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Jung, jüdisch, deutsch

Karola Olbertz
27. August 2021

"Ich habe in Berlin Wurzeln geschlagen", sagte Deborah Feldman, Autorin des Bestsellers "Unorthodox", auf dem DW-Panel zum jüdischen Leben in Deutschland.

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Deborah Feldman und Dmitrij Kapitelmann sitzen je auf einer roten Couch und schauen sich zugewandt an.
Neu-Berliner Deborah Feldman (r.) und Dmitrij Kapitelmann diskuierten über Heimat und Jüdisch-seinBild: JAN ROEHL/DW

Sie sind Juden, leben in Deutschland und gehören als Enkel von Holocaust-Überlebenden der sogenannten Dritten Generation" an. Die Sopranistin Shai Terry, die Autorin und Feministin Laura Cazes, der Schriftsteller Dmitrij Kapitelman und Deborah Feldman, Autorin des Welterfolgs "Unorthodox". Der autobiografische Roman ihrer Kindheit und Jugend in einer strenggläubigen, chassidischen Gemeinde in New York hat Feldman auf einen Schlag berühmt gemacht. Seit der Verfilmung der gleichnamigen, mit dem Emmy ausgezeichneten Netflix-Serie ist sie einem Millionenpublikum bekannt.

Auf dem Podium der DW zu "Jüdisches Leben in Deutschland. Dritte Generation im Aufbruch" sprachen die vier Künstler, Autoren und Intellektuelle über Identität und Zugehörigkeit. Die Veranstaltung im Jüdischen Museum Berlin reiht sich ein in das Programm zum Festjahr "1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland". Verhandelt werden sollen eher die Zukunftsfragen des Judentums als die Vergangenheit.

"Wir Jungen denken nicht an die Vergangenheit"

Aber geht das, bei dieser Diskussion, an diesem Ort, dem Jüdischen Museum, das sich mit der Kultur des Judentums und mit der Shoah auseinandersetzt? Rund 20 Kilometer entfernt von dem Ort, an dem die Vernichtung der europäischen Juden beschlossen wurde? Shai Terry kam vor drei Jahren aus Israel nach Deutschland. Ihr war klar, dass ihre Karrierechancen als Opernsängerin in Israel begrenzt sein würden, deshalb zog sie zum Gesangsstudium nach Mainz. "Wir Jungen denken nicht so sehr an die Vergangenheit", sagt sie. An ihren nichtjüdischen Freundinnen und Freunden beobachte sie ein großes Interesse an jüdischen Bräuchen, an der Religion und der jüdischen Tradition.

Shai Terry sitzt auf einem roten Sofa und lächelt.
Sopranistin Shai Terry kam vor drei Jahren von Israel nach DeutschlandBild: JAN ROEHL/DW

Deborah Feldman bestätigt: "Als ich nach Deutschland gekommen bin, war ich fasziniert von dem intensiven, leidenschaftlichen Interesse an dem, was ich bin." Als sie ihre enge, jüdische Gemeinde in New York verlassen habe, sei sie in säkularen Kreisen der USA auf Desinteresse gestoßen. Für ihre Geschichte habe sich an der Uni niemand interessiert. Doch in Berlin habe sie sich sofort unter Gleichgesinnten gefühlt.

Berlin sei der "erste Ort, an dem ich mich als Teil einer Gemeinschaft gefühlt habe. Dank dieser vielfältigen Community von Juden", die um Anerkennung kämpfen. Es sei ein Ringen um neue Ideen, darum was es heiße, jüdisch zu sein. Shai Terry und Deborah Feldman fühlen sich in Deutschland aufgenommen, auch wenn die Anschläge der vergangenen Jahre in Halle und Hanau und die alltäglichen Anfeindungen gegenüber Juden ihnen Angst machen. Beim DW Panel betonte Feldman, wie wohl sie sich in Berlin fühlt. 

Laura Cazes, Mitarbeiterin in der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland und bekennende Feministin, umreißt das Spannungsfeld, in dem sich ihre Generation bewegt: "Wenn wir über jüdisches Leben sprechen", sagt sie, "dann sprechen wir eben oft auch über die Shoah, über totes jüdisches Leben." An ihrer Generation sei es, den gesellschaftlichen Status von Juden in Deutschland neu zu verhandeln und zu definieren. Sie ist überzeugt davon, dass es in ihrer Generation Aufbruch gebe. Es entstehe eine jüdische Gemeinschaft, die vielfältiger, diverser und selbstbewusster werde.

Jüdische Künstler in Deutschland

Unbehagen und Unsicherheit

Dmitrij Kapitelman kam 1994 als achtjähriger Kontingentflüchtling mit seinen Eltern aus der Ukraine nach Deutschland. Kindheit und Jugend in Leipzig erlebte er als ständige Bedrohung durch Neonazis. 2016 schrieb er seinen ersten Roman, angelehnt an eine gemeinsame Reise mit dem Vater nach Israel. 

Das Buch "Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters" habe er in gut 100 Lesungen in ganz Deutschland damals vorgestellt. Und eines sei ihm aufgefallen. "Die Atmosphäre war fast immer gleich", erzählt er, "so eine Starrheit, eine Befangenheit". Zwanzig Minuten habe die gedauert, dann habe sich was gelöst: "Es gab diese Sehnsucht im Publikum, sich zu versöhnen."

Dmitij Kapitelmann sitzt auf einer roten Couch und hat den Finger erhoben
Sieht sich als Vertreter vieler Identitäten: Schriftsteller Dmitrij KapitelmannBild: Jan Roehl/DW

Auch der Stoff seines zweiten Romans "Eine Formalie in Kiew" beschäftigt sich mit Herkunft und Nationalität. Absurde Hürden stellten sich ihm in den Weg, um nach mehr als zwei Jahrzehnten den deutschen Pass zu bekommen. Kapitelman ist jetzt auch offiziell Deutscher. Die Frage nach der Identität macht das aber nicht einfacher - daher beantwortet Kapitelman diese auch lakonisch wie vieldeutig. Er sei eben ein deutscher, jüdischer, russischer Schriftsteller. Das sei doch ein großer Reichtum. Mit dem Begriff Heimat tue er sich schwer. Das ergeht seinen Kolleginnen auf dem Podium ähnlich.

Aber als Künstlerinnen finden sie umso poetischere Umschreibungen. Die Sängerin Shai Terry sagt: "Zuhause ist da, wo du die beste Version deiner selbst leben kannst." Deborah Feldman hat ihr Zuhause in der deutschen Sprache gefunden, in der sie gerade ihr aktuelles Buch verfasst. Englisch sei immer ihre zweite Sprache gewesen, aufgewachsen sei sie mit Jiddisch. Das habe ihr das Tor geöffnet zum Deutschen. Seit 2014 lebt Feldman in Berlin und sie sagt aus Überzeugung: "Ich habe Wurzeln geschlagen in dem sehr mageren, sandigen Boden von Berlin."

Die deutschsprachige Version der Sendung (56 Minuten) zum DW-Panel wird ab Samstag, 28. August, auf dem Kanal youtube.com/dwdeutsch ausgestrahlt. Die englische Fassung ist ab 31. August auf dem Kanal youtube.com/dwnews verfügbar.