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"Der Patient liegt im Sterbebett"

Klaudia Prevezanos8. Juli 2015

Der griechische Autor Petros Markaris beschäftigt sich nicht nur in seinen Kriminalromanen mit Kommissar Charitos mit der griechischen Wirtschaftskrise. Im DW-Interview drängt er auf eine kurzfristige Lösung mit der EU.

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Petros Markaris (Foto: picture-alliance/dpa/L. Tejido)
Bild: picture-alliance/dpa/L. Tejido

DW: Die griechische Schuldenkrise und die Verhandlungen mit EU und IWF ziehen sich seit Monaten hin. Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro steht weiter zur Debatte. All das zehrt an den Nerven. Wie geht es Ihnen damit?

Petros Markaris: Ich muss Ihnen sagen, besonders in der Woche vor dem Referendum (am 5. Juli 2015 - Anmerkung der Redaktion) hatte ich Angst, meinen klaren Kopf zu verlieren. Als Grieche kann ich die Mentalität der Griechen gut verstehen, die "Nein" sagen zu den Sparplänen, aber im gleichen Moment den Euro nicht verlassen wollen. Das kann ein Europäer mit klarem Verstand schwer verstehen. Ein großer Teil der Griechen, die für Nein gestimmt haben, hofft, dass sie bessere Bedingungen bekommen werden. Aber die Wirtschaft wurde in den vergangenen fünf Monaten und besonders in der letzten Woche total erledigt. Die Banken sind vorübergehend geschlossen, die Griechen bekommen nur noch 60 Euro pro Tag ausgezahlt. Unter diesen Bedingungen können die Sparmaßnahmen doch nicht leichter ausfallen. Um das zu verstehen, muss man kein Spitzenökonom sein.

Welchen Einfluss hat die Staatskrise auf den Alltag der Athener?

Wenn Sie wie ich seit über 50 Jahren in Athen leben würden, könnten Sie sofort erkennen, wie sich die Stadt verändert hat. Die Straßen sind leer. Ich bin gestern durch die Pathethionstraße gegangen und dachte: 'Wie kann ich meinen Kommissar Charotis wieder im Stau stehen lassen, wo er in den Romanen regelmäßig warten muss.' Es gibt dort, auf dieser wichtigen Hauptstraße, derzeit keinen Stau. Die Menschen und die Autos fehlen.

Eine Mehrheit der Griechen hat sich im Referendum am Wochenende mit einem Nein gegen die zuletzt vorgelegten Sparpläne der EU ausgesprochen. Sie sind ein Befürworter der EU-Pläne: Warum?

Ein Ja hätte die Regierung nicht nur bei den Verhandlungen mit dem Ausland gestärkt, sondern auch im Innern der Partei. Syriza besteht aus sehr verschiedenen Gruppen, die Alexis Tsipras bisher nicht in den Griff bekommen hat. Das Ja wäre auch innerparteilich hilfreich gewesen. Die Europäer hätten mit einem Ja von den Griechen gehört: 'Wir wollen in der EU bleiben'. Jetzt haben wir ein Nein zu den Sparplänen und 'Wir wollen trotzdem bleiben'. Das ist eine viel schwächere Aussage, von der sich die Europäer nicht leicht überzeugen lassen werden.

Was würden Sie der griechischen Regierung am liebsten zurufen?

Ihr seid so dumm gewesen, fünf Monate Verhandlungen einfach verstreichen zu lassen. Inzwischen ist die Lage viel schlimmer geworden. Wacht doch endlich um fünf nach zwölf auf. Es kann nicht sein, dass dieses Land zurück in die Drachme geht. Und wenn es soweit ist, wird die Bombe in den Händen der Regierung explodieren. Was Ministerpräsident Tsipras heute als Stärke empfindet, das deutliche Nein gegen die EU-Pläne, wird morgen seine Schwäche sein.

Die Europäer haben ganz am Anfang etwas falsch gemacht. Sie hätten schon der Regierung unter Giorgos Papandreou und den nachfolgenden Regierungen sagen sollen: "Liebe Griechen, ohne Reformen gibt es kein Geld." Stattdessen hat die EU akzeptiert, dass die griechischen Regierungen immer wieder Gegenmaßnahmen vorgeschlagen haben, die überwiegend aus Steuererhöhungen bestanden. Diese Steuern haben die Griechen atemlos gemacht, sie konnten sie nicht bezahlen. Diese Finanzpolitik hat in Griechenland vor allem den Mittelstand ruiniert. Wir sind ein Land, das keine großen Konzerne hat wie Italien oder Frankreich. Die ganze griechische Wirtschaft wird von kleinen und mittleren Unternehmen getragen. Und wenn diese Unternehmen und der gesellschaftliche Mittelstand am Ende sind, kann man nicht erwarten, dass die Wirtschaft wieder Schwung bekommt.

Aber wäre nach all den Monaten erfolgloser Gespräche und des Stillstands ein Ende mit Schrecken - der Grexit - nicht inzwischen besser als ein Schrecken bzw. Verhandlungen ohne Ende?

Ein Grexit wäre eine Rückkehr in die Drachme mit einer total lahmliegenden Wirtschaft. Mit einem Land, das noch nicht weiß, was das wirklich bedeuten würde. Vor allem die ärmeren Schichten und Kleinbürger würden massiv an der Inflation leiden.

Wie ist Ihr Eindruck: Bereiten sich viele Griechen innerlich bereits auf einen Grexit und den Staatsbankrott vor?

Nein, überhaupt nicht. Abgesehen von einer Minderheit, die wirklich glaubt, mit der Drachme ginge es Griechenland besser, hofft die Mehrheit immer noch, bessere Bedingungen für Sparpläne der EU zu bekommen und im Euro zu bleiben.

Nach dem Sondergipfel am Dienstag wird weiterhin verhandelt, der nächste Sondergipfel steht Sonntag (12.07.2015) bevor. Die Lage ändert sich ständig. Trotzdem die Frage an Sie: Wie wird es - nach heutigem Stand - Ihrer Meinung nach weitergehen?

Ich weiß nicht, ob der nächste Sondergipfel der letzte ist. Aber eines weiß ich: Wenn sich die Verhandlungen ohne Ergebnis weiter hinziehen, werden die Folgen für Griechenland und die griechische Wirtschaft viel verheerender sein. Das muss ein Ende finden. Der Patient liegt im Sterbebett, und man diskutiert über die Therapie. Tsipras muss ganz klar einen diskussionswürdigen Plan vorlegen. Die Europäer zeigen sich natürlich sehr streng. Aber wenn dieser Plan, Vorschlag oder das Angebot der griechischen Regierung eine Basis bildet, könnte man mit einigen Eingriffen eine kurzfristige Lösung finden. Wir können nicht auf eine langfristige Lösung hoffen. Und wir brauchen dringend eine Atempause, damit wir weitergehen können. Die EU ist auf einen Grexit vorbereitet, wir in Griechenland sind es nicht. Ohne einen griechischen Plan als Diskussionsbasis glaube ich, dass die EU am Sonntag sagen wird: 'Jetzt ist Schluss'.

Der griechische Autor Petros Markaris wurde 1937 im türkischen Istanbul geboren und lebt heute in Athen. Mit seinen Romanen über den Athener Kommissar Kostas Charitos, die immer auf aktuelle Entwicklungen in Griechenland eingehen, ist Markaris international sehr erfolgreich. Die wirtschaftliche und politische Krise Griechenlands bestimmt auch in den Charitos-Romanen das Geschehen. In Deutschland hat der deutschsprachige Petros Markaris eine große Fangemeinde. Er ist zudem Verfasser von Theaterstücken, Co-Autor des Filmemachers Theo Angelopoulos und Übersetzer mehrerer deutscher Dramatiker, unter anderem von Bertold Brecht und Johann Wolfgang von Goethe. 2013 erhielt er die Goethe-Medaille.

Das Gespräch führte Klaudia Prevezanos