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Die verhinderte Kernspaltung der Ampelkoalition

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
18. Oktober 2022

Der Streit um die deutschen Atomkraftwerke ist nur noch ärgerlich. Sie tragen kaum noch etwas zur deutschen Energieversorgung bei. Aber sie treiben die deutschen Koalitionspartner gegeneinander auf, meint Jens Thurau.

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Schluss mit dem Koalitionsstreit: Kanzler Scholz hat im Krach um die Kernkraft entschiedenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Mehrere Wochen hat dieser Streit die deutsche Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP in Atem gehalten: Wegen der Energie-Versorgungskrise nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine werden Strom und Gas in Deutschland knapp und teuer; wäre es da nicht eine gute Idee, die drei noch am Netz befindlichen deutschen Atomkraftwerke länger laufen zu lassen? Völlig egal, welche heftige Debatten um die Kernenergie Deutschland jahrzehntelang beschäftigt haben? In einer Ausnahmesituation wie der gegenwärtigen im Interesse des Landes zu handeln, das sollte doch Ziel und Anspruch jeder Regierung sein.  

Schlussstrich von Scholz

Deshalb hat Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD jetzt entschieden: Er beendet den Konflikt zwischen dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck und der wirtschaftsliberalen FDP: Die drei Atomkraftwerke, zwei im Süden des Landes und eines im Norden, bleiben bis Mitte April nächsten Jahres am Netz. Nicht nur zwei wie von der Anti-Kernkraft-Partei der Grünen gewünscht, nicht alle drei noch bis 2024, wie von der kernkraftfreundlichen FDP gefordert. Man kann schon sagen, dass Scholz damit näher an den Positionen der Grünen entschieden hat als an denen der FDP. Denn ein Weiterbetrieb aller drei Kraftwerke bis ins übernächste Jahr hinein hätte riesige Kosten verursacht, ganz abgesehen davon, dass neue, immens teure Brennelemente hätten besorgt werden müssen. Und das alles für eine Energieversorgungsform, die zuletzt mal gerade rund sechs Prozent der deutschen Stromversorgung bereitstellte?  

Kein Ausstieg vom Ausstieg

Zur Erinnerung: Nach einem Beschluss einer früheren Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel aus dem Jahr 2011 sollten alle deutschen Atomkraftwerke bis Ende dieses Jahres stillgelegt werden, die drei Kraftwerke, über die jetzt so viel gesprochen wird, sind die letzten. Merkel traf diese Entscheidung damals unter dem Eindruck der Reaktor-Katastrophe von Fukushima. Aber die Zeiten sind 2022 andere, es ist erlaubt, über alle Möglichkeiten nachzudenken, die Versorgung mit Energie in Deutschland zu gewährleisten. 

Es war richtig von Scholz, sich jetzt so zu entscheiden: Ein Weiterbetrieb der drei deutschen Kernkraftwerke über den April nächsten Jahres hinaus hätte den Blick abgewandt davon, was jetzt wirklich wichtig ist: Über viele Jahrzehnte hat sich Deutschland in eine fatale Abhängigkeit von preiswerten Energieimporten aus Russland begeben. Der Traum der deutschen Energiewende war es, durch den Ausbau von Wind-und Sonnenstrom zum Kampf gegen den Klimawandel beizutragen. Bei der Stromerzeugung ist das leidlich gelungen, aber noch immer heizen gut die Hälfte der deutschen Haushalte mit Gas, lange Zeit vor allem aus Russland, und eine Debatte um die Kernenergie versperrt nur den Blick darauf, was jetzt wichtig ist. 

Kommentatorenfoto Jens Thurau
DW-Hauptstadtkorrespondent Jens ThurauBild: DW

Konzentrieren auf das Wesentliche

Deutschland muss die erneuerbaren Energien rasch ausbauen und die Gebäude besser isolieren. Deutschland muss möglichst schnell weg von fossilen Energieträgern, weg von Gas und Öl. Aber so schnell geht das alles nicht. Es müssen Milliarden bereitgestellt werden für Gebäudesanierungen, mittelfristig müssen Gas-Alternativen zu den russischen Lieferungen etabliert werden, die längst weggebrochen sind. Die Bürger müssen mithelfen beim Energiesparen, denn es kann knapp werden mit der Versorgung im nächsten Winter, vielleicht auch noch länger.  

Aber die Regierung hat sich jetzt ein paar Wochen lang einen ärgerlichen Streit um die Atomkraft geleistet. Kernkraftwerke werden in Deutschland keinen nennenswerten Beitrag dazu leisten können, wie das Land durch diese Energiekrise kommt. Und deshalb ist es richtig, dass der Kanzler dieses Thema mit einem Machtwort abgeräumt hat.