperfektion

In seinem Buch stellt Pitts auch schwarze Europäerinnen und Europäer vor, die gegen den Kolonialismus gekämpft haben, denn Europa habe "wenige schwarze Ikonen. Ganz anders als die USA." Diese Lücke wolle er mit "Afropäisch" schließen, und er vereint darin Vordenker der Entkolonialisierung wie Frantz Fanon und Aimé Césaire mit dem russischen Nationaldichter Alexander Puschkin, der einen afrikanischen Urgroßvater hatte.

Mit seinem Buch will Johny Pitts schwarze Europäer nicht zu Superhelden stilisieren. Momentan gebe es eine Tendenz innerhalb der Community, schwarze Menschen als Königinnen und Könige zu betrachten. Pitts hingegen wolle "weg von Superlativen". Am Ende gehe es auch darum zu lernen, "als schwarzer Mensch nicht perfekt zu sein".

"Wir sind weder Gangster, die in Ghettos leben, noch Superhelden, die auf alles eine Antwort haben." Vielmehr gehe es um die Frage, was es heißt, Mensch zu sein. 

Der britische Essayist und Fotograf Johny Pitts bekommt den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung am 26. Mai verliehen - zusammen mit dem ungarischen Essayisten, Literaturkritiker und Kunsthistoriker Laszlo Földenyi, der ihn 2020 gewonnen hat.

Adaption ins Deutsche: Philipp Jedicke