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PolitikKenia

Kenia: Geplante Steuererhöhungen sorgen für Ärger

Kate Hairsine | Andrew Wasike Nairobi
14. Juni 2023

Kenia plant Steuererhöhungen, um seine massiven Auslandsschulden zu tilgen. Doch der Gesetzentwurf stößt in der Bevölkerung auf erbitterten Widerstand: Schon jetzt hat sie hohe Lebenshaltungskosten zu tragen.

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Kenia Kenianische Aktivisten demonstrieren in Nairobi gegen ein unpopuläres Finanzgesetz (Foto: homas Mukoya/REUTERS)
Sicherheitskräfte in Nairobi reagieren mit Tränengas auf Demonstration gegen das FinanzgesetzBild: Thomas Mukoya/REUTERS

Die Bäckerin Sarah Ndung'u hat einen beliebten Stand auf dem belebten Muthurwa-Markt in der Innenstadt von Nairobi. Sie verkauft eine große Auswahl an Backwaren, von Broten bis hin zu Mandazi, dem süßen, weichen Brot, das die Kenianer gerne in ihren Tee tunken.

Doch die alleinerziehende Mutter macht sich Sorgen um die Zukunft ihres Geschäfts, sollte das Parlament die von der Regierung von Präsident William Ruto vorgeschlagenen Steuererhöhungen absegnen. 

"Ich weiß nicht, wie ich überleben soll, wenn sie die Steuern erhöhen", sagt Ndung'u. Schon jetzt hat sich ihre Lage spürbar verschlechtert: Vor sechs Monaten konnte sie einen ganzen Kuchen für 1500 kenianische Schilling (rund 12 Euro) verkaufen. Doch inzwischen sind die Preise für Ndung'us Zutaten explodiert. Jetzt zahlen ihre Kunden für den gleichen Kuchen 2500 Schilling - doch auch so kann sie nicht die höheren Kosten ausgleichen, die sie im Einkauf hat.

Kenianische Aktivisten demonstrieren in Nairobi gegen ein unpopuläres Finanzgesetz (Foto: REUTERS/Thomas Mukoya)
Schon jetzt haben Kenianer hohe Belastungen zu tragen. Die Regierungspläne haben in den vergangenen Wochen viele Menschen auf die Straßen getriebenBild: Thomas Mukoya/REUTERS

Zurzeit wird die "Finance Bill 2023" (Finanzgesetz 2023) im Parlament verhandelt. Sollte es wie erwartet in diesem Monat verabschiedet werden, wird Ndung'u statt einem zukünftig drei Prozent Umsatzsteuer zahlen müssen. Und dies ist nur eine von vielen Änderungen, die in dem Gesetzentwurf enthalten sind. Auch der Schwellenwert für die Pflicht zur Zahlung der Umsatzsteuer soll sinken. Dadurch müssten zukünftig auch mehr Kleinunternehmen die Steuer zahlen. "Es gibt keine Subventionen, und Zucker ist teuer. Jeder Tag ist ein Kampf, um über die Runden zu kommen", klagt Ndung'u im DW-Interview. "Mehr Steuern machen es für uns Kleinunternehmer nur noch schwieriger, zu überleben."

Kenianer protestieren

Präsident William Ruto ließ sich im August 2022 mit dem Versprechen wählen, das Leben von Bürgerinnen wie Ndung'u zu verbessern und die Kosten für die Grundversorgung zu senken - in einer Volkswirtschaft, die wie so manche andere schwer an den Folgen der Corona-Pandemie, den durch den russischen Krieg in der Ukraine verursachten Preissteigerungen und der Dürre in großen Landesteilen zu tragen hatte.

Doch angesichts von Einnahmeausfällen, hoher Inflation und massiven Schuldenrückzahlungen in Höhe von 74,1 Milliarden US-Dollar (68,4 Milliarden Euro) ist der Präsident seinen Bürgern dieses Versprechen schuldig geblieben. In Massen gehen sie auf die Straßen. Rutos Entscheidung, kurz nach seiner Wahl die Subventionen für Maismehl und Benzin zu streichen, schürte die Unzufriedenheit. Mit der Ankündigung weitreichender Steuererhöhungen und neuer Steuern, von denen viele am 1. Juli in Kraft treten sollen, hat er sich erneut den Zorn der Bevölkerung zugezogen.

Belastung für Ostafrikas größte Volkswirtschaft

"Das Gesetz wird der Mehrheit der kenianischen Bürger noch mehr Leid und Chaos bringen", sagt Wirtschaftswissenschaftler Samuel Nyandemo, Dozent an der Universität von Nairobi, im DW-Interview. Auch andere Experten sehen die Bevölkerung in Not und befürchten weitreichende Folgen für Ostafrikas größte Volkswirtschaft. Ken Gichinga, Chefökonom von Mentoria Economics, einer in Nairobi ansässigen Beratungsfirma, bezeichnet die Verdopplung der Mehrwertsteuer auf Erdölprodukte wie Benzin und Kerosin von acht auf 16 Prozent als "einen der drei größten Schmerzpunkte" für die meisten Menschen.

"Die Abschaffung der Treibstoffsubvention war bereits eine Herausforderung", so Gichinga gegenüber der DW. "Jetzt müssen sie mit zusätzlichen Steuern zurechtkommen, vor allem die Menschen am unteren Ende des Einkommensspektrums. Dieser Übergang war zu schnell und zu unangenehm". Das könne zu einer Verlangsamung der gesamten Wirtschaft führen.

Ein Gesetz zugunsten der Eliten?

Zu den Protestierenden gehört auch der Geschäftsmann James Ochieng. Zusammen mit Hunderten anderen ist er auf die Straßen Nairobis gegangen, um das Gesetz noch zu stoppen, das in seinen Augen die soziale Schieflage verschärfen wird. "Die Regierung muss auf die Menschen hören. Diese Steuerpläne werden die Lebenshaltungskosten für normale Bürger nur erhöhen", sagte Ochieng der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. "Das Finanzgesetz begünstigt die Reichen und belastet die ohnehin schon schwachen Menschen.

Kenia Nairobi Kibera Slum (Foto: Simone Boccaccio/ZUMA Wire/IMAGO)
Kibera in Nairobi ist eines der größten Slums in AfrikaBild: Simone Boccaccio/ZUMA Wire/IMAGO

Junge Menschen sind besonders verärgert über den Plan der Regierung, eine Quellensteuer von 15 Prozent auf digitale Inhalte, einschließlich Markenpartnerschaften und Sponsoring, zu erheben. Der kenianische Komiker und Content Creator Alex Mathenge fordert, die Regierung solle jungen Menschen helfen, bevor sie sie besteuere. "Man kann keine Kuh melken, der man kein Gras gegeben hat", sagte er in einem Interview mit KUTV, dem Sender der Kenyatta-Universität in Nairobi. "Als Schöpfer digitaler Inhalte suchen wir nach einem Weg, unseren Lebensunterhalt zu verdienen, weil die Regierung kein Umfeld schaffen konnte, in dem wir Arbeit finden."

Wie Kenias Bevölkerung für Wohnraum zahlen soll

Der vielleicht umstrittenste Punkt des Gesetzentwurfs ist der Vorschlag, dass Arbeitnehmer auf ihr Einkommen eine obligatorische Wohnungsbauabgabe zahlen sollen, die von den Arbeitgebern aufgestockt wird. Im Gegenzug sollen sie sie im Rahmen eines Programms für bezahlbaren Wohnraum Häuser kaufen können. Das Projekt werde "menschenwürdige Wohnungen für Geringverdiener zu erschwinglichen  Preisen" bereitstellen, versprach der stellvertretende Präsident Rigathi Gachagua vergangene Woche.

In Reaktion auf die Proteste sah sich Präsident Ruto Anfang der Woche gezwungen, nachzubessern. Statt drei Prozent sollen jetzt nur noch 1,5 Prozent Wohnungsbauabgabe erhoben werden. Dass Kenia dringend günstigeren Wohnraum benötigt, ist hingegen allgemein anerkannt. In einem Bericht der Weltbank aus dem Jahr 2017 wurde festgestellt, dass Kenia ein Defizit von mehr als zwei Millionen Wohneinheiten hat, wobei mehr als drei von fünf städtischen Haushalten in Slums leben.

Für etwas bezahlen, das man schon hat

XN Iraki, ein außerordentlicher Professor an der Universität von Nairobi, der sich auf Wirtschaftswachstum spezialisiert hat, sieht verschiedene Gründe, warum Menschen über den Wohnungsfonds verärgert sind: Diejenigen, die bereits ein Haus hätten, verstünden nicht, warum sie für etwas bezahlen sollten, das sie nicht bräuchten. Andere wiederum befürchteten, dass die versprochenen Wohnungen nicht zustande kommen könnten.

Kenia Wohnungsbaustelle (Foto: Michael Utech/Pond5/IMAGO)
In Kenia fehlen Wohnungen - dafür sollen jetzt auch Arbeitnehmer zahlenBild: Michael Utech/Pond5/IMAGO

"Sie sind sich nicht sicher, ob das Geld richtig verwendet wird und sie tatsächlich Häuser bekommen", sagt Iraki der DW. Er glaubt sogar, dass das mangelnde Vertrauen in den öffentlichen Sektor Kenias ein Grund für den Widerstand gegen das Finanzgesetz ist. Analysten haben die Korruption in Kenia als "endemisch" und "allgegenwärtig" beschrieben und als "dominierend für die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen". Auf dem jüngsten Korruptionsindex von Transparency International belegt das Land Platz 123 von 180 Ländern.

"Ich denke, die Menschen verstehen, dass wir Steuern brauchen, um die Regierung zu führen und für Dienstleistungen zu bezahlen. Aber die größte Sorge ist, wohin das Geld fließt", so Iraki. "Die Korruption beeinflusst also unsere Wahrnehmung und unsere Bereitschaft, Steuern zu zahlen." Ungeachtet der Bedenken könnte das Gesetz morgen beschlossen werden - mit der Regierungsmehrheit im Parlament.

Adaption aus dem Englischen von Martina Schwikowski