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Buchvorstellung unter Kanzlern: Der Macher und das Mädchen

Marcel Fürstenau22. September 2015

Er ist seit zehn Jahren Kanzler a. D., sie seine Nachfolgerin. Angela Merkel ist die mächtigste Frau der Welt, Gerhard Schröder wäre gerne Elder Statesman. Die Präsentation seiner Biographie ähnelt einem Staatsakt.

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Kanzler a.D. Gerhard Schröder und Kanzlerin Angela Merkel vor einem Plakat (Foto: Kay Nietfeld/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Kurz vor elf Uhr fährt am Dienstag eine schwarze Limousine vor. "Achtung, die Bundeskanzlerin kommt!", sagt der freundliche Herr am Empfang der Bundespressekonferenz (BPK) in Berlin. In diesem Haus stellt sich Angela Merkels Sprecherteam dreimal wöchentlich den Fragen der in- und ausländischen Presse. Persönlich erscheint sie normalerweise nur einmal im Sommer. Dieser Auftritt liegt exakt zwei Monate zurück. Als die deutsche Regierungschefin am 22. Juli im großen Saal der BPK ihren Auftritt hatte, reservierten Journalisten schon eine Stunde vorher einen der begehrten Klappstühle mit den versenkbaren Schreibunterlagen an der rechten Armlehne. Es ist das einzige Mal, dass alle 210 Plätze besetzt sind.

Wenn Merkel nach so kurzer Zeit schon wieder die Hauptstadtpresse beehrt, muss es sich um ein wichtiges Ereignis handeln. Doch dieses Mal steht sie nicht alleine im Mittelpunkt. Das Interesse gilt auch ihrem Vorgänger und dem Buch mit seinem Konterfei: "Gerhard Schröder - Die Biographie" lautet der schlichte Titel. Üppig ist hingegen der Umfang, 1040 Seiten lang ist Gregor Schöllgens Fleißarbeit über den Merkel-Vorgänger. Die Neuerscheinung der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) wird sich zum Preis von 34,99 Euro gut verkaufen. Diese Prognose ist alles andere als gewagt. Die E-Book-Version kostet sechs Euro weniger.

Werbeveranstaltung mit Politikern

Und was bekommt die geneigte Leserschaft geboten? Da muss ich Sie, werte Userin, werter User, leider enttäuschen. Die Belegexemplare waren schnell vergriffen, viele Kolleginnen und Kollegen gingen leer aus. Allerdings sind die allermeisten nicht in erster Linie wegen des Buches gekommen, sondern um die Protagonisten zu erleben.

Gerhard Schröder und Angela Merkel in der Galerie der Kanzler-Bilder (Foto: Jens Büttner/dpa)
Die Nummern sieben und acht in der Kanzler-Galerie (zweite Reihe, dritter und vierte von links)Bild: picture-alliance/ ZB

Der große BPK-Saal ist trotz der prominenten Hauptdarsteller tabu, er bleibt der Politik vorbehalten. Heute aber geht es um eine Werbeveranstaltung mit Politikern. Deshalb müssen die Beteiligten mit den Konferenzräumen vorlieb nehmen, die jeder mieten kann. Das Interesse an diesem Event ist erwartet groß. Einen Kanzler a. D. (außer Dienst) und eine amtierende Regierungschefin im Duett gibt's schließlich nicht alle Tage.

Wer es versäumt hatte, sich bis Mitte September anzumelden, dem ging es wie dem Hund vor der Bäckerei: Er oder sie musste draußen bleiben. Ihr Glück im Unglück bestand darin, dass die überfüllte Veranstaltung ins Atrium der BPK übertragen wurde. Public Viewing für eine Buchpräsentation im Regierungsviertel. Das dürfte ganz nach dem Geschmack des Alt-Kanzlers gewesen sein. Dessen ehemaliger Regierungssprecher Béla Anda sitzt natürlich im großen Konferenzraum - in der ersten Reihe. Dort hat auch Merkels Sprecher Steffen Seibert Platz genommen.

Schwerstarbeit müssen vor allem die vielen Kameraleute und Fotografen leisten. In der drangvollen Enge ein halbwegs brauchbares Motiv des Duos Merkel/Schröder zu ergattern, fällt schwer angesichts der Medien-Meute. Deren Zahl dürfte sich auf 200 bis 300 belaufen. Darunter viele, die schon lange im Ruhestand sind.

Merkel liest anfangs vom Blatt ab

Bevor die noch berufstätigen Kollegen ihre mehr oder weniger originellen Fragen loswerden können, müssen sie Merkels einführenden Freundlichkeiten und der anschließenden Gesprächsrunde mit ihr und Schröder lauschen. Neues oder gar Überraschendes erfahren sie dabei nicht. Die Kanzlerin liest anfangs - teilweise holprig - vom Blatt ab. Es fallen Begriffe wie "Pragmatismus" und "Kämpfer" oder Sätze wie "hat sich um unser Land verdient gemacht". Was man als mächtigste Frau der Welt eben so sagen kann, wenn man sich nach zehn Jahren Kanzlerschaft auf dem Höhepunkt der eigenen Karriere befindet.

Merkels zur Raute gefaltete Hände und Schröders geballte Faust (Foto: Peer Grimm dpa)
Merkels Raute (oben) und Schröders Faust - Gesten markieren den PolitikstilBild: picture-alliance/dpa

Schröder hat sich lediglich sieben Jahre im Amt gehalten. Dass er am Abend seiner Wahlniederlage gegen Merkel im September 2005 an eine Fortsetzung seiner Regentschaft glaubte, ist natürlich auch Thema in seiner Biografie. Sein damaliger TV-Auftritt ist legendär, zehn Jahre später bezeichnet er ihn altersmilde als "lustvoll und suboptimal". Missen möchte er dieses Erlebnis aber auch nicht, gibt Schröder zu. Derweil erinnert sich Merkel, damals dankbar gewesen zu sein, "dass viele einen größeren Drang hatten zu sprechen als ich".

"Hochachtung für die Leistung des Kanzlers Schröder"

Im Verhalten und Auftreten der beiden hat sich im Kern nur wenig verändert. Merkel wartet im Zweifelsfall lieber ab, Schröder prescht lieber vor. Er rüttelte als junger Mann am Tor des Kanzleramtes, um seinen Machtwillen zu demonstrieren. Sie akzeptierte als Ministerin im Kabinett Helmut Kohls klaglos das Image vom "Mädchen", das seine Karriere dem Übervater der CDU zu verdanken habe.

Diese Episode ist längst verblasst im Licht einer Dekade als deutsche Regierungschefin. Merkel ist heute die einflussreichste Politikerin der Welt. Schröders Name wird in erster Linie mit der "Agenda 2010" verbunden bleiben. Wegen dieser höchst umstrittenen Wirtschafts- und Sozialreformen hat seine so erfolgreiche Nachfolgerin "Hochachtung für die Leistung des Kanzlers Schröder".

Über das Lob seiner Nachfolgerin freut sich der Sozialdemokrat. Und er bedankt sich artig für Merkels freundliche Worte zum Erscheinen seiner Biografie. "Das ist ja nicht selbstverständlich angesichts unserer persönlichen Geschichte." So redet einer, der inzwischen 71 Jahre ist und seit dem Ende seiner politischen Karriere weiter das Bild vom Macher pflegt. Als Lobbyist für russische Wirtschaftsinteressen unter Präsident Wladimir Putin ist ihm das auch bestens gelungen. Ob ihm dafür das Attribut "elder statesman" gebührt, ist eher zweifelhaft. In seiner Selbstwahrnehmung ist er auf jeden Fall einer.