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Krawall bei Eritrea-Festival - mit Konsequenzen?

Martina Schwikowski
10. Juli 2023

Das umstrittene "Eritrea-Festival" war von gewaltsamen Angriffen auf die Polizei überschattet. Die deutsche Politik sollte sich mehr Gedanken über den Umgang mit Protesten von Diaspora-Gruppen machen, fordern Experten.

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Polizisten haben am Rande des Eritrea-Festivals in Gießen eine Gruppe von Menschen umringt
Eritrea-Festival Gießen: Die Polizei setzte bei ihrem Großeinsatz gegen Demonstranten Schlagstöcke und Pfefferspray einBild: Helmut Fricke/dpa/picture alliance

Schlagstöcke und Pfefferspray zur Abwehr: Der Großeinsatz der Polizei bei Ausschreitungen auf dem Eritrea-Festival in Gießen am Wochenende wirft erneut Fragen nach dem Umgang mit gewaltsamen Protesten der Teilnehmer auf. Was seit 2011 jedes Jahr als Kulturveranstaltung in den Messehallen angekündigt wird, eskalierte am Samstag mit Angriffen auf die Polizei, die mit einem Großaufgebot von 1000 Beamten im Einsatz war. Die Bilanz: 28 Beamte wurden verletzt.

Schon im Vorjahr kam es zu brutalen Übergriffen bei der Veranstaltung - in diesem Sommer sollten Ausschreitungen rechtzeitig vermieden werden: Wegen der Gewaltaufrufe im Vorfeld des Festes und des nach Ansicht der Stadt unprofessionellen Sicherheitskonzeptes des Veranstalters, eines regimenahen Vereins, hatte die Stadt ein Verbot des Festivals ausgesprochen. Ohne Erfolg, denn der Hessische Verwaltungsgerichtshof kippte es in letzter Minute mit der Begründung, mögliche Störungen seien dem Veranstalter nicht anzulasten.

Spaltung in der Diaspora - Festivalgänger sind politische Rivalen

Veranstalter des Festivals ist der Zentralrat der Eritreer in Deutschland, der wegen seiner Nähe zu dem Regime in dem Land am Horn von Afrika umstritten ist. Seit der Unabhängigkeit Eritreas von Äthiopien vor rund 30 Jahren regiert Präsident Isayas Afewerki in einer Ein-Parteien-Diktatur mit harter Hand - die Vereinten Nationen kritisieren immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen in dem Land.

Isaias Afwerki
Präsident Isaias Afwerki regiert Eritrea seit Jahrzehnten mit harter Hand Bild: Khalil Senosi/AP Photo/picture alliance

Die politische Rivalität der Festivalgänger in Gießen geht auch auf diese tiefe Spaltung in der Diaspora zurück: "Viele Eritreer kamen während des Unabhängigkeitskrieges in den 1980iger Jahren nach Deutschland, sie sind inzwischen deutsche Staatsbürger geworden", sagt Nicole Hirt, Wissenschaftlerin am GIGA Institut für Afrika-Studien, im DW-Interview.

"Sie haben damals die Befreiungsfront unterstützt, aus der die Regierung nach der Unabhängigkeit hervorging und sie unterstützen in Teilen dieses Regime noch immer", sagt Hirt. Sie beteiligten sich am Festival mit Tanz und Musik, würden aber auch politisch indoktriniert.

Ihnen stünden Oppositionelle gegenüber, von denen ein Großteil mit Booten über das Mittelmeer gekommen sei: "Diejenigen, die jetzt auf den Straßen demonstriert haben, sind in den letzten Jahren nach Deutschland geflüchtet und haben unter dem Regime in Asmara gelitten. Sie wurden dort zum Beispiel zu Zwangsarbeit verpflichtet", sagt Eritrea-Expertin Hirt zur DW. "Daraus könnte sich ein gewisses Aggressionspotential gegenüber denjenigen ergeben, die hier in Sicherheit leben und die Regierung Eritreas feiern."

Asylanträge meistens erfolgreich

"Es gab schon seit den 80er Jahren zwei Diaspora-Gruppen in Deutschland, die sich feindselig gegenüber standen, die sich aber weitgehend aus dem Weg gingen", bestätigt die langjährige Bundestagsabgeordnete und Eritrea-Kennerin Ursula Eid. "Da sind zum einen Anhänger aus EPLF-Zeiten, die das Regime 'daheim' nicht anhand der Werte, die sie hier leben, messen. Sie erinnern an die hier lebenden Türken, die [den Autokraten] Erdogan wählen. Die Gegendemonstranten sind Eritreer, die einfach nicht wollen, dass hier [in Deutschland] Propaganda für das Regime in Asmara betrieben wird".

Migranten warten auf ihre Registrierung in Erding bei München
Die meisten Asylanträge von Eritreern sind in Deutschland erfolgreichBild: CHRISTOF STACHE/AFP

Beide Gruppen leben in großer Zahl in Hessen. Nach Angaben des Auswärtigen Amts leben etwa 70.000 eritreische Staatsangehörige in Deutschland. In Gießen betreibt das Land seit Jahrzehnten zudem die Zentrale Erstaufnahme für Flüchtlinge. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums erhalten die meisten Flüchtlinge aus Eritrea, die nach Deutschland kommen, hier auch Asyl. Im ersten Halbjahr 2023 habe die Schutzquote bei knapp 86 Prozent gelegen.

Keine politischen Machtkämpfe in Deutschland?

Kritische Stimmen verurteilen die Austragung politischer Machtkämpfe der eritreischen Diaspora in Deutschland. Wie die Bundeszentrale für politische Bildung berichtet, versucht die eritreische Regierung, mit einer Auslandsjugendabteilung junge Eritreer im Ausland zu beeinflussen und unter anderem bei Festivals Spenden zu sammeln.

Der lange Arm der Regimes reicht noch weiter: Mit Erreichen der Unabhängigkeit im Jahr 1993 müssen alle im Ausland lebenden Eritreer zwei Prozent ihres Einkommens an die eritreische Regierung abführen - ein in Deutschland illegales Gebaren, gegen das die Bundesregierung wiederholt protestiert hat.

Der politische Aspekt, dass ein diktatorisches Regime in Deutschland Anhänger mobilisiert, stößt spätestens nach der Gewalt vom Wochenende auch deutschen Bürgern auf: Das Festival habe zwar eine lange, friedliche Tradition, die über Jahrzehnte zurückreiche, sagt Hirt. Nach der Eskalation ändere sich die Sicht: "Wir sind hier im moralischen Zwiespalt. Einerseits ist das Festival seit jeher ein Propagandawerkzeug des Regimes in Eritrea, andererseits haben wir Versammlungsfreiheit in Deutschland", betont Hirt.

Veranstalter mehr in die Pflicht nehmen

Die Expertin findet es problematisch, das Festival zu verbieten. Aber die deutsche Politik sollte die Veranstalter in die Pflicht nehmen, das Festival auf eigene Kosten abzusichern. Dieses sei letztendlich eine juristische Frage. 

Eritrea-Festival in Gießen
Ausschreitungen in Gießen: 28 Polizisten werden bei gewaltsamen Angriffen auf dem Eritrea-Festival verletztBild: Helmut Fricke/dpa/picture alliance

Eben diese will der Gießener Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD) nun beantwortet haben: Muss es eine Stadt zulassen, dass sich dort eine nordostafrikanische Diktatur feiern lässt? Schon vor dem Festival hatte das Auswärtige Amt  Auseinandersetzungen befürchtet. Laut Medienberichten sagte ein Ministeriumssprecher am Montag in Berlin, dass es vor dem Festival Gespräche des Außenamtes mit eritreischen Vertretern gegeben habe. 

"Polizei kein Prellbock für Konflikte in Eritrea"

Dabei sei deutlich gemacht worden, dass innereritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürften. Seit neun Jahren habe Eritrea keinen Botschafter mehr in Deutschland, so der Sprecher. Vollwertige diplomatische Beziehungen mit dem Land gebe es praktisch nicht. Und nach der Randale in Gießen entrüstete sich der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU): "Unsere Polizisten und Polizistinnen sind kein Prellbock für Konflikte von Drittstaaten."

Die Polizei habe rechtzeitig Vorsichtsmaßnahmen eingeleitet, sagte Polizeisprecherin Kerstin Müller zur DW. Die Polizei habe dabei für den Fall, dass die Veranstaltung stattfinde, die Gefahrenprognose der Anreise von gewalttätigen Störern auch aus dem europäischen Ausland anhand von konkreten Hinweisen skizziert. Polizeisprecherin Müller zur DW: "Auf Anregung des Polizeipräsidiums Mittelhessen erging außerdem bereits am 5. Juli eine Rechtsverordnung über das Verbot des Führens von Waffen im Gießener Stadtgebiet."

Anfragen der DW bei der Botschaft Eritrea blieben bisher unbeantwortet. Bemühungen, die Veranstalter des Festivals sowie die Sprecher der eritreischen Gemeinden in Deutschland in einem Interview zu Wort kommen zu lassen, liefen ins Leere - sie lehnten einen Kommentar ab.

Mit Blick auf das kommende Jahr werde das Auswärtige Amt mit allen Beteiligten Gespräche führen, sagte ein Sprecher. Ob das umstrittene "Kultur-Festival" dann stattfinde, müsse auf Grundlage der Gefährdungseinschätzung im kommenden Jahr bewertet werden.