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Politik

Köln und die Glaubwürdigkeit der Kirche

30. Mai 2021

Der Papst lässt das Erzbistum Köln überprüfen. Doch geht es längst um mehr als um das Versagen einzelner hochrangiger Geistlicher, meint Christoph Strack.

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Die drei Bischöfe mit golden bestickten Messgewändern beim Hochgebet am Altar des Kölner Doms, auf dem Altar ein Kreuz sowie sechs Kelche und sechs Hostienschalen
Bei der Amtseinführung des neuen Kölner Erzbischofs 2014: (v.r.n.l) Kardinal Rainer Maria Woelki, Nuntius Nikola Eterovic und Wölkis inzwischen verstorbener Amtsvorgänger Kardinal Joachim Meisner.Bild: picture-alliance/dpa

Das Drama um den Zustand der katholischen Kirche in Köln und darüber hinaus geht munter weiter. Und für Beobachter wird es spannender. Jetzt prüft der Vatikan. Formell. Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki sagt, er bewerte diese vom Papst angeordnete Untersuchung in seinem Erzbistum, eine sogenannte "Apostolische Visitation", aber nicht als "Misstrauenserklärung". Ach Gott.

Ob das der Papst einem Kardinal überhaupt jemals so sagen würde? Ich misstraue Dir? Dann könnte das Kirchenoberhaupt, das ja die Macht eines absolutistischen Herrschers hat, den engen Mitarbeiter - und das ist ein Kardinal immer - auch gleich in die Wüste schicken. Dass Franziskus dazu im Stande ist, hat er vor einigen Monaten gezeigt, als er das Vertrauen in Kurienkardinal Giovanni Angelo Becciu verlor. Basta. Weg. Aber die Regel ist das nicht.

Die Gläubigen verlassen die Kirche in Scharen

Und Woelki? Das wohlhabende und deshalb in der Weltkirche so einflussreiche Erzbistum Köln? Viel mehr als eine "Apostolische Visitation" kann der Papst trotz allem nicht veranlassen. Nicht einmal beim früheren Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst, der sich eine Luxusresidenz eingerichtet hatte, griff Rom zu diesem Mittel. Solche Kontrollen im Auftrag des Papstes sind höchst selten. Und wenn man die bisherigen Beispiele anschaut, kann man sagen: Da hat es überall gestunken.

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DW-Redakteur und Kirchenexperte Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

In Köln hat der Erzbischof, den ich - das bekenne ich offen - als Seelsorger und Prediger schätze, einen mutmaßlichen und gut bezeugten Missbrauchsfall verschwiegen, der einen alten, ihm lange bekannten Geistlichen betraf. Aber längst ist da mehr. Das Vertrauen im Bistum ist dahin. Gläubige treten in Scharen aus der Kirche aus. Die bleiben, sprechen offen von ihrer Scham. Dutzende Priester gehen in offenen Briefen auf Distanz zu ihrem Erzbischof. 14 von 15 Stadt- und Kreisdechanten, und darunter sind liberal-konservative wie ausgeprägt konservative Geistliche, kritisieren ihre Bistumsleitung. Das wohl wichtigste deutsche Bistum bietet ein Trauerspiel.

Sicher, da geht es auch um Reformfragen. Aber vor allem geht es um Vertrauen, Verantwortung und Glaubwürdigkeit. Um geistliche Leitung. Von Vorbild spricht gar keiner mehr. Und doch gilt: Wer nur neu einstimmt in ein #Woelkimussweg, der springt zu kurz. Es geht längst um mehr.

Das System Meisner

Die gerade einmal vier Sätze lange Erklärung der Vatikan-Botschaft in Deutschland lässt es an Deutlichkeit nicht fehlen und bleibt doch undeutlich genug für Spekulationen. Sie spricht von der "komplexen pastoralen Situation" im Erzbistum Köln und "eventuellen Fehlern". Und bei den eventuellen Fehlern nennt sie - in dieser Reihenfolge - Kardinal Woelki, den Hamburger Erzbischof Stefan Heße, die Kölner Weihbischöfe Dominikus Schwaderlapp und Ansgar Puff. Die drei letztgenannten haben dem Papst bereits vor zweieinhalb Monaten ihren Rücktritt angeboten und warten auf eine Entscheidung.

Aber hier geht es nicht einfach um vier leitende Kleriker. Es sind vier Geistliche eines Systems. Da sie alle aus dem Erzbistum Köln kommen und dort aufgestiegen sind unter Woelkis Vorgänger Kardinal Joachim Meisner, dieser Ikone reaktionär-konservativer Christen, sind sie Vertreter des Systems Meisner. Sie waren engagiert in emsiger Nachfolge, Schadensbegrenzung oder Vertuschung. Und das System Meisner, für den Missbrauchstäter "Brüder im Nebel" waren und er selbst offensichtlich der Nebelwerfer, ist ein System, das es so oder ähnlich in vielen Ländern in der katholischen Weltkirche gab und gibt. 

Franziskus beginnt aufzuräumen

Um diese systemischen Fragen geht es und muss es gehen. Wenn der Papst seit Monaten immer mal wieder Bischöfe in Polen sanktioniert, diesem Musterland katholischer Frömmigkeit und amtskirchlicher Ideologie, ist dies das beste Beispiel: Franziskus beginnt aufzuräumen. Aber dieses Sanktionieren allein wird das System und die Strukturen nicht ändern. In Chile hat er ein bisschen aufgeräumt, in Mexiko und in Peru, ebenfalls in Einzelfällen einiger Länder in Europa, Asien und Afrika. Die sogenannte "Strafe" ist in aller Regel der Verzicht auf öffentliche Auftritte, eine Spende an Opfer-Organisationen, der Verlust besonderer persönlicher Privilegien wie der Grablege in der Bischofskirche. Die, die Franziskus ohnehin seit langem kritisieren - die reaktionären Medien in der US-Kirche und im frommen deutschen Milieu - nuscheln das gerne weg.

Aber die Struktur-Frage drängt und wird dringlicher. Wie ehrlich geht diese Kirche um mit den Themen der sexuellen Gewalt, der klerikalen Macht und - siehe Missbrauch - ihren Perversionen? Und deshalb geht es inzwischen vielen Katholiken um eine andere Haltung zu geistlicher Führung, zu Sexualität, zur Frauenfrage, zum Thema Homosexualität.

Der Papst will die Grundstruktur von Kirche debattieren

Zum Pfingstfest hat der nun schon 84-jährige Franziskus seiner Kirche die Perspektive für die nächsten zwei Jahre aufgezeigt und verbindliche Aufgaben gestellt. Eigentlich eine Sensation. Weltweit sollen die Bischofskonferenzen zügig nationale Synoden oder "synodale Wege" angehen, also gemeinsame Beratungsprozesse von Bischöfen und Laien. Also in etwa das, was es in Deutschland seit 2019 gibt und wofür die Bischöfe kritisiert werden. Nicht nur von abgehalfterten Kurienkardinälen. Seit der Ankündigung des Papstes beschimpfen und beleidigen einzelne US-Bischöfe die Kirche in Deutschland und werfen ihr das Abgleiten ins Schisma, also Kirchenspaltung vor. Das zeigt: Es wird ernst.

2023 will Franziskus in Rom über die Grundstruktur von Kirche debattieren. Falls im Ergebnis alles so bleiben soll, wie es jetzt ist, ist es auch egal, wer dann das Erzbistum Köln leitet, wie er es leitet und wie er unterwegs ist mit den Christinnen und Christen. Wenn dann überhaupt noch viele übrig sind.