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Erst die Ampel, dann die grüne Seele

Thurau Jens Kommentarbild App
Jens Thurau
29. Januar 2022

Inmitten großer Herausforderungen für die neue Regierung trafen sich die Grünen in Berlin zum Parteitag und wählten eine neue Führung. Derzeit haben die Grünen nur die Koalition im Blick, meint Jens Thurau.

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Annalena Baerbock und Robert Habeck anscheinend ins Gespräch vertieft
Die scheidenden Bundesvorsitzenden Baerbock und Habeck haben alle Hände mit Regieren vollBild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Eigentlich hätte es für Annalena Baerbock und Robert Habeck genug Anlass gegeben, sich auf dem digitalen Parteitag der Grünen in Berlin mal so richtig feiern zu lassen. Vier Jahre standen sie als gleichberechtigte Chefs an der Spitze der Grünen. In dieser Zeit schnellte die Mitgliederzahl von rund 75.000 auf 125.000 hoch. Die Partei feierte Erfolge bei der Europawahl 2019 und bei Landtagswahlen, 2021 holte sie ihr historisch bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Jetzt regieren die Grünen erstmals seit 2005 das Land mit. Wie gesagt: Grund genug zum Feiern gab es. Eigentlich. 

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DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Aber Baerbock und Habeck war nicht danach. Erstens hatten die Grünen ein weit besseres Ergebnis bei der Bundestagswahl erwartet als die 14,7 Prozent, die es am Ende waren. Und zweitens sind die Außenministerin und Wirtschafts- und Energieminister - wie die ganze Bundesregierung - seit Amtsantritt mit den zahlreichen innen- und außenpolitischen Brandherden und Baustellen konfrontiert: mit der Pandemie, der Energiewende, der Ukraine und dem russischen Aufmarsch an deren Grenze. Deshalb wohl inszenierten Baerbock und Habeck ihren Abschied von der Parteispitze ohne großes Pathos, fast lustlos - jedenfalls, was Habeck angeht. Zeit für einen sentimentalen Blick zurück war nicht.

Grüne Basis stützt Regierungsmitglieder

Die Parteibasis folgte dem insofern, als sie den Regierungsgrünen keine Steine in den Weg legte, auch wenn ihr vielleicht der Sinn danach gestanden hätte: Mehr Solidarität mit der Ukraine, die Lieferung von Defensivwaffen vielleicht doch ins Auge nehmen? Zwar wird der Kurs der neuen Regierung gegenüber dem bedrohten Land auch international als viel zu defensiv gewertet, die Lieferung von 5000 Helmen fast als Brüskierung. Aber eine Zustimmung zu dem Antrag für ein härteres Vorgehen gegen Russland hätte bedeutet, der eigenen Außenministerin in den Rücken zu fallen.

Omid Nouripour mit grüner Atemmaske auf dem Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen
Der neue Co-Vorsitzende Omid Nouripour gilt als pragmatischer AußenpolitikerBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Auch der Antrag, in dieser Wahlperiode keine bewaffneten Drohnen für Deutschland anzuschaffen, wurde abgelehnt. Unter vielen Mühen hatten die Grünen in den Koalitionsgesprächen dieser Möglichkeit zugestimmt. Das zeigt: Im Moment sind die Grünen eine Regierungspartei, keine bewegte Programmpartei. 

Neue Spitze für die grüne Seele

Darauf zu achten, dass darunter die grüne Seele nicht allzu viel leidet, diese Aufgabe kommt nun der neuen Parteiführung zu. Die Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour und Ricarda Lang wurden ohne große Debatten gewählt. Dem pragmatischen Außenexperten Nouripour und der linken Ricarda Lang muss es nun gelingen, das Scharnier zwischen den grünen Ministerinnen und Ministern und der Partei zu bilden.

Ricarda Lang auf einer großen Video-Leinwand
Die neue Co-Vorsitzende Ricarda Lang war per Bildschirm zugeschaltet, sie ist derzeit corona-positivBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Das wird schwer genug, man sollte sich da nichts vormachen: Baerbock, Habeck und die anderen grünen Ministerinnen und Minister sind fürs Erste das eigentliche Machtzentrum, die handelnde Gruppe. Unverhohlen wird aus ihren Reihen kolportiert, dass vier Jahre Ampel-Regierung bei der Fülle der Aufgaben eigentlich nicht ausreichen. Je länger der machtbewusste Habeck und die bienenfleißige Baerbock aber den Lauf der Dinge bestimmen, umso mehr droht die Gefahr, dass die streitlustige und innovationsfreudige Partei an den Rand gedrängt wird. Aber Nouripour und Lang sind bestens vernetzt, vor allem Nouripour verfügt über eine lange Erfahrung in Fraktion und Parteigliederungen. Beide sitzen im Parlament, was auch nicht bei allen grünen Spitzenduos in der Vergangenheit der Fall war. Und Lang kann sich am besten um die vielen neuen jungen Abgeordneten kümmern. Die größte grüne Fraktion aller Zeiten ist nämlich auch die jüngste.

Koalition kommt vor Parteiseele

Ein unspektakulärer Parteitag war das, was sicher auch an der Corona-bedingt - wieder einmal - sterilen digitalen Atmosphäre lag. Eine Handvoll Politiker in Berlin im Saal, die meisten der rund 800 Delegierten von zuhause aus zugeschaltet - auch die neue Parteichefin Ricarda Lang, die zurzeit Corona-positiv ist. Richtig leidenschaftliche Debatten kamen da nicht auf. Das wird einigen Regierungs-Grünen für den Moment nicht unrecht sein. Zurzeit geht es um die Ampel, das Bündnis mit SPD und Liberalen, um die Regierung. Die Parteiseele hat Pause.