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Indonesiens Strafkodex: Gefahr für die Demokratie

Rahkasiwi Dimas Susanto | indonesische Redaktion
Rahka Susanto
9. Dezember 2022

Im neuen Strafgesetzbuch Indonesiens wird nicht nur Sex außerhalb der Ehe verboten. Auch die Meinungsfreiheit wird eingeschränkt. Der Kodex ist eine Bedrohung für Demokratie und Menschenrechte, meint Rahka Susanto.

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Indonesien I Kundgebung gegen neues Strafrecht
"Der neue Strafkodex legt Pressefreiheit in Fesseln": Proteste gegen die Strafrechtsreform in Indonesien Bild: Slamet Riyadi/AP/picture alliance

Sex sells: Das Verbot außerehelichen Geschlechtsverkehrs durch das indonesische Parlament Anfang Dezember sorgte für internationale Schlagzeilen. Dabei wurde allerdings vielfach übersehen, dass durch die Reform auch das Recht auf freie Meinungsäußerung gravierend eingeschränkt wird.

Denn der neue Kodex verbietet unter anderem Demonstrationen ohne Anmeldung, die Verbreitung von Ansichten, die der Staatsideologie zuwiderlaufen und die Beleidigung des Präsidenten oder anderer Amtsträger.

Auch wer sich feindselig gegenüber den sechs in Indonesien offiziell anerkannten Religionen und Glaubensrichtungen verhält, also Islam, Protestantismus, Katholizismus, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus, muss wegen Blasphemie mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren Haft rechnen.

Straftat "Beleidigung"

Dabei schien auf den ersten Blick alles kohärent und politisch korrekt: 77 Jahre nach der Unabhängigkeit von den Niederlanden hat Indonesien zum ersten Mal das Strafgesetzbuch reformiert, das noch aus der Kolonialzeit stammt. Jakarta verkaufte die Reform als Befreiung vom kolonialistischen Erbe und dringend notwendige Modernisierung.

Rahkasiwi Dimas Susanto | indonesische Redaktion
DW-Autor Rahka D. Susanto aus der indonesischen RedaktionBild: Privat

Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Mit dem Artikel über "Beleidigung von Staatsoberhäuptern und staatlichen Institutionen" erleichtert die Regierung in Jakarta die Kriminalisierung ihrer Kritiker. Statt der angekündigten Modernisierung ermöglicht die Strafrechtsreform willkürliche Verfolgung.

Indonesien folgt damit dem Beispiel Thailands. Im Nachbarland gilt die Beleidigung oder Verletzung der Würde eines regierenden Staatsoberhauptes, oft eines Monarchen, oder des Staates selbst, schon lange als Straftat.

Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass durch eine flexible Auslegung des neuen Strafgesetzbuches Oppositionelle einfacher verhaftet werden könnten. Dazu könnte auch die Überwachung von kritischen Äußerungen in den sozialen Medien gehören.

Höflich oder unhöflich?

Obwohl Kritik und Beleidigung zwei unterschiedliche Tatbestände sind, ist in dem neuen Gesetzestext keine genaue Definition zu finden, was als Kritik und was als Beleidigung der Regierung gilt. Bislang hat die Regierung stets darauf hingewiesen, dass Indonesien eine Gesellschaft ist, die die "östliche Zivilisation" hochhält, weshalb Kritik höflich geäußert werden sollte. Hier stellt sich auch die Frage, ab wann etwas als höflich oder unhöflich gilt.

Indonesien Bali | Präsident Joko Widodo
Indonesiens Staatsoberhaupt Joko Widodo wird am 14. Dezember beim EU-ASEAN-Gipfel in Brüssel erwartet Bild: Muchlis Jr/Presidential Secretariat Press Bureau

Indonesien ist eine junge Demokratie. Das größte islamische Land der Welt verfügt erst seit 1998 über ein Gesetz zum Schutz der Meinungsfreiheit. Viele junge Menschen haben die Zeiten der Diktatur unter General Suharto (1965 bis 1998) nicht miterlebt. Denn über 156 Millionen Menschen der insgesamt 274 Millionen Einwohner (57%) sind unter 30 Jahre alt.

Ausgerechnet die in Freiheit aufgewachsene junge Generation muss nun um ihre Freiheit fürchten. Nur noch das indonesische Verfassungsgericht könnte die gefährliche Reform aufhalten. Wenn die Obersten Richter feststellen, dass das neue Strafgesetzbuch gegen die Verfassung verstößt, die das Recht auf Meinungsäußerung schützt, wäre dies ein Sieg für Indonesiens junge Demokratie.

Europa kann einen Beitrag zum Schutz der Menschenrechte in Indonesien leisten. Die EU-Mitgliedsstaaten sollten Indonesiens Präsident Joko Widodo beim Gipfeltreffen der Südasiatischen Staaten (ASEAN) mit der EU am 14. Dezember in Brüssel auf die Verstöße gegen Meinungsfreiheit und Menschenrechte ansprechen und Änderungen einfordern.